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SPD vor Gesprächen mit der Union
"Nicht mit Rucksack voll roter Linien in Verhandlungen gehen"

SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles hat harte Diskussionen mit der Union über eine mögliche neue Große Koalition angekündigt. Es gebe keinen Automatismus für eine neue Groko, sagte sie im Dlf. Gleichzeitig betonte sie, man solle nicht schon im Vorhinein Bedingungen für eine Koalition stellen.

Andrea Nahles im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles steht beim Bundesparteitag der SPD am 07.12.2017 in Berlin am Rednerpult.
    Andrea Nahles auf dem Bundesparteitag der SPD (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Man habe beschlossen, miteinander zu reden, mehr aber nicht. Ob es anschließend zu einer Sondierung komme, hänge davon ab, ob sie und Parteichef Schulz das Gefühl hätten, dass man auch weiterkomme. Nahles betonte, für die ersten Gespräche gebe es keine Vorbedingung. Die inhaltlichen Verhandlungen hätten auch noch nicht begonnen. Doch die SPD habe natürlich viele wichtige Punkte, die sie in den Gesprächen anbringen werde, darunter seien beispielsweise die Bekämpfung der Altersarmut und mehr Wohnraum. Die Linie für die Gespräche sei gestern beim Parteitag festgelegt worden.
    Mehr Auseinandersetzung im Parlament
    Dass die SPD eine Große Koalition zunächst ausgeschlossen hatte, begründet Nahles mit dem Wahlergebnis. Daraus habe die Partei nicht den Schluss eines "Weiter so" gezogen. Sie forderte für die Zukunft unabhängig von einer Regierungsbildung mehr politische Auseinandersetzung zwischen Union und SPD. "Das werden wir im Parlament einfordern".

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Am Telefon ist jetzt Andrea Nahles, die Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen.
    Andrea Nahles: Guten Morgen, Herr Heinemann.
    Heinemann: Stehen, wie Frank Capellan gesagt hat, die Zeichen auf GroKo?
    Nahles: Nein! Es ist jetzt erst mal eine ganz klare Rückendeckung für weitere Gespräche mit der CDU/CSU vom Parteitag gegeben worden. Sie werden aber sicher gemerkt haben: Es hat Stunden gedauert, diese Debatte zu führen, weil es natürlich auch eine Frage war, die jetzt plötzlich wieder auf dem Tisch stand, nachdem die Verhandlungen der Jamaika-Sondierer krachend gescheitert sind. Und insoweit ist es nicht mehr, aber auch nicht weniger, als dass wir jetzt Gespräche führen.
    Heinemann: Die Deutsche Presseagentur meldet heute, die Spitzen von Union und SPD würden sich am kommenden Mittwoch bereits treffen. Können Sie den Termin schon mal bestätigen?
    Nahles: Ja.
    Heinemann: Gut. Also es soll schnell gehen?
    Nahles: Ja, weil wir haben jetzt bald Weihnachten, sage ich mal.
    Heinemann: Stimmt, da war was.
    Nahles: Da war was.
    Nicht den Schluss eines "weiter so!" gezogen
    Heinemann: Genau. – Warum ziert sich die SPD so mit der GroKo?
    Nahles: Das hat mit Zieren nichts zu tun, sondern die Wählerinnen und Wähler haben der Großen Koalition, so wie sie war, wie sie auch im letzten halben Jahr war, ein Minus von 14 Prozent beschert. Daraus haben wir nicht den Schluss eines "weiter so!" gezogen, und das war, glaube ich, auch richtig. Egal was jetzt kommt, wie es weitergeht, ich bin auch der Meinung, dass wir wieder mehr politische Auseinandersetzung, mehr Kontur auch zwischen CDU/CSU und SPD brauchen, und das werden wir – ich bin ja Fraktionsvorsitzende im deutschen Parlament - auch umsetzen und einfordern.
    Heinemann: Ist die Bürgerversicherung vom Tisch?
    Nahles: Nein! Es ist so, dass es ein wertschätziger Punkt schon seit vielen Jahren ist zwischen der SPD und der Union. Die wollten ja früher mal so eine Kopfpauschale und haben sich da auch vertrippelt. Wir stehen aber zum Abbau der Zwei-Klassen-Medizin. Wie weit wir da kommen, das wird man sehen. Ich kann das jetzt überhaupt noch nicht sagen. Die inhaltlichen Gespräche mit der Union haben überhaupt noch nicht begonnen. Ich weiß nur aus den Verhandlungen 2013: Harter Punkt.
    Heinemann: Heißt das, ohne Bürgerversicherung keine GroKo?
    Nahles: Wir haben keine Bedingungen gestellt gestern. Wir haben essentiell wichtige Punkte für uns definiert. Da gehört auch die Bürgerversicherung dazu. Aber man geht nicht in Verhandlungen mit einem riesen Rucksack von roten Linien. Dann kann man das sich mit den Verhandlungen auch sparen.
    Was der SPD am Herzen liegt
    Heinemann: Es gibt keine einzige Bedingung, die die GroKo gefährden würde?
    Nahles: Natürlich gibt es viele Bedingungen, aber nicht die eine, die Sie gerade genannt haben. Ich mache jetzt nicht hier die Verhandlungen mit Ihnen auf, Herr Heinemann. Nichts für Ungut, aber wir haben noch gar keine Verhandlungen. Wir haben ganz klare Punkte, die auch gestern noch mal im Leitantrag der SPD. Wir haben ein Wahlprogramm. Wir haben erste Gespräche mit der Union. Wir sind noch nicht in Sondierungen, wir sind noch nicht in Verhandlungen. Und ich sage Ihnen: Jeder, der weiß, was der SPD am Herzen liegt, ob das die Bekämpfung der Altersarmut ist, ob das mehr Investitionen in bezahlbare Wohnungen sind, ob das die Bürgerversicherung ist, einen vernünftigen Klimaschutz, das sind alles zentrale Punkte. Aber wie gesagt: Wir können ja nicht jetzt uns hinstellen – da gab es auch gestern Diskussionen mit den Jusos – und sagen, alles ist jetzt eine rote Linie. Nur das habe ich gesagt. Aber dass wir eine ganze Menge von strittigen Punkten haben, zum Beispiel auch die Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit für Frauen, die in der Teilzeitfalle stecken – ein riesen Thema -, das sind natürlich alles sehr wichtige Fragen. Und ob wir wirklich dann zu Sondierungen kommen, hängt auch davon ab, ob wir, Martin Schulz und ich das Gefühl haben, wir kommen überhaupt einige Meter mal weiter, wir kriegen ein sehr gutes Paket von Schnittmengen und Gemeinsamkeiten überhaupt hin. Das wissen wir ja noch gar nicht.
    Heinemann: Aber, Frau Nahles, es klingt jetzt schon wieder so, als rudere die Partei oder der Parteivorstand zurück. Noch vor einigen Tagen hieß es, Bürgerversicherung, Familiennachzug für Flüchtlinge, das sind absolute Bedingungen, ohne die gehen wir gar nicht in eine GroKo rein. Jetzt klingt es schon wieder ein bisschen wie nach der Wahl. Erst hieß es, auf keinen Fall eine GroKo, und jetzt heißt es, na ja, vielleicht dann doch. Wo ist der Kern der SPD oder mit welchen Inhalten gehen Sie in solche Verhandlungen?
    Nahles: Entschuldigung! Wir haben gestern den ganzen Tag stundenlang darüber geredet, und ich finde das überhaupt nicht. Es haben einzelne Leute Themen genannt, die ihnen auch wichtig sind, und das ist auch gut so gewesen. Aber die Linie, mit welcher Linie wir reingehen in erste Gespräche mit der Union, ohne dass es daraus schon die Konsequenz gibt, dass es Sondierungen oder Verhandlungen gibt, die haben wir gestern festgelegt. Die können Sie nachlesen. Dafür hat es eine breite Mehrheit auf dem Parteitag gegeben. Da ist die Bürgerversicherung dabei.
    Vielleicht reden wir hier um den heißen Brei herum. Ich bin jemand, der sagt, rote Linien, was heißt das. Ich habe ganz viele Punkte, die mit der Union in den letzten Monaten, weil die auch schon nach Jamaika geschielt haben, nicht mehr möglich waren. Zum Beispiel ein Herzensanliegen von mir ist die Solidarrente, also für langjährig Versicherte eine Mindestrente zu schaffen in Deutschland, damit die nicht mehr zum Amt gehen müssen. Das ist nämlich unwürdig. Deswegen sind das eine ganze Reihe von Punkten, die wir gestern festgelegt haben. Die kann jeder sich in Deutschland angucken. Das ist die Grundlage. Und wir haben ein Wahlprogramm. Das ist die Grundlage. Da gibt es eine Menge Zündstoff und deswegen sage ich auch, es gibt keinen Automatismus, dass wir nachher in einer GroKo landen, sondern es sind harte Diskussionen notwendig, und ich weiß nicht, was die Union da wirklich auch bereit ist mitzumachen. Mein Eindruck ist, dass da ganz viel...
    Die Vereinigten Staaten von Europa
    Heinemann: Das wissen wir dann ab Mittwoch.
    Nahles: Das wissen wir noch nicht ab Mittwoch, sondern das müssen wir erst mal gemeinsam auswerten. Die SPD-Gremien werden wir, also Martin Schulz, dann ja auch noch mal informieren, was wir da für einen Eindruck haben.
    Heinemann: Es gibt noch ein weiteres Themenfeld, nämlich Europa, und wir wollen uns kurz anhören, was Martin Schulz gestern zu Europa gesagt hat.
    O-Ton Martin Schulz: "Warum nehmen wir uns eigentlich jetzt nicht vor, spätestens im Jahre 2025 diese Vereinigten Staaten von Europa verwirklicht zu haben. Ich will, dass es einen europäischen Verfassungsvertrag gibt. Und wer dann dagegen ist, der geht dann eben aus der Europäischen Union raus."
    Heinemann: Diese Äußerung kommentierte "Zeit Online" gestern: "So ruiniert man Europa." Unterstützen Sie Martin Schulz dabei?
    Nahles: Das ist ein langfristiges Ziel, das die SPD schon lange hat, und niemand wird bestreiten können, dass die institutionellen Grundlagen der Europäischen Union nicht mehr zeitgemäß sind. Deswegen ist das nächste, was wir anpacken müssen, ganz konkret die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion. Nächster Schritt muss auch sein, dass wir den EU-Haushalt zu einem Investitionshaushalt machen und auch soziale Mindeststandards realisieren, also eine Vertiefung. Und wir haben in den letzten Jahrzehnten erlebt vor allem eine Verbreiterung, eine Vergrößerung der Europäischen Union, und wir merken jetzt, dass das an Grenzen kommt. Deswegen ist das eine absolut wichtige Zielbeschreibung; das ist aber auch eine langfristige Zielbeschreibung.
    Heinemann: 2025! So langfristig ist das nicht.
    Nahles: Na ja. Das sind aber noch ein paar Jahre.
    Heinemann: Das ist offizielle SPD-Politik?
    Nahles: Ich habe Martin Schulz gestern ja zitiert. Das haben Sie jetzt gerade nicht mehr gebracht. Das ist ja seit dem Heidelberger Programm Anfang der 20er-Jahre eine Vision, die die SPD verfolgt.
    Heinemann: Andrea Nahles, die Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Danke schön für das Gespräche und auf Wiederhören.
    Nahles: Danke sehr, Herr Heinemann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.