Angesichts steigender Umfragewerte sieht Stegner seine Partei im Aufwind. Die SPD sei lange unterbewertet gewesen. Man habe in der Großen Koalition viel durchgesetzt, aber wichtige Anliegen wie mehr Steuergerechtigkeit seien mit der Union nicht durchzusetzen.
Stegner kündigte einen Wahlkampf an, bei dem die Unterschiede zwischen den Parteien deutlich würden. Dies könne der designierte Kanzlerkandidat Martin Schulz besonders gut verkörpern. Eine Fortsetzung der Großen Koalition nach der Bundestagswahl schloss Stegner nicht aus. Man wolle dies aber nicht. Die Union brauche Erholung in der Opposition.
Das Interview in voller Länge:
Christine Heuer: Ausgerechnet in München haben sich die Spitzen der Großen Koalition gestern zum Wahlkampfauftakt getroffen. Nur Stunden, bevor CDU/CSU und SPD über neue Maßnahmen für die innere Sicherheit und in der Flüchtlingspolitik beraten haben, hatte die Union, selten einig, ebenfalls in der bayerischen Hauptstadt Angela Merkel zu ihrer gemeinsamen Kanzlerkandidatin gekürt. - Am Telefon begrüße ich den stellvertretenden SPD-Vorsitzenden und SPD-Chef in Schleswig-Holstein, Ralf Stegner. Guten Morgen!
Ralf Stegner: Guten Morgen, Frau Heuer!
Heuer: Herzlichen Glückwunsch, Herr Stegner, erst mal zur jüngsten Umfrage. Wie lange, glauben Sie, hält der Höhenflug der SPD denn an?
Stegner: Ach, wir sind überhaupt nicht in Sorge, dass der zu Ende gehen könnte. Wir sind so lange unterbewertet gewesen, dass die gute Stimmung auch zu dem passt, was objektiv gerechtfertigt ist, und in jedem Fall stärkt es das Selbstbewusstsein der SPD. Und man kann ja auch an den Reaktionen der Union sehen, die das versuchen, runterzureden und jetzt ein wenig unsachlich attackieren, dass die sich schon darauf eingerichtet hatten, die gewinnen die Bundestagswahl im Schongang. Das wird nicht passieren, es wird sehr spannend werden. Wissen Sie, der Unterschied ist: Momentan treten Menschen in die SPD ein, wo hingegen in der CSU-Zentrale in München Briefe eingehen, man wolle die Kandidatur von Frau Merkel nicht unterstützen. Das ist der Unterschied zwischen den beiden Lagern. Es wird in jedem Fall spannend werden und darauf freuen wir uns, und das ist ja auch gut für Deutschland.
"Kämpfen können wir"
Heuer: Aber es ging sehr schnell rauf für die SPD. Fürchten Sie nicht, dass es dann auch schnell wieder runtergehen kann?
Stegner: Ich glaube, dass die Zustimmung am Ende zu unserem Programm, zum Gerechtigkeitswahlkampf, den Martin Schulz führt, und zu jemandem, der klar seine Meinung sagt, dass das gut für uns ist und dass das uns im Wahlkampf helfen wird. Wir berauschen uns jetzt nicht an den Umfragen, sondern wir nutzen das Selbstbewusstsein, um unsere Inhalte zu vertreten. Und man merkt schon, wie frischer Wind in die Landtagswahlkämpfe im Saarland, in Schleswig-Holstein, in Nordrhein-Westfalen kommt, und das wird uns auch bei der Bundestagswahl zugutekommen. Ich glaube, dass viele die SPD schon abgeschrieben hatten, und da darf man sich nicht täuschen. Kämpfen können wir.
Heuer: Aber wenn Martin Schulz so gut ist für die SPD, wieso haben Sie dann so lange an Sigmar Gabriel festgehalten?
Stegner: Ich glaube nicht, dass das ausschließlich mit der Frage zu tun hat, wer für uns Spitzenkandidat wird. Aber Martin Schulz hat natürlich den Vorzug, dass er das, was wir wollen, nämlich die Große Koalition nicht fortzusetzen, besser verkörpern kann als jemand, der dieser Großen Koalition angehört hat. Sigmar Gabriel, finde ich, führt die Partei sehr gut und er hat im Übrigen auch viele Erfolge der SPD in der Bundesregierung mit durchgesetzt und er wird jetzt, glaube ich, auch ein guter Außenminister sein. Insofern geht das jetzt hier nicht gegen Personen, sondern ich glaube, die Gesamtaufstellung ist für uns die beste, und es spricht ja für Sigmar Gabriel, dass er das vorgeschlagen hat.
Heuer: Herr Stegner, das heißt ja, alle sind gleich gut, nur früher war die SPD abgeschlagen und mit dem neuen Hoffnungsträger erlebt sie plötzlich einen Höhenflug.
Stegner: Ach wissen Sie, die Begründungen, warum was wie gekommen ist, überlasse ich mal den Historikern.
"Das war wie bei einer misslungenen Paarberatung"
Heuer: Soweit schon!
Stegner: Ich stelle jedenfalls fest, dass wir unterbewertet waren, dass uns manche abgeschrieben haben und viele dachten, dass Frau Merkel schon gewonnen hat. Jetzt stellen wir fest, es ist ganz anders. Wer gestern diesen merkwürdigen Friedensgipfel in München beobachtet hat, der konnte doch sehen, das war wie bei einer misslungenen Paarberatung, wie die vor die Presse getreten sind. Bei der SPD ist das ganz anders. Sie sehen eine entschlossene, geschlossene und fröhlich kämpfende Partei, die weiß was sie will und im Übrigen einen Gerechtigkeitswahlkampf führen wird, weil es nämlich um die Themen gehen wird, die die Menschen interessieren: Kann ich meine Miete bezahlen, wie ist das mit den Arbeitsplätzen, sind die sicher, reicht die Rente, wie ist das mit den Kindergartengebühren in den Ländern, wo wir regieren, und viele Dinge mehr. Ich glaube, dass die Gerechtigkeits- und Alltagsthemen die sind, um die man sich kümmern muss. Das ist dann, nebenbei bemerkt, auch ein gutes Mittel gegen die rechten Demokratiefeinde. Da ist Martin Schulz ja auch jemand, der da mit großer Leidenschaft gegen angeht, wo hingegen die CSU deren Parolen nachplappert.
Heuer: Nun war aber Gerechtigkeit auch das Thema von Sigmar Gabriel. Nun verspricht Martin Schulz sie, als sei das eine neue Erfindung. Die SPD hat aber seit 1999 nur vier Jahre nicht regiert in Berlin. Was hat die SPD denn die ganze Zeit gemacht?
Stegner: Ich finde, das ist eine etwas verkürzte Betrachtung, denn natürlich erfinden wir nicht unsere Programme neu. Aber mit 25 Prozent in der Bundesregierung richtet man schon ein bisschen was aus, aber manche Dinge gehen mit der Union nicht.
"Eine moderne Familienpolitik geht mit der Union auch nicht"
Heuer: Das heißt, Sie waren doch nur der Mehrheitsbeschaffer für die Union?
Stegner: Na das ist doch Unfug. Wir haben zusammen mit Frau Merkel regiert und haben den Mindestlohn durchgesetzt und haben abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren und vieles andere erreicht. Aber manches geht mit denen nicht. Ich will Ihnen ein Beispiel sagen: Wir wollen eine Bürgerversicherung, wo jeder das bekommt, was er braucht für seine Gesundheit und wo Arbeitgeber und Arbeitnehmer paritätisch den gleichen Beitrag bezahlen müssen. Das ist ein Punkt, der geht mit der Union nicht. Mehr Steuergerechtigkeit geht mit der Union auch nicht. Eine moderne Familienpolitik geht mit der Union auch nicht. Das heißt, wer das will, der muss auch für die SPD stimmen, und ich glaube, unsere Chancen liegen auch darin, dass man merkt, Juniorpartnerschaft in einer Großen Koalition, das ist nur die zweitbeste Lösung. Die beste ist eine SPD-geführte Regierung.
Heuer: Wollte ich gerade fragen. Wenn das alles so schlimm war, Herr Stegner, warum haben Sie da überhaupt mitregiert, und zwar so lange auch?
Stegner: Die Alternativen heißen ja nicht, man geht in die Opposition oder man hat die absolute Mehrheit, sondern man muss ja mit dem umgehen, was die Wählerinnen und Wähler gewählt haben. Und noch mal: Wir haben ja vieles durchgesetzt in dieser Regierung. Nur zu sagen, weil vieles auch nicht erreicht worden ist, habe man alles falsch gemacht, ist ja Quatsch. Mit 25 Prozent geht nicht mehr und deswegen werben wir dafür, dass wir stärker werden, und Sie werden einen Wahlkampf sehen, wo die Unterschiede deutlich werden. Viele sagen ja, die da oben seien alle gleich und dann wählen sie Rechtspopulisten. Und man sieht, erstens gehören wir nicht zu denen da oben, weil wir Politik für alle Menschen machen, und zweitens sind wir schon gar nicht gleich, sondern wir haben große Unterschiede zur Union. Das wird helfen und Martin Schulz ist derjenige, der das besonders gut verkörpert, der mit Leidenschaft einen solchen Wahlkampf führen wird, und er hat seine Partei geschlossen hinter sich.
"Beschränkung der Manager-Boni scheitert an der Union"
Heuer: Stichwort Gerechtigkeit. Wie gerecht ist es, Herr Stegner, wenn eine Ex-SPD-Ministerin, Christine Hohmann-Dennhardt, für ein Jahr Arbeit im VW-Vorstand fast zwölf Millionen Euro kassiert?
Stegner: Überhaupt nicht. Ich kann mit so was nichts anfangen. Ich finde, wir haben üppige Manager-Boni und Riesen-Renten, und das teilweise - das ist bei Frau Hohmann-Dennhardt nicht der Fall - bei Managern, die ihren Konzern in die Grütze geritten haben, und bezahlen tun das dann die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Heuer: Ja, und die SPD stimmt im Aufsichtsrat zu.
Stegner: Ich halte das nicht für eine gute Entscheidung, um das klar zu sagen. Trotzdem ist der Kern, was man tun kann, nämlich diese Manager-Boni zu beschränken, das könnten wir im Deutschen Bundestag sofort machen. Die SPD hat das vorgeschlagen. Raten Sie mal, an wem das scheitert: An der Union, die das nicht will.
Heuer: Aber Herr Stegner, im Aufsichtsrat sitzt die SPD und hat dieser Abfindung zugestimmt.
Stegner: Ich verteidige diese Einzelentscheidung ja gar nicht, habe das selbst kritisiert. Ich sage nur: Es geht nicht darum, jetzt eine Einzelentscheidung nur zu bewerten, sondern es geht meiner Meinung nach darum, dass man da systematisch rangeht und dafür sorgt, dass diese schreiende Ungerechtigkeit aufhört, dass Leute mit Millionen-Abfindungen nach Hause gehen, die ihren Konzern in die Grütze geritten haben und die Arbeitnehmer das bezahlen. Das können wir im Deutschen Bundestag machen, aber das scheitert im Augenblick an der Union, die das nicht will.
Heuer: Aber das heißt, die SPD handelt ein bisschen anders als sie spricht.
Stegner: Nee, das heißt es nicht! Das heißt nur, Frau Heuer, dass es tatsächlich auch Einzelentscheidungen gibt, die man nicht richtig findet, und das ist in jeder Partei so. Da rede ich gar nicht drum herum. Ich rede jetzt aber darüber, was wir an gesetzlichen Grundlagen im Bund ändern können und müssten.
"Wir müssen bestimmte Ungerechtigkeiten gesetzlich verändern"
Heuer: Gerechtigkeit in eigener Sache. - Martin Schulz hat EU-Tagegeld kassiert, auch in Zeiten, in denen ihm das nicht zustand, weil er Wahlkampf für sich gemacht hat. War das in Ordnung?
Stegner: Ich finde, Martin Schulz hat vor allen Dingen darauf verzichtet, Übergangsbezüge in Anspruch zu nehmen, die ihm jetzt zustünden, nachdem er ausscheidet im Europäischen Parlament.
Heuer: Das ist ein bisschen eine Mogelpackung, Herr Stegner.
Stegner: Bitte?
Heuer: Das ist ein bisschen eine Mogelpackung, weil das betrifft …
Stegner: Entschuldigen Sie mal! Das ist keine Mogelpackung, sondern das ist Fakt. Einzelne Vorwürfe herauszugreifen - Sie schaffen das nicht, mich da in Unsicherheit zu bringen. Ich sage Ihnen, der Punkt ist der: Er hätte Übergangsbezüge bekommen.
Heuer: Für zwei Monate.
Stegner: Darauf hat er verzichtet, das finde ich in Ordnung, das ist ein gutes Beispiel, dem könnten andere mal nacheifern.
Heuer: Er hätte dieses Übergangsgeld für zwei Monate bekommen. Danach wird er ja auch wieder honoriert als SPD-Chef.
Stegner: Wie auch immer, er hat jedenfalls auf etwas verzichtet, was ihm zusteht. Das finde ich ein gutes Beispiel. Mit gutem Beispiel voranzugehen, ist nie verkehrt. Da können Sie wahrscheinlich in allen Parteien gute und schlechte Beispiele finden. Fakt ist: Wir müssen bestimmte Ungerechtigkeiten gesetzlich verändern. Wenn die SPD die Mehrheit hat, werden wir das tun.
"Ich wette mit Ihnen, der nächste Kanzler heißt Martin Schulz"
Heuer: Sie gehen nicht wieder in eine Große Koalition, steht das fest?
Stegner: Wir wollen das nicht, denn die Union braucht ja dringend Erholung in der Opposition, wie man ja merken kann, wenn man sieht, wie die sich zurzeit aufführen. Die heißen ja nicht Union, sondern eher Zwietracht. Und die SPD möchte die Regierung führen. Aber am Ende entscheiden das die Wählerinnen und Wähler und ausschließen darf man immer nur Kooperationen mit den Rechtspopulisten. Alles andere muss man in der Demokratie die Wähler entscheiden lassen. Aber natürlich kämpfen wir dafür und sagen, wir wollen auf keinen Fall eine neue Große Koalition, sondern wir wollen einen Politikwechsel mit einer SPD-geführten Regierung unter Martin Schulz.
Heuer: Können wir am Ende unseres Gespräches festhalten, Herr Stegner, dass Martin Schulz eigentlich der geborene Großkoalitionär ist nach seinen Erfahrungen mit Jean-Claude Juncker zum Beispiel und der CSU oder der EVP in Brüssel?
Stegner: Nein. Wir können festhalten, dass Martin Schulz ein leidenschaftlicher Europäer ist, der Leuten wie Berlusconi oder Erdogan die Stirn bietet, der internationale Erfahrung hat und der die SPD in einen profilierten Wahlkampf führen wird mit einem ganz anderen Profil, als die Union das hat, der die Alternative darstellt und der mit uns dafür sorgen wird, dass die Rechtspopulisten die Erfolge nicht haben, die ihnen in den Schoß fallen, wenn man zuguckt, was die CSU so alles treibt. Sie werden einen leidenschaftlichen Wahlkämpfer erleben, der noch für eine Überraschung sorgen wird. Die SPD war abgeschrieben, sie ist wieder da und ich wette mit Ihnen, der nächste Kanzler heißt Martin Schulz.
Heuer: Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner im Interview mit dem Deutschlandfunk. Herr Stegner, herzlichen Dank.
Stegner: Sehr gerne. Tschüss, Frau Heuer.
Heuer: Tschüss!
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