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Special Olympics World Games
Hoffnung auf ein Leuchtturmevent für Inklusion

Die Weltspiele der Special Olympics in Berlin sind das größte Multisportevent in Deutschland seit Olympia 1972. Die Erwartungen an die Wettbewerbe für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung sind groß - und die Hoffnung auf einen anhaltenden Effekt.

Christiane Krajewski, Fritz Quien und Tom Hauthal im Gespräch mit Marina Schweizer |
Entzündung der Flamme der Hoffnung für die Special Olympics World Games Berlin 2023 in Athen
Entzündung der Flamme der Hoffnung für die Special Olympics World Games Berlin 2023 in Athen (Imago / Michalis Karagiannis)
Zum ersten Mal findet in Deutschland das größte Sportevent für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung statt: Die Special Olympics World Games. Wir blicken auf das Event und darauf, was es nachhaltig bewirken soll.

Was sind die Special Olympics World Games 2023?

Die Special Olympics World Games sind die Weltspiele für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. In diesem Jahr finden sie vom 17. bis 25. Juni in Berlin statt. Es ist die erste Austragung der Special Olympics in Deutschland und die größte Multisportveranstaltung im Land seit Olympia 1972.
In 26 Sportarten nehmen etwa 7.000 Athletinnen und Athleten und 3.000 Trainerinnen und Trainer aus 190 Nationen teil. Dazu sind 15.000 Freiwillige in einem inklusiven Ehrenamts-Team dabei. Die Wettbewerbe werden etwa 400 Stunden live sowohl bei öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehsendern als auch bei Streaminganbietern übertragen.

Seit wann gibt es die Special Olympics World Games?

Die Idee zu den Special Olympics World Games entstand 1963 in einem internationalen Jugendcamp in den USA. Gründerin der Bewegung ist Eunice Kennedy Shriver, Schwester des ehemaligen US-Präsidenten John F. Kennedy. Beide hatten mit Rosemary Kennedy eine Schwester mit geistiger Beeinträchtigung.
Eunice Kennedy Shriver fand im Einsatz für mehr Rechte und Akzeptanz für Menschen mit geistiger Behinderung eine Lebensaufgabe. 1968 fanden in Chicago mit mehreren Tausend Athletinnen und Athleten die ersten Special Olympics World Games statt.
In Berlin werden nun die 16. Ausgabe der Special Olympics World Games ausgerichtet, die seit 1975 alle vier Jahre stattfinden. 2003 war die irische Hauptstadt Dublin erstmals Gastgeberin außerhalb der USA.

Was ist das Ziel der Special Olympics?

Christiane Krajewski, Präsidentin von Special Olympics Deutschland, und der inklusive Fußballtrainer Fritz Quien erzählen im Dlf-Sportgespräch von der riesigen Vorfreude der Athletinnen und Athleten vor den World Games. Krajewski bezeichnet die Veranstaltung als Leuchtturm. Dieser stehe dafür, "dass wir alle gemeinsam Sport machen können - mit oder ohne Handicap, im Sportverein vor Ort, barrierefrei und mit bestmöglicher Unterstützung. Das ist unser Ziel."
Athleten sollten auf diese Weise mehr Selbstbestimmung erfahren und auch mehr gesellschaftliche Teilhabe. Der deutsche Delegationsleiter Tom Hauthal sagte im Dlf, die Wahrnehmung "für das, was ich seit vielen Jahren mache, ist in den letzten Wochen und Monaten enorm gestiegen. Deswegen bin ich auch ganz persönlich voller Vorfreude."
Das Ziel, Begegnungen zu schaffen, die "unsere Athletinnen und Athleten in den Mittelpunkt der Gesellschaft rücken", sei schon Teil der Bewerbung gewesen, sagte Hauthal. "Man sieht immer, Begegnungen zu schaffen, baut tatsächlich Barrieren ab."

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Hauthal will die Special Olympics World Games nutzen, "um in den verschiedenen Lebensbereichen, ob Arbeitsplatz, Wohnen, Freizeit, oder natürlich auch dem Sport, ein Stück weit die Türen zu öffnen. Wir wollen, dass mehr Athletinnen und Athleten von uns die Möglichkeit haben, im Sportverein Sport zu treiben. Da sind noch viele Schritte zu gehen."

Was ist der Unterschied zwischen Special Olympics und Paralympics?

Die Paralympics finden jeweils im Nachgang der Olympischen Spiele statt. Das sind die Spiele für Sportlerinnen und Sportler mit körperlichen Beeinträchtigungen.
Bei den Special Olympics World Games treten Menschen mit geistiger Beeinträchtigung an. Die Special Olympics sind eine vom Internationalen Olympischen Komitee anerkannte Sportbewegung.

Nehmen bei den Special Olympics auch Menschen ohne Beeinträchtigung teil?

Ja. In Mannschaftssportarten starten etwa inklusive Teams aus Menschen mit und ohne Beeinträchtigung an. Diese Mannschaften werden in der Special-Olympics-Bewegung als "Unified Teams" bezeichnet.
„Wer jetzt bei den Weltspielen ein inklusives Fußballspiel sieht, der oder die wird sich nach kurzer Zeit fragen: ‚Hey, wer auf dem Platz hat jetzt ein Handicap oder kein Handicap?'", sagt Christiane Krajewski, Präsidentin von Special Olympics Deutschland. "Die Grenzen verwischen, wenn sich Fußball-, Handball- oder Hockeyspieler sowie auch andere Teams auf einem Platz bewegen", so Krajewski. Die Freude sei bei Menschen mit und ohne intellektuellem Handicap gleichermaßen groß.

Wen wollen die Special Olympics ansprechen?

Die Veranstalter haben zwei Zielgruppen: Einerseits Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen. Ihnen soll der Weg in den Sport gezeigt werden. Die Special Olympics World Games in Deutschland sollen einen Impuls dafür geben, selbst nach Möglichkeiten in der eigenen Umgebung zu suchen und Sport zu treiben.
Nur acht Prozent der Menschen mit geistiger Beeinträchtigung machen regelmäßig Sport. Dem stehen etwa 30 Prozent bei den Nicht-Beeinträchtigten gegenüber. „Auch aus gesundheitlichen Erwägungen ist es unabdingbar, dass wir mehr Menschen mit geistiger Beeinträchtigung in Bewegung bringen“, sagt Special-Olympics-Deutschland-Präsidentin Christiane Krajewski.
Die zweite Zielgruppe sind die Sportvereine. Die Special Olympics World Games in Berlin sollen dazu beitragen, mehr Möglichkeiten für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung zu eröffnen.
Krajewski sagt, man wolle die gesamte Gesellschaft ansprechen: „Die Wahrnehmung ist schon wesentlich verbessert worden. Dabei haben auch die Medien eine relevante Rolle gespielt und spielen sie auch in den nächsten Tagen. Die Politik hat uns stärker wahrgenommen und unterstützt uns großartig. Sowohl die Bundesregierung als auch das Land Berlin als auch viele Kommunen in ganz Deutschland, die in den letzten Tagen die Delegationen aus aller Welt in ihren Städten willkommen geheißen haben."

Welche Möglichkeiten haben Menschen mit geistiger Beeinträchtigung in Deutschland, wenn sie Sport treiben möchten?

Es gibt sehr unterschiedliche Angebote: In Schulen und manchen Werkstätten für Menschen mit geistiger Behinderung gibt es Sportangebote. Die Dachorganisation Special Olympics legt neben diesen Angeboten auch in Deutschland Wert auf inklusive Teams - in denen Menschen mit und ohne Beeinträchtigung zusammen Sport machen. Diese Teams gibt es für verschiedene Sportarten - aber bisher nur in wenigen regulären Sportvereinen in Deutschland. Special Olympics Deutschland und seine Landesverbände bieten nach eigener Aussage 220 Veranstaltungen im Jahr im ganzen Land an - darunter Landesmeisterschaften. Außerdem gibt es an manchen Orten Sportvereine, die sich allein auf die Bedürfnisse von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung konzentrieren, etwa Behindertensportgemeinschaften.
Fußballtrainer Fritz Quien sieht dennoch große Lücken im Sportsystem, denn es sei nach wie vor sehr schwer für viele Sportler mit geistiger Beeinträchtigung, in Regelvereinen aufgenommen zu werden. Er habe als Lehrer an einer Sonderschule für Kinder und Jugendliche eine Fußball-AG mit 18 Jungen und Mädchen: „Die würden alle gerne in einem Verein - also in dem Fall Fußball - spielen. Aber leider hat nur einer die Möglichkeit, alle anderen haben diese Möglichkeit nicht. Und das ist natürlich schon enttäuschend.“
Die Lösung sieht Quien nicht in Neugründungen von Behindertensportvereinen, sondern in bestehenden Vereinen: „Aus meiner Sicht sollten die Vereine, die jetzt Kinder und Jugendliche ausbilden, die sollten sich auch ihrer Verantwortung bewusst sein und auch Kinder und Jugendliche und Erwachsene mit Handicap aufnehmen. Da sehe ich noch große Defizite.“ Quien hofft auf eine verstärkte Öffnung nach den World Games. Er mahnt aber auch an, dass Trainerinnen und Trainer in Sportvereinen geschult werden müssten - damit nicht am Ende Bedenken überwiegen.

Warum gibt es in Deutschland Defizite bei Sportangeboten für Menschen mit geistiger Behinderung?

An vielen Orten fehlen nach wie vor die inklusiven Sport-Angebote von Vereinen. In einigen - gerade ländlichen - Regionen ist es schwierig, Sportvereine in der Nähe zu finden. Die Nähe zum Wohn- oder Arbeitsort ist aber wichtig, denn weite Fahrten mit dem öffentlichen Nahverkehr sind nicht immer einfach zu bewältigen für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Außerdem ist es für Ehrenamtliche aus Kapazitätsgründen schwierig, Aufgaben, wie Mobilitätstrainings für solche Fahrten durchzuführen. Einige Ehrenamtliche im Behindertensport beschreiben ihre Überlastung bei Inklusionaufgaben.
Christiane Krajewski, Präsidentin von Special Olympics Deutschland, sieht die Gründe für die Defizite auch in der deutschen Geschichte: Eine ganze Generation von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung sei von den Nazis getötet worden. Im Anschluss habe es eher große, abgeschlossen Einrichtungen gegeben. In vielen Gemeinden finde deshalb bis heute kein inklusiver Sport statt.
In Deutschland soll ein Gesetz die Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderung verbessern. Die letzte Reformstufe des Bundesteilhabegesetz tritt 2023 in Kraft.