Fotos mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, ein lockeres Gespräch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier – Nyasha Derera ist mittendrin. Er ist der internationale Athletensprecher der Special Olympics – und zusammen mit einer Delegation Ende Januar in Berlin.
"Es ist fantastisch, dass man uns Athleten die Möglichkeit gibt eine Rolle bei der Planung der Special Olympics in Berlin zu spielen", sagt Derera. Dass er in die Planung des Sport-Großereignisses einbezogen ist - für den Mann aus Simbabwe alles andere als selbstverständlich. Im Alter von zwei Jahren verliert er seine Mutter. Seinen Vater lernt er nie kennen.
Offiziell als verrückt eingestuft
Lange Zeit lebt er bei seiner Großmutter – und wird als Kind in der Schule stigmatisiert und gedemütigt. Nyasha ordnet sich selbst als Mensch mit geistiger Einschränkung ein. Er zeigt als Kind früh Schwierigkeiten, sich mit seinem Verhalten in seine Umwelt einzufügen. Daraufhin wird er in Simbabwe offiziell als "crazy", als verrückt, eingestuft, in eine spezielle Klasse gesteckt und von Freunden isoliert. Er fängt an, Sport zu treiben– und läuft.
Doch schon nach dem ersten Rennen ziehen ihn die Mitschüler auf, erzählen ihm, er sei zu nichts zu gebrauchen. Doch Nyasha Derera motiviert das. Er will allen zeigen, dass er es schaffen kann. Er trainiert fast täglich – für Kurz-, Mittel- und sogar Marathonläufe.
Als in Simbabwe 2012 zum ersten Mal ein Special Olympics-Sportprogramm eingeführt wird, erhält auch Nyasha Derera an seiner Schule die Möglichkeit, am inklusiven Sport teilzunehmen. Sportler mit und ohne geistige Behinderung trainieren gemeinsam. Er ist hoch motiviert und von Beginn an dabei. Für ihn ein radikaler Einschnitt in sein Leben.
Derera erzählt: "Ich habe angefangen, weil ich isoliert war, ich wurde diskriminiert, hatte keinen Platz, wo ich hingehöre. Bei den Special Olympics wurde ich akzeptiert und geliebt, mir wurde die Chance gegeben, als Athlet anzutreten".
Höhepunkt: Bronze bei den Special Olympics
Nyasha Derera bricht Rekorde. Auf nationaler Ebene holt er 24 Medaillen – davon siebzehnmal Gold. Der sportliche Höhepunkt folgt 2015, bei den Special Olympics in Los Angeles. Auch hier gewinnt er im 400 Meter Lauf eine Bronzemedaille. Seine geistige Einschränkung merkt man ihm im Gespräch nicht an. Durch seine Rolle als Athletensprecher hat er spezielle Schulungen erhalten. Er ist selbstbewusst, kann mit Worten umgehen und mit Argumenten seinen Standpunkt klar machen. Nyasha hat große Ziele: Er will sich weltweit für Inklusion einsetzen.
Startpunkt dafür ist, als er 2018 als erster Athlet aus Simbabwe zum weltweiten Botschafter der Special Olympics wird. Im Alter von 21 Jahren. Vom ersten Rennen in Simbabwe über die Bronzemedaille bei den Spielen realisiert er, was die Special Olympics ihm ermöglicht haben: "Es war nicht irgendein Moment, es war ein lebensverändernder Moment. Es hat mich zu einer selbstbewussten Person und Sprecher dieser Bewegung werden lassen. Lebensverändernd."
Darüber hinaus wird er offizieller Gesundheitsbotschafter der Special Olympics. In kurzen Online-Clips gibt er anderen Athleten Tipps: Wie schützt ihr euch an Wettkampftagen vor knallender Sonne? Wie wascht ihr euch richtig die Hände, damit ihr euch nicht mit Krankheiten infiziert? Er will auch über den Sport hinaus den Athleten mit geistiger Einschränkung helfen: "Für Menschen wie mich ist es nicht leicht, einen Job zu bekommen. Wir haben auch Probleme, die richtige Gesundheitsvorsorge zu bekommen, wenn wir in eine Klinik gehen. Ich setze mich für Chancengleichheit ein - für jeden in der Welt."
Die Athletensprecher der Special Olympics bekommen Medien- und Sprechtraining, nehmen an den Zeremonien teil. Doch die anstehenden Sommerspiele in Berlin 2023 sind die ersten, die aktiv von den Athleten mitgestaltet werden. Nyasha ist nicht nur auf den Fotos bei den Treffen zu sehen – er spricht mit Politikern und Sportverbänden. Tim Shriver, Vorsitzender der Special Olympics, erlebt so in Berlin einen Moment, den er als absoluten Höhepunkt seiner Arbeit beschreibt: "Ich würde sagen, heute, als ich Nyasha zugeschaut habe bei seiner Rede vor den Bundestagsabgeordneten. Es gibt so viele Momente, bei denen ich das Gefühl habe, etwas gesehen zu haben, was ich vorher nicht gesehen habe."
Einen Traum erfüllt
2023 könnte Nyasha in Berlin auch noch als Athlet antreten. Doch sein Fokus liegt auf anderen Dingen. Er sagt: "Meine Hauptrolle sehe ich darin, mich einzusetzen - Für all die anderen Athleten, die diskriminiert, stigmatiziert und misshandelt werden auf der ganzen Welt. Für jemanden, der nicht die Chance hatte wie ich, der zurückgelassen wurde. Die Special Olympics in Berlin sind eine weitere Möglichkeit, Athleten zu entdecken, die das erleben, was ich erlebt habe."
Nyasha Derera sagt, er hat sich seinen Traum erfüllt. Aus dem als verrückt bezeichneten kleinen Jungen in Simbabwe ist ein Vorbild geworden für viele Menschen mit geistiger Behinderung auf der ganzen Welt. Sein nächstes Ziel: Er will er eine Universität besuchen. An einigen Hochschulen gibt es spezielle Angebote für Menschen mit geistiger Einschränkung. Er will einen Abschluss machen und sich weiterhin für weltweite Inklusion einsetzen. Berlin ist für ihn erst der Anfang.