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SPD vor möglichen Koalionsgesprächen
"Da muss jetzt ein bisschen Zurückhaltung kommen"

Der CDU-Wirtschaftspolitiker Klaus-Peter Willsch appelliert an die SPD, bei ihren Forderungen für den Eintritt in eine Koalition Zurückhaltung zu üben. Die SPD habe in der bisherigen Großen Koalition schon viel erkämpft, sagte er im Dlf. Zudem gebe es Politikfelder, in denen man sich weitgehend einig sei.

Klaus-Peter Willsch im Gespräch mit Dirk Müller | 01.12.2017
    Der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch.
    Der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch fordert seine Partei auf, über die Zeit nach Merkel nachzudenken (imago/Wieland Wagner)
    Dirk Müller: Was steht denn nun an nach dem Gespräch, zu dem Frank-Walter Steinmeier die drei Großen verpflichtet hat, Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz im Schloss Bellevue? Schluss mit der Bockigkeit, vielleicht Schluss mit der Ratlosigkeit, oder auch Schluss mit der Lustlosigkeit aufs Regieren? Gestern Abend dieses Treffen. Alle Beteiligten haben Stillschweigen vereinbart. Und wir haben das eben von unserem Korrespondenten Theo Geers erfahren: Alle Beteiligten haben sich auch daran gehalten. Dennoch begrüßen wir jetzt nun am Telefon den CDU-Politiker Klaus-Peter Willsch, der beispielsweise in der Euro-Frage gegen die Vorgaben der Unions-Fraktion gestimmt hat, zu den parteiinternen Kritikern des Merkel-Kurses zählt. Trotzdem ist er wieder eingezogen in den Bundestag. Guten Morgen!
    Klaus-Peter Willsch: Guten Morgen, Herr Müller!
    Müller: Herr Willsch, haben Sie denn wenigstens Lust, noch einmal mit der Kanzlerin zu regieren?
    Willsch: Ja. Die Kanzlerin, die ist ja nun unsere Anführerin in diesen Verhandlungen und danach auch unserer Regierung, wenn es zu einer kommt. Aber dass wir insgesamt uns natürlich auch über die Zeit nach Merkel intensiv Gedanken machen müssen in der Union, ist ja offenkundig.
    Müller: Wann beginnt die Zeit nach Merkel?
    Willsch: Das sehen wir dann. Jetzt kommt es erst mal darauf an, dass wir aus dem Status der geschäftsführenden Regierung hinüber kommen und versuchen, aus dem Wählerauftrag das Beste zu machen. Und ich denke, dass wir da natürlich auf dem Fahrersitz sind als Union, das ist klar. Die SPD muss angesichts der Tatsache, dass gerade mal jeder Fünfte sie noch gewählt hat, das auch ein bisschen demütig zur Kenntnis nehmen. Wenn wir vernünftig uns auf Dinge konzentrieren, wo wir übereinstimmen, und vor allen Dingen das zentrale Problem der ungeregelten Zuwanderung entschlossen angehen, was sicher wahlentscheidend war für sehr viele, dann haben wir gute Chancen, da was draus zu machen.
    Müller: Herr Willsch, wir haben ein bisschen Schwierigkeiten, akustisch Sie gut zu verstehen. Vielleicht können Sie Ihre Position ein bisschen verändern, vielleicht irgendwo anders noch im Raum hingehen. Vielleicht wird es dann etwas besser. Ich möchte da noch mal nachfragen, weil Sie sagen, wir müssen gleich für die Zeit nach Merkel auch nachdenken und dafür auch eine Lösung finden. Das sagen Sie gleich in der ersten Antwort, hat mich jetzt ein bisschen überrascht. Deswegen möchte ich da noch mal nachfragen. Das heißt, die Zeit nach Merkel - darüber wird seit Jahren ja geschrieben, in den vergangenen Monaten immer mehr, in den vergangenen Tagen massiv -, ist das eine substanzielle Diskussion in der Unions-Fraktion, in der Partei?
    Willsch: Wenn Sie in der Basis unterwegs sind, dann werden wir natürlich häufig gefragt, wie geht denn das weiter, auch gerade vor dem Hintergrund, dass ja auch das Thema Neuwahlen noch nicht wirklich vom Tisch ist, ob man mit gleichem Personal und gleichem Programm erfolgreicher sein könnte in der Wiederholung. Das wird natürlich gefragt. Aber ich glaube, wenn wir uns ernsthaft daran machen, die Probleme, die die Menschen umtreiben, zu lösen, dann können wir da auch viel Vertrauen zurückgewinnen. Es muss aber klar sein, auch jetzt, wenn wir mit Sozialdemokraten reden über eine mögliche weitere Große Koalition, dass man dann so ein bisschen die Gesamtschau machen muss. Bis zur Wahl im September haben die SPD-Leute viele ihrer Wünsche erfüllt bekommen, Mietpreisbremse, Mindestlohn, was auch immer, und das muss man alles mit in Rechnung ziehen. Man kann nicht sagen, das ist abgefrühstückt, und jetzt kommen die neuen sozialpolitischen Themen heraus.
    "Dirigistischen Verbotsdinge, die mit den Grünen einher gehen"
    Müller: Das heißt, die SPD war durchaus erfolgreich?
    Willsch: Die SPD hat, wenn Sie sich die Programme anschauen, natürlich zum Teil eine schlechte Durchsetzungsquote gehabt. Das kann man schon sagen. Gerade wir als Wirtschafts- und Haushaltspolitiker haben da gelegentlich drunter gelitten. Aber wir wussten ja nun, wir brauchen immer Mehrheiten im Parlament und wir müssen den Koalitionsvertrag auch erfüllen. Aber wir müssen diese Gesamtschau machen, denn es ist ja offenkundig, dass wir für wirtschaftsliberal und ordnungspolitisch orientierte Menschen als Union ein Angebot machen müssen und dass wir auch vor allen Dingen die zentrale Frage der illegalen Zuwanderung und der Beendigung derselben entschlossen lösen müssen, denn da haben wir den größten Vertrauensverlust erlitten.
    Müller: Dann war das für Sie und für Ihre politische Haltung, Herr Willsch, wirklich ein Schlag in die Magengrube, als Christian Lindner gesagt hat, so nicht, mit uns nicht?
    Willsch: Na ja. Mit den Grünen im Beiboot, da habe ich nun auch keine Lust drauf gehabt. Denn gerade wenn Sie sich anhören, was die Spitzen-Grünen nach Scheitern der Verhandlungen zum Thema illegale Zuwanderung gesagt haben – ich erinnere an Frau Göring-Eckardt, die gesagt hat, wenn wir jetzt mitregieren würden, dann würde es den Flüchtlingen besser gehen in Deutschland. Ich glaube nicht, dass das die wesentliche Botschaft ist, die die Leute hören wollen. Die wollen von uns hören, dass wir das geregelt bekommen und keine ungeregelte Zuwanderung mehr zulassen.
    Müller: Das wäre der Wermutstropfen gewesen. Aber die FDP für Sie klare Priorität?
    Willsch: Ja, aber selbstverständlich! Nicht nur das, es gibt schon noch ein bisschen mehr. Diese dirigistischen Verbotsdinge, die mit den Grünen einher gehen, dieses Besserwisserische und erziehen wollen, das ist schon etwas, was mich massiv stört. Da bin ich, ehrlich gesagt, nicht besonders gram drum, dass das dann nicht geklappt hat.
    Müller: Das heißt, die Sache ist ja sowieso jetzt einmal politisch erledigt. Einerseits ein bisschen aufatmen, andererseits ein wenig Probleme für Sie, dass die Liberalen nicht zum Koalitionspartner werden. Kommen wir zurück zur Ausgangslage beziehungsweise zu der Lage, die wir jetzt haben. Wir wissen ja gar nicht, was das für eine Ausgangslage ist. Sie sagen auch ganz klar in der Situation, alle müssen Staatsräson ganz nach oben auf die Fahne schreiben. Wir müssen wieder mit den Sozialdemokraten?
    Willsch: Ich habe ja die Haltung der Sozis darüber so nie verstanden. Man kann sich ja nicht hinstellen, wie das der Herr Schulz gemacht hat am Wahlabend, und um 18:03 Uhr verkünden, wir gehen jetzt in die Opposition, für uns kommt nichts anderes in Betracht. Das kann vielleicht eine Oppositionspartei machen. Eine AfD kann das machen oder die Linken auch. Aber man kann doch nicht mit einer Partei, die den Anspruch hat zu regieren, wie hätten die denn in Neuwahlen gehen wollen mit der Aussage, wir kämpfen jetzt dafür, stärkste Oppositionskraft zu werden oder was. Spätestens nach Neuwahlen hätte das doch sowieso kommen müssen, wenn das ungefähr wieder so ausgegangen wäre, wie es jetzt ausgegangen ist. Insofern habe ich diese Haltung nie verstanden. Aber das ist ja nicht mein Problem jetzt. Das müssen die Sozis jetzt hinkriegen, dass sie ihre Leute wieder von den Bäumen runterholen, um dann zu versuchen, eine vernünftige Politik zu machen. Aber dass das auch Grenzen hat und dass wir da auch Zumutbarkeitsgrenzen haben, das ist völlig klar. Wenn wir uns konzentrieren auf Felder, wo wir weitgehende Einigkeit haben, wie bei Bildung und Forschung – da sind wir uns einig über die digitale Infrastruktur im Land.
    "Da muss jetzt ein bisschen Zurückhaltung kommen"
    Müller: Da sind sich ja alle einig.
    Willsch: Ja! Wir wollen ein 50-Megabit-Land werden, um Anwendungen moderner Verkehrspolitik, autonomes Fahren und Fliegen, aber auch moderne Medizin möglich zu machen. Wir wollen eine steuerliche Forschungsförderung. Wir wollen Bürokratieabbau doch eigentlich alle miteinander. Wir wollen Bauen und Wohnen. Wir wollen die Wohneigentumsquote erhöhen. Dafür brauchen wir mehr Geld.
    Müller: Herr Willsch, wenn ich Sie jetzt hier unterbrechen darf? Wir haben nicht mehr so viel Zeit. Aber dann ist ja schon alles klar! Wenn Sie sich da mit der SPD einigen, dann gibt es kaum noch Konfliktpunkte.
    Willsch: Ich glaube, die SPD muss darauf verzichten, über Punkte zu verhandeln, wo sie wissen, dass wir nicht können, und dass es auch falsch wäre, wenn wir es täten, weil wir damit andere Parteien groß machen, die ja gerade, wie die SPD immer wieder sagt, nicht ins Parlament gehören oder so. Wir müssen sehen, dass da jeder seinen Platz haben kann, und viel von dem Platz, den die Sozis in einer Großen Koalition brauchen, haben sie sich schon in der letzten Großen Koalition erkämpft. Deshalb muss da jetzt ein bisschen Zurückhaltung kommen. Das gilt übrigens auch im Falle einer Minderheitsregierung.
    Müller: Ob das Martin Schulz genau auch so sehen wird, ist jetzt fraglich. Die Sozialdemokraten sagen jetzt, die Union braucht uns und nicht umgekehrt.
    Willsch: Wenn man das zusammenzählt, kommen wir insgesamt auf 54 Prozent. Wir können natürlich versuchen, so weiterzumachen wie zuletzt, dass wir nicht mal mehr mit SPD und CDU/CSU eine Regierung bilden können. Da ist ja nicht mehr viel Luft, nicht mehr viel Wasser unterm Kiel. Ich glaube, ein Gutes am Ende der Sondierungen mit Jamaika war doch, dass dieses Gerede von "keine Unterschiede mehr zwischen den Parteien" da kräftig widerlegt wurde. Natürlich gibt es Punkte, wo man unter Umständen nicht zusammenkommt und wo auch Profilbildung von Parteien stattfinden kann. Das ist der eine Teil der Lektion, dass man auf der anderen Seite aber auch als große Volkspartei oder mittlere Volkspartei als Union und SPD zusammenkommen kann, wenn es Not tut und anders nicht organisierbar ist im Parlament. Das wäre auch ein wichtiges Signal, glaube ich.
    Müller: Bei uns heute Morgen live im Deutschlandfunk der CDU-Politiker Klaus-Peter Willsch. Danke, dass Sie für uns Zeit gefunden haben. Ihnen noch einen schönen Tag.
    Willsch: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.