"Das war schon eine gewaltige organisatorische Leistung, aus dem Bundestagswahlkampf kommend einen Parteitag zu organisieren, Koalitionsverhandlungen zu führen und dieses Mitgliedervotum zu organisieren – jetzt wird auch Zeit, dass mal Weihnachten ist."
Die Geschichte könnte sich wiederholen, nur eine neue Regierung wird Deutschland bis Weihnachten dieses Mal nicht haben. Fast auf den Tag genau vor vier Jahren ist es dieser gelöste Sigmar Gabriel, der das Ergebnis der Basisbefragung präsentiert: Eine deutliche Mehrheit der SPD-Mitglieder hat sich entschieden, ein zweites Mal mit Angela Merkel zu regieren. Es ist das Meisterstück seiner Zeit als Parteivorsitzender. Sigmar Gabriel gelingt es, davon zu überzeugen, dass Opposition Mist ist.
SPD hat Mindestlohn und die Rente mit 63 umgesetzt
"Was wir jetzt machen wollen ist, die 24 Prozent in den kommenden vier Jahren davon zu überzeugen, dass die 76 Prozent Recht hatten!"
Das allerdings ist ihm nicht gelungen. Obwohl die SPD mit Mindestlohn und Rente mit 63 zwei sozialdemokratische Kernanliegen umsetzen konnte, hat die Partei ein historisches Debakel erlebt, gerade mal 20,5 Prozent der Wähler schenken ihr noch das Vertrauen. Jene Sozialdemokraten, die schon 2013 gegen die Wiederauflage der Großen Koalition stimmten, sehen sich bestätigt.
Am 24. September stellt sich für Gabriels Nachfolger Martin Schulz die Frage, ob er mit diesem katastrophalen Ergebnis überhaupt bleiben kann. Am Nachmittag, als ihn die ersten Trends der Demoskopen erreichen, macht ihm Thomas Oppermann klar, dass er Andrea Nahles die Führung der Fraktion überlassen muss. Niemand wagt es allerdings, dem intern so gefeierten Hoffnungsträger Schulz den Parteivorsitz zu entreißen. Wenige Minuten nach Schließen der Wahllokale macht er seinen Führungsanspruch öffentlich geltend:
"Wir werden also die kommenden Wochen und Monate dazu nutzen müssen, uns als SPD grundsätzlich neu aufzustellen. Ich empfinde es dabei als gerade erst neu gewählter Vorsitzender der SPD als meine Aufgabe und als meine Verpflichtung, diesen Prozess für und mit den Mitgliedern der SPD zusammen zu gestalten!"
Nur wer diese Momente im Willy-Brandt-Haus miterlebt hat, kann nachvollziehen, warum der im März mit 100 Prozent zum SPD-Chef gewählte Schulz seine Partei nach der Wahl immer wieder verbissen und ohne Wenn und Aber zu einer Nicht-Regierungsorganisation erklärt hat. Als er seinen Führungsanspruch erneuert, sind die bekannten "Martin, Martin"- Rufe wieder zu hören. Doch es ist vor allem der dann folgende Jubel, der ihm zeigt: Mit der unmissverständlichen Ansage, in die Opposition zu gehen, trifft Schulz einen Nerv.
Endlich eine Zukunft ohne Merkel!
"Mit dem heutigen Abend endet zugleich unsere Zusammenarbeit mit der CDU und der CSU in der Großen Koalition!"
Eine Last scheint von der Partei zu fallen: Endlich eine Zukunft ohne Merkel! Schulz schaut ungläubig in die Augen seiner Anhänger, so als habe er sich nicht ausmalen können, dass sie angesichts des Wahlergebnisses zu solchen Begeisterungsstürmen fähig sein könnten. Ein Nein zu einer Regierungsbeteiligung ist die Garantie für seine Wiederwahl beim Parteitag im Dezember, das war seine Lehre aus dieser überschwänglichen Reaktion.
Niemand, so das Kalkül, keine Andrea Nahles, keine Manuela Schwesig, kein Olaf Scholz würde es wagen, einem derart umjubelten Wahlverlierer die SPD-Führung streitig und sich als Königsmörder verhasst zu machen.
Und in der Tat: Als die Parteispitze am Morgen nach den geplatzten Jamaika-Verhandlungen vor gut zwei Wochen über die neue Lage berät, gibt es zwar mahnende Stimmen – Stephan Weil etwa, gerade zum Chef einer Rot-schwarzen Regierung in Niedersachsen gewählt, warnt davor Gespräche mit der Kanzlerin weiterhin auszuschließen – am Ende aber wird ein einstimmiger Beschluss gegen eine Regierungsbeteiligung gefasst:
"Wir werden nicht in eine Große Koalition eintreten und gleichzeitig ist unsere Position die, dass wir Neuwahlen für den richtigen Weg halten!"
Größter Fehler von SPD-Chef Martin Schulz
Dieser Satz, gesprochen Minuten bevor Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Sozialdemokrat mit ruhendem Parteibuch, die eigenen Genossen zum Umdenken auffordert, charakterisiert den wohl größten Fehler des SPD-Vorsitzenden.
Der Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs hatte sich zwar umgehend dafür ausgesprochen, sich nicht kategorisch auf Neuwahlen festzulegen. Dennoch nimmt der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises Martin Schulz in Schutz:
"Das war das Stimmungsbild in der SPD zu dem Zeitpunkt. Dann hat der Bundespräsident ja auch darauf reagiert und hat gesagt, wie er das sieht. Also ist es doch nur anständig, dass man dann wiederum auf den Bundespräsidenten reagiert, und dann sagt, jawohl, wenn der Bundespräsident das von uns verlangt und von allen, dann tun wir das. Und man sieht einfach einen Prozess, wo sich alle Parteien im Moment entwickeln. Das ist gerade demokratietechnisch was Wichtiges!"
Andere aber halten Schulz vor, die Genossen amateurhaft und ohne strategische Weitsicht in eine Sackgasse geführt zu haben. Denn ob es Neuwahlen gibt, liegt nicht in der Hand des SPD-Vorsitzenden. Vor allem aber war zu erwarten, dass der Bundespräsident, der immerhin als sozialdemokratischer Außenminister und Vizekanzler vier Jahre lang an der Seite von Angela Merkel regiert hat, an die Gesprächsbereitschaft der Sozialdemokraten appellieren würde.
SPD könne sich nicht wie ein trotziges Kind verhalten
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass man irgendwie gar nicht miteinander redet, das wäre ja kindisch. Die SPD kann sich ja nicht wie ein trotziges Kind verhalten."
So, der geschäftsführende Justizminister Heiko Maas. Über Tage hinweg aber verhielt sich der Parteivorsitzende wie ein solches Kind. Dass etwa 30 Abgeordnete der SPD-Bundestagsfraktion gegen ihn aufbegehrten, traf Schulz unerwartet. Und auch ein alter Freund, der sich bis dahin sehr zurückgehalten hatte, obwohl er es schon am Wahlabend für falsch hielt, den Weg in die Opposition so deutlich auszurufen, meldete sich in einer denkwürdigen Fraktionssitzung zurück: Sigmar Gabriel.
Seine Zeit ist vorbei, hieß es unisono aus der Parteispitze, als noch alle Zeichen auf Jamaika standen. Der Ex-SPD-Chef und Noch-Außenminister schien auf dem Weg zum einfachen Abgeordneten mit viel Zeit für die Familie. Vergangenen Freitag verrät er aber in einer NDR-Talkshow, wie seine Frau darauf reagierte, dass sich eine neue Lage für die Sozialdemokraten ergeben hat.
"Als es dann platzte mit Jamaika hat sie 'ne SMS geschickt: Sag nicht, es geht weiter!?!"
Es geht weiter! Mit Gabriels Sprunghaftigkeit hatten viele Sozialdemokraten Probleme. Jetzt aber heißt es hinter vorgehaltener Hand, wäre einer von seinem Kaliber genau der Richtige. Gabriel selbst lässt durchblicken, wie sehr ihn die Fehler seines Nachfolgers geärgert haben.
Sigmar Gabriel kritisert "zu wenig Führung" in der SPD
Einen Affront gegen Schulz vor den SPD-Abgeordneten kann er sich nicht verkneifen. Derzeit habe er den Eindruck, so seine Botschaft, dass in der Partei zu wenig geführt werde. Einer wie Gabriel hätte von Beginn an alle Optionen offen gehalten, einer wie er hätte zugleich aber früh deutlich gemacht, welche inhaltlichen Bedingungen mit der Verlängerung der Koalition verknüpft wären.
"Ich glaube, dass es inhaltlich Differenzen geben wird, zum Beispiel zu Europa. Ich persönlich, die SPD glauben, dass die Franzosen richtig gute Vorstellungen zu Europa haben. Es gibt in der CDU/CSU richtige Gegner dieser Vorstellungen, deswegen wird man Zeit brauchen, und ich glaube, dass das offen ist."
Die Reform Europas könnte gerade Schulz zu einem zentralen Thema machen, mit dem sich eine Neuauflage der Großen Koalition rechtfertigen ließe. Andere wünschen sozialpolitisch etwas ganz Großes: Die Bürgerversicherung, das Ende des Nebeneinanders von gesetzlicher und privater Krankenversicherung. Auch ein Bildungspakt könnte ins Spiel kommen, im Wahlkampf hatte Schulz versprochen, die bildungspolitische Kleinstaaterei anzupacken. Darüber werden die Delegierten auf dem Parteitag debattieren.
Die defensive Art aber, mit der Martin Schulz auf die neue Situation reagiert, ist einem Sigmar Gabriel zuwider. Auf dem Juso-Bundeskongress Ende November etwa macht der SPD-Vorsitzende unfreiwillig den Eindruck, noch völlig planlos zu sein.
"Ich strebe keine Große Koalition an, Genossinnen und Genossen. Ich strebe auch keine Minderheitsregierung an, oder heute hat einer gesagt: Kenia! Schwarz-grün-Rot, ich strebe auch kein Kenia an, ich strebe auch keine Neuwahlen an, ich streb gar nix an. Wisst Ihr was ich anstrebe? Dass wir die Wege miteinander diskutieren, die die besten sind, um das Leben der Menschen jeden Tag ein kleines Stück besser zu machen."
Alle Optionen sind möglich. Minderheitsregierung, Neuwahl, Groko. Der SPD-Parteivorstand hat sich am Montag immerhin für "ergebnisoffene Gespräche" mit der Union ausgesprochen. Es gibt keinen Automatismus für eine Große Koalition.
Als letzte Woche dieser Eindruck aus Unionsreihen gestreut wurde, griff Schulz gleich zum Telefonhörer. So schafft man kein Vertrauen, hat er Angela Merkel gesagt, noch unter dem Eindruck, dass die Sozialdemokraten bei der Entscheidung über das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat vom Noch-Partner CDU/CSU hintergangen wurden.
Jusos: "Nein zur Groko!"
Spricht das nicht für sein klares Ja zur Opposition? Am Donnerstag, auf dem Parteitag muss Martin Schulz den Delegierten seine 180 Grad Kehrtwende erklären. Die Jusos haben schon Widerstand angekündigt. "Nein zur Groko!" heißt es in einem Antrag der jungen Sozialdemokraten, doch Schulz kontert: "Parteien wie die SPD müssen sich auf neue Lagen einstellen", hat er gesagt. "Auch wenn das nicht immer elegant aussieht!"
In der Tat: Sein Weg bis zu dieser Einsicht war alles andere als elegant. Bei den einfachen Mitgliedern ist die Beliebtheit des Martin Schulz dennoch ungebrochen.
"Ich denke, da wird er die richtige Entscheidung treffen und die Partei auch richtig führen."
"Wir haben jetzt den Vorsitzenden Martin Schulz, und das ist gut so!"
"Hallo? – Guten Tag, Andrea Nahles, kann ich kurz mit Ihnen sprechen? – Ich bin sehr erkältet, aber ich mache Ihnen trotzdem auf. – Das ist sehr nett!"
Mayen in der Eifel, zu Besuch in der Heimat der Ex-Arbeitsministerin und Noch-Oppositionsführerin. Andrea Nahles auf Tuchfühlung mit den Wählerinnen und Wählern. Es ist Mitte November, die Fronten waren damals noch geklärt, die SPD wird nicht mehr regieren, und jetzt und hier beginnt die Aufarbeitung des Wahlergebnisses, die Neuaufstellung der SPD, die Martin Schulz am Wahlabend eingefordert hatte.
"Hallo, Tach! Andrea Nahles ist mein Name! – Kommen Sie rein! – Nä, ich will jetzt gar nicht groß reinkommen – Doch… – Seid Ihr Kappes am entschälen – Ja, sind am Kochen – Dat riecht aber auch jut."
Eine ältere Dame freut sich über den prominenten Besuch. Zwar wird gerade das Mittagessen vorbereitet, aber Nahles wird an der Küche vorbei ins Wohnzimmer gelotst. Der Kamin bullert, es ist muckelig warm, zwei Stunden schon ist die Oppositionsführerin in der Novemberkälte unterwegs, da lässt sie sich dann doch überreden, auf dem Sofa Platz zu nehmen.
"Wir haben 'ne schwere Schlappe erlebt bei der Wahl, und da haben wir uns überlegt, dass wir jetzt versuchen, das besser zu machen beim nächsten Mal. – Meine Tochter hat gerade noch gesagt: Die armen Leutche, die mit ihrer Rente nicht auskommen, nicht von der Arbeit leben können – Ja, das ist ein Riesenproblem. – Das ist ja wirklich eine Katastrophe!"
Solidarrente könnte Thema werden im Falle einer GroKo
Für Andrea Nahles eine gute Gelegenheit, für ein SPD-Anliegen zu werben, das auch eine Rolle spielen wird, sollte es doch noch einmal zu einer Koalition mit der Union kommen. Die Sozialdemokraten fordern eine Solidarrente, die bei langjährig Beschäftigten als Zuschuss zur Altersrente gezahlt wird. Die Lebensleistung jedes einzelnen muss wieder honoriert werden, erklärt Nahles.
"Deswegen haben wir gesagt, man muss eigentlich so ne Mindestrente schaffen, dass man da nit in diese Sozialhilferente reinfällt – Glauben Sie, dass das reicht? Miete und Nebenkosten und alles ? – Das reicht nicht. Ich weiß nit, wie das hier ist, die Mieten sind doch auch massiv gestiegen. Ich hab jetzt nach Jahren in Berlin 'ne neue Wohnung gebraucht, da würde ich mal sagen, seit 2000 haben sich die Mietpreise verdoppelt, aber die Gehälter der Leute haben sich nicht verdoppelt. – Dat is dat ja – Und die Renten haben sich auch net verdoppelt in der Zeit!"
Wurde deshalb die SPD nicht gewählt? Immerhin haben die Sozialdemokraten die Mietpreisbremse erfunden, gewirkt hat sie nicht. Hier in einer Siedlung mit schmucken Einfamilienhäusern versucht Andrea Nahles herauszufinden, worüber sich die Wähler am meisten geärgert haben, warum am Ende nur noch ein Fünftel der Stimmberechtigten ihr Kreuz bei der SPD machten, selbst hier, wo es früher eigentlich mal ganz gut lief.
Auch der Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer sucht den Draht zum Nicht-SPD-Wähler. Der Bochumer fährt mit einer altertümlichen Straßenbahn durch seine Heimatstadt, eine rollende Sprechstunde soll das sein, so ungewöhnlich ist das, dass Schäfer sogar Besuch und Spott der heute-show vom ZDF ertragen muss.
"Das ist eine historische Straßenbahn, wo interessierte Bürger durch Bochum fahren! – Also nicht der Schulz-Zug. Gut, für einen Schulz-Zug ist es hier auch viel zu schnell und zu modern. – Nein, das stimmt nicht! Martin Schulz ist schon moderner als diese Bahn!"
Genosse Schäfer trägt Wende von SPD-Chef Schulz mit
Auf Schulz lässt Schäfer nichts kommen, das gemächliche Tempo, mit dem der SPD-Vorsitzende nun den Zug in Richtung Große Koalition fahren lässt, hält er für angemessen. Schäfer ist der dienstälteste Parteitagsdelegierte der Genossen, seit 1977 dabei, auch am Donnerstag in Berlin wieder. In seinem Bundestags-Büro hängen viele Plakate und Fotos von Willy Brandt, für ihn war der Mann, der über den Umweg einer Großen Koalition ins Kanzleramt kam, immer ein Idol. Die Wende des Martin Schulz trägt Schäfer mit. Es ging gar nicht anders, als nach der Wahl erst mal den Gang in die Opposition anzukündigen, sagt er.
"Nach der ersten Groko mit Steinmeier haben wir elf Prozent verloren. Die größte Abstimmungsniederlage seit 1920, man muss einfach die Dimension sich mal vorstellen. Jetzt haben wir wieder über fünf Prozent verloren, das heißt doch für uns, es gibt offensichtlich einen Widerspruch, dass viele Bürgerinnen und Bürger sagen, ja Große Koalition ist vernünftig, aber dann dieselben Bürgerinnen und Bürger bei der Wahl sagen: Nö, die SPD wählen wir nicht, obwohl sie in der Großen Koalition gut gearbeitet hat!"
Martin Schulz wird sich gleich am ersten Tag des Parteitages grünes Licht für die Aufnahme von Gesprächen mit der Union holen, seine Wiederwahl mit gutem Ergebnis gilt als sehr wahrscheinlich. Anfang Januar wird es Sondierungen geben. Mitte Januar soll ein kleiner Parteitag über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entscheiden.
Angela Merkel wolle keine "Minderheitskanzlerin" sein
Zwar bringen führende Sozialdemokraten immer wieder auch die Tolerierung einer Minderheitsregierung ins Spiel, aber auch unter Sozialdemokraten überwiegt die Ansicht, dass die CDU-Chefin alles dagegen tun wird, als erste Minderheitskanzlerin in die Geschichtsbücher einzugehen: Sie wäre eine Kanzlerin auf Abruf. Hamburgs Bürgermeister, der Schulz-Stellvertreter Olaf Scholz, der mit einem "Wir-Hätten-Gewinnen-Können"-Papier einen Monat nach der Wahl gegen den eigenen Vorsitzenden stichelte, wünscht sich daher, der Bundespräsident würde gleich den Weg für Neuwahlen freimachen.
"Wenn die Beteiligten sich für Neuwahlen entscheiden, das tun in der sicheren Vorstellung, dass sie so ausgehen wie die letzte Wahl, dann dürften sie es erst gar nicht tun. Sondern das macht ja nur dann Sinn, wenn man aus dem Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern den Eindruck erweckt bekommt, dass die eigentlich ein anderes Wahlergebnis lieber herbeiführen würden."
Dafür allerdings spricht derzeit wenig, vor allem dann, wenn das Duell noch einmal Merkel gegen Schulz heißen sollte. Die Sozialdemokraten haben die Wahl zwischen Pest und Cholera: Sollten sie Verhandlungen mit der Union platzen lassen, könnten sie vom Wähler abgestraft werden, weil sie sich der Verantwortung entziehen, gehen sie aber ein drittes Mal in eine Regierung Merkel könnte ihnen Ähnliches drohen wie 2009 und 2017.
"Die SPD lässt sich nicht demütigen!" Prophezeit Axel Schäfer. Die Kanzlerin werde einen hohen Preis zahlen müssen, um die Sozialdemokraten noch einmal als Partner zu gewinnen. Ein Maximum des Wahlprogramms will Schulz durchsetzen. Als billiger Lückenbüßer werde man nicht zu haben sein:
"Frau Merkel hat nach der Wahl gesagt, wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten seien über längere Zeit hinaus nicht regierungsfähig. Dieselbe Frau Merkel und ihre Union sagt jetzt, da gibt es ja noch die guten Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Frau Merkel ist eine schlaue und geschickte Politikerin – zu ihren Gunsten, aber sehr oft zu Lasten der SPD. Und das werden wir nicht so einfach hinnehmen."
Knapp 450.000 SPD-Mitglieder werden letztlich in der Hand haben, wie es in Deutschland weitergeht. Ganz bewusst steht die Abstimmung über einen möglichen schwarz-roten Koalitionsvertrag ganz am Ende. Die Hemmschwelle "Nein" zu sagen ist dann größer – die Ablehnung eines von der Spitze vorgelegten Vertrages müsste nahezu zwangsläufig zum geschlossenen Rücktritt führen.
Sigmar Gabriels Traumjob: Außenminister
Denkbar, dass Sigmar Gabriel dabei helfen wird, den Coup von 2013 zu wiederholen. Dass er seinen Traumjob gefunden hat, daraus macht er keinen Hehl. Ein Grund mehr für den Parteistrategen, sich jetzt noch bedeckt zu halten und abzuwarten:
"Wenn ich jetzt sage, ich bin für eine Große Koalition, ist die erste Reaktion: Ist doch klar, der will nur Außenminister bleiben. Dass ich möglicherweise eine Vorstellung darüber habe, was in diesem Land hier passieren muss, geht dabei völlig unter! Ich werde einen Deifel tun!"