Nein, stolz sei er nicht, sagt Sebastian Hartmann: "Das ist ein Wort, das in dem Zusammenhang, glaub ich, unpassend ist. Dass wir aber als nordrhein-westfälische SPD ein Viertel, ein Viertel aller Mitglieder stellen, erfüllt einen mit Freude, dass auch aus dieser Mitgliedschaft sich Personen dann zusammenbringen."
Sebastian Hartmann, weißes Hemd, Jeans, Chef des mitgliederstärksten SPD-Landesverbandes, eben Nordrhein-Westfalen, sitzt im Willy-Brandt-Haus, das es auch in Grevenbroich gibt. Er ist auf Sommer-Tour, kümmert sich um das Themen Wohnen, um die Wahlkämpfe von sozialdemokratischen Kommunal-Kandidaten – und unterbricht diese Reise für ein Gespräch über die Suche nach der oder dem oder den neuen SPD-Vorsitzenden. Denn, es ist – bisher – ein seltsames Rennen um das – wie einst Franz Müntefering sagte – schönste Amt nach dem Papst. Zwei Kandidatenteams mit Chancen gibt es bisher: Christina Kampmann, NRW-Landtagsabgeordnete und von 2015 bis 2017 Familienministerin an Rhein und Ruhr, tritt zusammen mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth aus Hessen, an. Auch die Bundestagsabgeordneten Nina Scheer aus Berlin und Karl Lauterbach, Wahlkreis 101 Leverkusen und Köln-Mülheim, haben ihre Ambitionen angemeldet – macht eben 50 Prozent aus NRW. Hinzu kommt – wohl chancenlos – die Kandidatur des ehemaligen Bonner Bundestagsabgeordneten Hans Wallow. Also: Nochmal NRW.
NRW-SPD sieht sich in Verantwortung
Hartmann, der parallel immer wieder Kurznachrichten bekommt und beantwortet, weiß all dies – kennt die Verantwortung der NRW-SPD. "Wir wären am Ende zufrieden – und so sind wir pragmatisch in Nordrhein-Westfalen, wenn wir da der SPD und uns gemeinsam da wieder auf die Füße helfen, damit wir unserer gesellschaftlichen Verpflichtung und Verantwortung nachkommen."
Die Kür der SPD-Spitze ist komplett neu aufgesetzt, sozusagen eine Premiere: Erstmals können zwei Personen als Team antreten, erstmals wird es einen Wahlkampf mit 23 Regionalkonferenzen geben und erstmals sollen die Mitglieder abstimmen – und dieses Ergebnis dann auf einem Parteitag im Dezember von den Delegierten abgebildet werden. Hartmann will sich daher nun auch erst einmal zurückhalten:
"Wir wollen, dass die Stunde der Basis schlägt, dass auch die Basis der Partei in der Lage ist, eine unvoreingenommene Auswahl zu treffen. Deswegen ist es wichtig, dass es auch Kandidatinnen und Kandidaten gibt. Am Ende wird es aber nicht darum gehen, aus welchem Landesverband man kommt, sondern es wird darum gehen: Was ist das beste Konzept für die SPD?"
Kutschatys Kandidatur umstritten
Die Dramaturgie müsse stimmen, sagt er – und hofft daher auf weitere Kandidaten, beispielsweise aus Niedersachsen, wo – nach der kolportierten Absage von Ministerpräsident Stephan Weil – vor allem die Namen von Landesinnenminister Boris Pistorius oder des, ebenfalls aus diesem Landesverband stammenden Generalsekretärs der Bundes-SPD, Lars Klingbeil, gehandelt werden. Auch Kandidaturen aus dem Osten der Republik seien möglich. Thomas Kutschaty dagegen, dem SPD-Fraktionschef in Nordrhein-Westfalen, wollte Sebastian Hartmann eine Kandidatur sprichwörtlich verbieten: Großen Herausforderungen dürfe man nicht hinterherlaufen, hatte dieser Mitte Juni gesagt, als es noch keinen ernsthaften Interessenten für die Parteispitze gab, man dürfe aber auch nicht davor weglaufen. Sebastian Hartmann, dessen Verhältnis zu Thomas Kutschaty als Konkurrenzkampf um die Nr. 1 in NRW gesehen wird, widersprach damals öffentlichkeitswirksam:
"Ich glaube, dass die Aufgabe eines Parteivorsitzenden auf Bundesebene nicht zu kombinieren ist mit der Aufgabe eines Landesvorsitzenden oder Fraktionsvorsitzenden auf Landesebene." - und wurde von Thomas Kutschaty via Twitter düpiert: Er werde – Zitat – "in nächster Zeit intensive Gespräche mit unseren Mitgliedern führen". Danach sei "der Zeitpunkt der Entscheidung über Kandidaturen gekommen. Es bleibt spannend!" Zitatende.
Außenseiter Hans Wallow
Was auch für Hans Wallow gilt. Der 79-Jährige, lange Jahre Bundestagsabgeordneter und Vertrauter von Helmut Schmidt, empfängt in seinem Haus in Bonn. Heuss-Allee, Kurt-Schumacher-Straße, Petra-Kelly-Allee. Der Bereich um Wallows Haus klingt nach alter Bundesrepublik – und auch Hans Wallow erzählt davon:
"War bei Eppler, dem Kölner Hans-Jürgen Wischnewski, ich habe beobachtet, wie die ihre Politik gestalteten, ihre Prioritäten setzten und auch wie sie ein Ministerium geführt haben." Das ist auch der Hauptgrund für seine Kandidatur: "Weil ich meine Erfahrung von Willy Brandt und Helmut Schmidt und von jahrelanger Beobachtung, gelernt habe, wie Großapparate zu führen sind. Natürlich sind die Genossen anstrengend"; aber er traue es sich zu. Sein Problem jedoch: Bislang erfüllt er nicht die vom kommissarischen Parteivorstand aufgestellten Kriterien. Demnach müssen Bewerber von mindestens fünf Unterbezirken, einem Bezirk oder einem Landesverband nominiert werden.
Wallow setzt auf Wahlordnung
Doch Hans Wallow will sich davon nicht abhalten lassen: "Entscheidend ist die Wahlordnung. Und ich bin nach Zweifeln, die man immer haben sollte, fest entschlossen, die durchzusetzen."
Nach der bisherigen Wahlordnung der SPD, reichte es, wenn ein Bewerber für den Parteivorsitz von drei Ortsvereinen unterstützt wurde. Von daher sagt Hans Wallow auch: "Meine Strategie ist, möglichst viele Ortsvereine hinter mich zu bringen. Man braucht nur drei, die habe ich längst, um zu kandidieren. Aber ich möchte fünfzehn, zwanzig hinter mir haben, damit das auch politisches Gewicht hat." Notfalls kündigt Wallow jedoch an, gegen das geplante Quorum zu klagen: "Setze ich es mit der Hilfe der Rechtspflege durch und kandidiere trotzdem."
Herausforderung Regionalkonferenz
Bei der SPD selbst gibt man sich angesichts dieser Ankündigung entspannt: Bisher habe es keine Beschwerden dazu gegeben, man halte an den Vorschriften fest, so eine Parteisprecherin gegenüber dem Deutschlandfunk. Aber Hans Wallow sträubt sich auch gegen die Regionalkonferenzen im Herbst:
"Auch das ist unrealistisch. Das hält keiner durch oder nur diejenigen mit Dienstwagen und mit einem großen Apparat, den sie hinter sich haben. Also, die Gefahr besteht, dass von vorneherein eine Selektion erfolgt."
Christina Kampmann hingegen sagt am Telefon: "Das wird ambitioniert, das wird auch anstrengend. Aber ich sage Ihnen auch: Ich freue mich auch auf die Diskussion mit der Partei, weil letztlich geht es zwar um ein Team, das ein Führungsduo darstellen soll, aber wir alle wissen auch, und ich bin mir sicher, dass weiß auch die Partei, dass die Aufgabe, die vor der SPD liegt, dass die so groß ist, dass wir das nur alle gemeinsam hinbekommen. Deshalb haben wir auch gesagt, das ist unser Slogan: Gemeinsam den Aufbruch wagen. Das wollen wir mit allen Genossinnen und Genossen vor Ort machen."
Kampmann: "In der richtigen Situation ja sagen"
Die 39-Jährige aus Bielefeld kandidiert zusammen mit Staatsminister Roth, sie ist in diesen Tagen im Süden und Osten Deutschlands unterwegs, um sich bekannt zu machen. Der ehemalige Generalsekretär der Hessen-SPD Roth, hatte Kampmann einfach angerufen:
"Er hat so was gesagt wie: Christina, ich habe eine ganz verrückte Idee, aber ich würde mich total freuen, wenn Du dabei bist. Wollen wir für den Parteivorsitz kandidieren? Ich habe mir dann auch nochmal lange Zeit genommen, um darüber nach zu denken, weil das, was mit Andrea Nahles passiert und gemacht wurde, das war zu dem Zeitpunkt ja noch nicht so lange her und deshalb war mir von Anfang an klar, was da eigentlich für eine große Aufgabe vor uns liegt und wie schwierig der Weg auch sein kann. Aber ich hab mal als Standesbeamtin gearbeitet und da weiß man auch wie es ist, in den richtigen Situationen ja zu sagen."
Ihre Kandidatur wirkt professionell, weist – neben dem frühen Ankündigungszeitpunkt – eine ausgefeilte Social-Media-Begleitung auf. Neben #KampmannRoth, wie sie sich bei Twitter nennen, kursieren noch die Namen der ehemaligen Bundespräsidentschaftskandidatin Gesine Schwan und Juso-Chef Kevin Kühnert.
Duo Lauterbach/Scheer
"In der SPD schlägt die Stunde der Außenseiter", so nannte es die Zeitung "Die Welt" kürzlich. Der aktuell prominenteste dürfte daher der Fraktionsvize Lauterbauch sein. Der als sehr selbstbewusst geltende Mediziner und einstige GroKo-Befürworter, der zusammen mit der ebenfalls als links geltenden Berlinerin Scheer antritt, räumte bei seiner Antritts-Pressekonferenz direkt einen Fehler ein:
"Wir sind der Meinung, die SPD sollte die Große Koalition verlassen, weil wir zu wenig erreicht haben, zu wenig Perspektive nach vorne haben, zu wenig Legitimation in Bevölkerung und Wählerschaft und weil wir die notwendige Neustrukturierung der Partei mit den drei inhaltlichen Zielen in der Großen Koalition aus unserer Sicht nicht schaffen können."
Der Wahlkampf läuft also schon. Auch Sebastian Hartmann erreichen Bitten, eine Nominierung zu unterstützen. Doch in der NRW-SPD hält man sich aktuell zurück. Auch wenn Sebastian Hartmann sagt:
"Wir wollen am Ende der Vorstellungsrunde, also nachdem die Regionalkonferenzen stattgefunden haben, nachdem die Mitglieder das Wort hatten, auch überlegen, ob wir als Landesverband, ob, nicht Pflicht, überhaupt ein Votum nochmal aussprechen, damit auch klar ist: Der größte Landesverband kann nicht am Spielfeldrand stehen, sondern er muss auch klar Farbe bekennen. Wir wollen auch ein Team haben, das am Ende die Partei neu versöhnt und endlich eine neue Idee für die Sozialdemokratie entwirft. Das braucht Deutschland dringender denn je und da werden wir dran arbeiten. Deswegen kommen wir auch zu diesen Terminen zusammen und bringen uns ein."
In dieses sozialdemokratische Experiment.