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"Spekulative Immobilienmarktblasen sind eine sehr lokale Sache"

Der US-Chefvolkswirt bei der New Yorker Investmentbank Goldman Sachs, Jan Hatzius, teilt die Einschätzung der Bundesregierung, dass sich die Finanzkrise in den USA auf Deutschland nur gering auswirke. Am deutschen Immobilienmarkt gebe es derzeit keinerlei Überbewertungen, die in eine schwere Krise führen könnten.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Würde auf den "schwarzen Montag" ein "schwarzer Dienstag" folgen? Mit gespannter Erwartung blickten die Börsen dieser Welt gestern Richtung USA, wo die Investmentbanken Goldman Sachs und Lehman Brothers ihre Geschäftszahlen vorlegen wollten. Viele rechneten mit weiteren Hiobsbotschaften aufgrund der US-Immobilienkrise. Doch die Zahlen waren besser als befürchtet. Ein weiterer Kursschock blieb aus - zunächst zumindest. Dann senkte die amerikanische Notenbank noch einmal den Leitzins, diesmal um einen dreiviertel Prozentpunkt, um die Lage zu beruhigen. Doch das hat sie schon mehrfach versucht - bisher vergeblich. Ich hatte vor dieser Sendung die Gelegenheit, mit Jan Hatzius zu sprechen, dem US-Chefvolkswirt von Goldman Sachs in New York, und ihn habe ich gefragt, ob eine Rezession in den USA noch zu verhindern ist, oder ob die Vereinigten Staaten nicht schon längst drin sind.

    Jan Hatzius: Ich denke die Rezession hat schon angefangen. Ich vermute, wenn wir eines Tages die revidierten Zahlen über Bruttoinlandsprodukt, Wachstum, Beschäftigung und die anderen Wirtschaftsindikatoren vorliegen haben - denn im Moment sehen wir uns da vorläufige Zahlen an -, dann werden wir wahrscheinlich feststellen, dass die Rezession entweder Ende 2007 oder Anfang 2008 angefangen hat. Ich vermute, dass die ersten zwei Quartale dieses Jahres negativ sein werden, was die wirtschaftliche Aktivität angeht, also eine Rezession zeigen werden. Die zweite Jahreshälfte wird vermutlich etwas besser aussehen wegen des fiskalischen Stimulus, also wegen der Steuersenkung, die die amerikanischen Haushalte ab Mai sehen werden, aber dann wird es Anfang 2009 vermutlich noch mal etwas weniger werden. Ob es eine richtige Double Dip Recession, also eine Doppelrezession wird, das wird man sehen. Das ist nicht unsere Vorhersage, aber ich denke es wird noch eine ganze Weile dauern, bis wir tatsächlich wieder auf festerem Fuß sind, was die Wirtschaftsentwicklung angeht. Unserer Meinung nach wird das erst in der zweiten Jahreshälfte 2009 stattfinden.

    Heckmann: Würden Sie denn in diesem Zusammenhang von einer Krise sprechen, oder rechnen Sie damit, dass die Folgen dann doch im Rahmen bleiben werden?

    Hatzius: Ich glaube man kann schon von einer Finanzmarktkrise sprechen und sicherlich von einer Krise an den Immobilienmärkten. Wenn man sich die Preisrückgänge, den Preisverfall bei Wohnimmobilien ansieht, dann haben wir jetzt eindeutig die schwierigste Situation seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Wir haben in den vorangegangenen sechs Jahrzehnten nie einen nationalen Preisrückgang bei Wohnimmobilien gesehen und jetzt sehen wir teilweise sehr gravierende Rückgänge. Insofern kann man das glaube ich schon als Krise bezeichnen.

    Heckmann: Jetzt hat die amerikanische Notenbank - die Fed - die Zinsen zum sechsten Mal seit dem Dezember letzten Jahres gesenkt - diesmal um einen dreiviertel Prozentpunkt. Ist das insgesamt ein richtiger Kurs, den die Fed da verfolgt?

    Hatzius: Absolut ja! Ich denke in der gegenwärtigen Situation, wo sich der konjunkturelle Ausblick stark verdüstert hat, muss die Geldpolitik aktiv reagieren. Die Inflationsrisiken gehen stark zurück. Das sieht man zwar noch nicht in den Inflationszahlen. Die Inflationszahlen waren ziemlich unfreundlich in den letzten Monaten. Aber man darf nicht vergessen, dass die Inflationszahlen ein sehr nachlaufender Indikator sind, und ich gehe davon aus, dass in sechs oder zwölf Monaten die Inflation wesentlich besser aussehen wird. Gleichzeitig ist es klar, dass in der Rezession die Zinsen runtergehen müssen, um Unterstützung auch für die wirtschaftliche Aktivität zu schaffen. Das ist auch das Mandat der Federal Reserve, nicht nur für niedrige und stabile Inflation zu sorgen, sondern auch wirtschaftliche Aktivität zu stabilisieren, so weit sich das miteinander vereinbaren lässt.

    Heckmann: Wir haben jetzt eine ganze Reihe von Zinssenkungen in den letzten Monaten gesehen. Wir haben ein Konjunkturprogramm der amerikanischen Regierung gesehen. Sind mit diesen Maßnahmen der Krise beizukommen?

    Hatzius: Ich glaube, es mildert zumindest die Rezession ab, und insbesondere ist das, glaube ich, die Tatsache für die Geldpolitik. Man muss auch dazu sagen, dass sich die Fed nicht nur darauf beschränkt hat, die Zinsen zu senken, sondern gleichzeitig sich auch sehr darum bemüht hat, die Liquiditätsversorgung der Geschäftsbanken und Investmentbanken in den letzten vier Monaten zu verbessern durch verschiedene Maßnahmen, die dafür sorgen, dass das Sicherheitsnetz für die Banken bei Schwierigkeiten bei der Liquiditätsversorgung wesentlich besser ist, als es das noch vor ein paar Monaten war. Insofern bemüht man sich sehr stark darum, die Krise abzumildern und die Rezession abzumildern, und ich halte das für die richtige Politik.

    Heckmann: Und denken Sie, dass weitere Schritte notwendig sind?

    Hatzius: Ich vermute, dass wir noch etwas mehr Zinssenkungen sehen werden. Wir sind jetzt bei zweieinviertel Prozent für den Leitzins. Ich denke etwas mehr Zinssenkungen werden wahrscheinlich noch kommen. Wir haben jetzt noch 25 Basispunkte, also ein viertel Prozentpunkt an weiteren Zinssenkungen in unserer Vorhersage drin. Aber der Großteil der Zinssenkungen liegt mittlerweile vermutlich hinter uns. Ich glaube die nächste große Frage wird sein, wie sich die Politik bemühen wird, die Immobilienmarktkrise zu bewältigen, was man also macht mit Hauseigentümern, deren Hypothek größer ist als der Wert ihres Hauses und wie man mit den Verlusten im Finanzsektor umgeht, wenn man marode Finanzinstitutionen hat, wie man sich darum bemüht, dass die Kreditvergabe an den Privatsektor vom Bankenwesen weiterhin aufrecht erhalten wird. Das sind glaube ich in den nächsten sechs bis zwölf Monaten die entscheidenden wirtschaftspolitischen Fragen, vielleicht etwas mehr als die reine Geldpolitik und reine Zinspolitik.

    Heckmann: Herr Hatzius, die Bundesregierung in Berlin sieht gute Chancen, dass in Deutschland die Krise nicht so stark ausgeprägt sein wird und so stark ausfällt wie in den USA, da die deutsche Volkswirtschaft robuster aufgestellt sei. Wiegt man sich da aus Ihrer Sicht in falscher Sicherheit?

    Hatzius: Nein, das halte ich für eine sehr vertretbare Einschätzung, sehr sinnvolle Einschätzung - einfach deswegen, weil man in Deutschland absolut keine Immobilienblase hatte. In Amerika hatte man eine große spekulative Blase am Immobilienmarkt. In Deutschland hatte man das Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre - insbesondere in Ostdeutschland -, aber dann kam es dort Ende der 90er Jahre und Anfang dieses Jahrzehnts zu einer ganz anderen, wesentlich schlechteren Entwicklung am Immobilienmarkt, die dann allerdings dazu geführt hat, dass man dort jetzt überhaupt keine Überbewertungen in irgendeiner Weise am deutschen Immobilienmarkt sieht. Spekulative Immobilienmarktblasen sind eine sehr lokale Sache. Das heißt die heimische Wirtschaft leidet unter einem Preisrückgang beim Immobilienmarkt. Das schwappt nur zu einem relativ geringen Teil dann auf andere Länder über. Insofern halte ich die Einschätzung der Bundesregierung für absolut gerechtfertigt.

    Heckmann: Unterm Strich gesehen, Herr Hatzius, mit wie viel Sorge blicken Sie den nächsten Monaten entgegen?

    Hatzius: Ich denke, dass die wirtschaftliche Situation weiterhin schwierig wird, dass sich einige der Wirtschaftszahlen noch erheblich weiter abschwächen werden. Das heißt beispielsweise am Arbeitsmarkt sieht man die Abschwächung bis jetzt nur in Ansätzen. Die Arbeitslosenquote ist immer noch relativ niedrig bei 4,8 Prozent. Ich vermute da wird es einen kräftigen Anstieg geben. Das ist auch eher ein nachlaufender Indikator. Aber es ist letztendlich dann auch der Indikator, der für die meisten Amerikaner der wichtigste ist. Insofern würde ich schon sagen, dass man den nächsten Monaten zumindest im Hinblick darauf, was in der Realwirtschaft passiert, mit einer gewissen Vorsicht entgegenblicken sollte. Was die Finanzmärkte angeht, das ist natürlich immer wesentlich schwieriger zu sagen. Man hat sich glaube ich jetzt schon zum Teil zumindest eingestellt auf eine schwierigere Lage und das dürfte dann auch dazu führen, dass vielleicht die Erwartungen etwas realistischer sind, als sie das noch vor ein paar Monaten waren.

    Heckmann: Einschätzungen von Jan Hatzius, dem US-Chefvolkswirt der Investmentbank Goldman Sachs in New York.