Das Interview in voller Länge:
Christiane Kaess: Matthias Miersch. Er ist Sprecher der parlamentarischen Linken der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Miersch.
Matthias Miersch: Guten Morgen, Frau Kaess.
Kaess: Eine Ihrer zentralen Forderungen, die Vermögenssteuer, die fehlt im Wahlkampfkonzept. Warum finden Sie denn bei Ihrem Parteivorsitzenden kein Gehör mehr?
Miersch: Na ja, dass wir Gehör finden, das machen ja seine Interviews auch in der letzten Woche deutlich. Da hat er sich ja mit den Möglichkeiten der Vermögenssteuer auseinandergesetzt. Aber das Konzept, was jetzt vorliegt, ist, wie Sie zurecht eben in dem Beitrag gesagt haben, ein Rahmen und es gilt jetzt, die Instrumente zu formulieren, wie beispielsweise das große Thema Schere Arm und Reich, wie kriegen wir das weiter zusammen und nicht auseinander, wie man das hinbekommt, und da ist die Vermögenssteuer natürlich ein Instrument, was wir diskutieren werden. Es wird aber noch weitere Instrumente geben, aber dieser Dialog beginnt jetzt gerade.
"Fortschritt und Gerechtigkeit, das zielt auf den Markenkern der SPD"
Kaess: Aber die Vermögenssteuer, Herr Miersch, ist ja gerade etwas, was sehr symbolträchtig ist. Warum ist sie denn nicht gleich mit ins Programm genommen worden?
Miersch: Wie gesagt, es handelt sich bei diesem Papier nicht um ein Programm, sondern um einen Rahmen, der Überschriften, Leitlinien vorgibt. Und Fortschritt und Gerechtigkeit, das zielt auf den Markenkern der SPD. Und zur Gerechtigkeitsdebatte gehört, dass wir feststellen müssen, dass die Vermögensverteilung in Deutschland immer unterschiedlicher, immer weiter auseinandergeht. Deswegen gibt es den Diskurs - und den muss es geben - über Instrumente, wie wir das Ganze verändern können, und da ist die Vermögenssteuer beispielsweise ein Teil. Ich will aber zum Beispiel auch sagen:
Dass es weiter möglich ist, riesige Einkommen steuerlich abzusetzen, ist eine Debatte, die wir genauso auf die Tagesordnung nehmen müssen, um dann beispielsweise bei Familien Entlastung im Bereich der Steuern beziehungsweise der Abgaben hinzubekommen.
Kaess: Noch mal zurück zu meiner Frage, dass die Vermögenssteuer durchaus einfach Symbolwert hat. Vermuten Sie oder haben Sie vielleicht Zweifel daran, dass Sigmar Gabriel tatsächlich weiter nach links rücken möchte?
Miersch: Nein! Zweifel habe ich nicht, denn wir haben ja nicht nur das Papier, was jetzt gerade heute Morgen besprochen wird, sondern wir haben einen Konventsbeschluss vor acht Tagen herbeigeführt und in diesem Konventsbeschluss wird der Markenkern der sozialen Gerechtigkeit eindeutig gestärkt. Insofern würde ich auch nicht sagen, dass die Vermögenssteuer nur ein Symbol ist, sondern es gibt einen Streit darüber, wie viel Erträge beispielsweise damit sich realisieren lassen.
Diesen Diskurs, den nehmen wir auf, auch als Parteilinke. Wir werden das in den nächsten Monaten besprechen. Und ich bin mir sehr sicher, dass wir dann im Wahlprogramm Anfang des Jahres sicherlich solche Instrumente auch wiederfinden werden.
Kaess: Aber Sigmar Gabriel sagt ja ganz explizit zur Vermögenssteuer, das ist ihm zu viel Symbolpolitik. Geht es Ihnen darum, nur bei den Reichen abzukassieren?
Miersch: Nein. Es geht nicht nur um Symbole, sondern es geht darum, dass wir einen handlungsfähigen Staat brauchen. Und ein handlungsfähiger Staat, der beispielsweise in Infrastruktur investiert, der aber auch in Bildung investiert, der braucht Einnahmen. Und wenn wir uns dann beispielsweise die Einkünfte angucken in Deutschland, was verdient eine Pflegekraft, was wird im oberen Management ausgegeben, dann sehen wir, da geht die Gesellschaft auseinander, und das ist das große Problem. Der Zusammenhalt ist damit gefährdet und insofern muss man darüber reden, dass die, die mehr haben, auch mehr für die Gesellschaft geben.
Miersch: Steuergerechtigkeit gehört auf die Tagesordnung
Kaess: Und das soll über die Steuern passieren. - Wenn jetzt Gabriel sagt, ein Bäcker dürfe nicht höhere Steuern zahlen als Konzerne wie Google oder Amazon, reicht das?
Miersch: Auch das ist ein weiteres Instrument. Neben der Vermögenssteuer, die Frage, wie die Abzugsfähigkeit hoher Einkommen ist, ist die Frage der Steuergerechtigkeit, der Steuerehrlichkeit genauso ein Thema, was auf die Tagesordnung gehört. Das ist auch Bestandteil des Konventsbeschlusses. Insofern stimme ich Sigmar Gabriel vollkommen zu. Es ist inakzeptabel, dass große Unternehmen, die Milliarden Gewinne scheffeln, hier sich der Steuerpflicht entziehen können und jemand, der ehrlich ist, hier einen mittelständischen Betrieb hat, weiter seine Steuern ehrlich zahlen muss. Das geht nicht, das versteht auch keiner. Die Antworten darauf zu finden, sind auch nicht ganz trivial, weil sie teilweise europäisches Recht betreffen. Aber es ist richtig, auch diese Instrumentendiskussion zu führen, und die ist dringend notwendig.
Kaess: Aber, Herr Miersch, wenn die SPD wirklich aus ihrem Umfragetief heraus will, wäre es dann nicht angebracht, die Priorität auf Steuersenkungen zu setzen als auf eventuell Steuererhöhungen oder sogar die Einführung einer neuen Steuer?
Miersch: Noch mal: Ich glaube, es geht jetzt nicht nur um die Steuerpolitik, sondern wenn wir die mit den breiten Schultern mehr belasten wollen, dann wollen wir in den unteren Einkommensschichten entlasten. Aber die Umfragewerte gehen nicht nur rauf, indem man die Steuerdiskussion führt, sondern wir brauchen jetzt wieder auch jenseits der Großen Koalition ein eigenständiges Profil. Dazu gehört nicht nur das Thema Vermögenssteuer, sondern zum Beispiel das Thema Bürgerversicherung, das Thema Rentenniveau-Stabilisierung, aber auch das Thema Wohnungsbau oder Daseinsvorsorge.
Das sind alles Punkte, wo die SPD jetzt in den nächsten Monaten klares Profil entwickeln muss, und ich würde mir wünschen, am Ende stehen fünf Maßnahmen wie beispielsweise der gesetzliche Mindestlohn im letzten Wahlkampf, und diese fünf Maßnahmen müssen dann die Partei wirklich so festigen, dass alle sich dahinter versammeln können und dass auch die Bürgerinnen und Bürger wissen, dafür lohnt es sich zu streiten, denn das ist soziale Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert.
Miersch: Ein handlungsfähiger Staat braucht stabile Einnahmen
Kaess: Und um die Frage der Vermögenssteuer abzuschließen: Am Ende, sagen Sie, wird das im Programm der SPD stehen?
Miersch: Ich glaube, dass auf alle Fälle Instrumente, nicht nur die Vermögenssteuer oder die Vermögensabgabe, sondern auch weitere Bestandteile, Stichwort Steuergerechtigkeit, in das Wahlprogramm aufgenommen werden, denn wir brauchen, um einen handlungsfähigen Staat tatsächlich zu haben, auch eine stabile Einnahmeseite und dafür brauchen wir den Mechanismus, dass die, die mehr haben, letztlich auch mehr dazu beitragen.
Kaess: Sehen Sie denn diese Leitlinien von Gabriel jetzt auch als Signal, dass er als Kanzlerkandidat definitiv bereitsteht?
Miersch: Nein. Ich glaube, dass letztlich erst mal es die Pflicht eines Parteivorsitzenden ist, anderthalb Jahre vor einer Bundestagswahl auch Leitlinien oder Rahmen vorzugeben. Das hat er jetzt gemacht und das Thema Kanzlerkandidatur, das hat die SPD sich für Anfang 2017 aufgehoben. Und da, bin ich mir sicher, ist er einer der möglichen Kandidaten, aber wir haben auch weitere Kandidatinnen und Kandidaten.
Kaess: Und sollte Herr Gabriel als Kanzlerkandidat bereitstehen, wie soll er glaubhaft einen linken Kurs vertreten?
Miersch: Ich glaube, das Entscheidende ist, dass wir drei P’s für einen Erfolg brauchen. Wir brauchen ein gutes Programm, daran arbeitet jetzt die Partei. Wir brauchen eine geschlossene Partei und wir brauchen eine Person, die das Programm glaubwürdig vertreten kann. Diesen Dreiklang, den entwickeln wir jetzt, und ich bin mir sehr sicher, dass wir dann eine Kandidatur ausrufen werden, beziehungsweise im Zweifel auch in einem Duell oder unter mehreren Kandidaten austragen, wo dann Partei, Programm und Person zueinander passen.
Kaess: Matthias Miersch war das. Er ist Sprecher der parlamentarischen Linken der SPD-Bundestagsfraktion. Danke für das Interview.
Miersch: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.