Archiv

Spendenfinanziertes Projekt
Lebensmut durch Schulabschluss

Ein Mannheimer Projekt bereitet junge Menschen auf einen schulexternen Haupt- oder Realschulabschluss vor. Die meisten von ihnen sind Schulabbrecher und viele der Schülerinnen und Schüler kommen aus schwierigen sozialen Verhältnissen.

Von Uschi Götz |
Zwei Jungs sitzen am 07.11.2018 in einer Wohnung in Hamburg an einem Laptop und lernen gemeinsam für eine Prüfung (Symbolbild)
Bereits zwei Schüler haben mit Hilfe des Projekts "Das andere SchulZimmer" ihren Realschulabschluss geschafft (picture alliance / dpa Themendienst / Christin Klose )
15 Uhr, nach und nach kommen alle zum Unterricht, drei Stunden, bis 18 Uhr werden sie hier lernen. Neun junge Frauen und Männer sind es heute, mit und ohne Migrationshintergrund. Die Tür des anderen SchulZimmers im Mannheimer Brennpunkt Stadtteil Neckarstadt West steht allen offen:
"Ich war auf einer Realschule, dann war ich auf einer Art Wirtschaftsschule. Ich meine, das ist eigentlich die dritte Chance. Viele kriegen noch mal eine dritte Chance und können hier ihren Realschulabschluss machen. Deswegen bin ich eigentlich dankbar dafür."
18 Jahre alt ist Matthias, in Wirklichkeit heißt er anders. Er ist hier geboren, seine Eltern kommen aus Angola. Im nächsten Jahr möchte er die Mittlere Reife machen: "Und zwar wäre mein Ziel nach der zehnten Klasse entweder eine Ausbildung zu machen oder weiter Schule zu machen, Abitur oder Fachabitur, je nachdem." Unterstützt wird er dabei von dem Mannheimer Projekt "Das andere SchulZimmer".
Unterricht per Tandemprinzip
Das Zimmer gibt es wirklich und es ist anders als ein Klassenraum. Blumen, Tische und Stühle, ein Sofa und eine kleine Küche sind auf rund 65 Quadratmeter untergebracht. Der ebenerdig gelegene Raum gleicht eher einem Wohnzimmer. Schulbücher in Regalen und chemische Formeln an der Wand geben erst den Hinweis darauf. Hier wird gelernt und zwar auf kleinstem Raum:
"Wir haben momentan zehn Schulplätze und die sind belegt, wir sind eigentlich schon drüber, aber dadurch, dass immer wieder so eine gewisse Fluktuation ist, können wir auch ein paar mehr aufnehmen."
Von Ute Schnebel stammt das Konzept für "Das andere SchulZimmer", sie gilt als Expertin im Bereich Straßenkinderpädagogik und hat dazu bereits wissenschaftlich gearbeitet. Junge Menschen, vor allem sind es Schulabbrecher, werden in einem Art Tandemprinzip auf einen schulexternen Haupt- oder Realschulabschluss vorbereitet:
"Wir sind eine sehr heterogene Truppe. Es sind Lehrer oder Menschen im Ruhestand, die uns unterstützen. Daneben viele Studierende, und jeder bringt so sein Wissen und sein Hintergrund her mit ein."
"Man findet einfach neuen Lebensmut"
Auch Flüchtlinge sind unter den Schülerinnen und Schüler, andere eint die Herkunft aus schwierigen sozialen Verhältnissen. Pierre übt gerade Mathe. Die Realschule hat er vor ein paar Jahren abgebrochen, auf der Hauptschule fühlte er sich unterfordert:
"Ich bin halt nicht in den Unterricht gegangen, habe lieber Scheiße gebaut. Das hat sich so die letzten fünf sechs Jahr hingezogen. Vor zwei Jahren wollte ich meinen Hauptschulabschluss machen, dann bin ich inhaftiert worden."
Wieder in Freiheit holte er den Hauptschulabschluss nach und bereitet sich jetzt im "anderen SchulZimmer" auf die Mittlere Reife vor. Akribisch sind seine Hefteinträge, aufmerksam lässt er sich eine Formel erklären. "Man findet einfach neuen Lebensmut." Um Mut, um neuen Lebensmut geht es oft in dem "anderen SchulZimmer".
Projekt ausschließlich von Spenden finanziert
Detlev Hintze ist Journalist und war jahrelang in der Flüchtlingsarbeit engagiert. Jetzt sitzt er neben Matthias und auch hier gilt es Matheaufgaben zu lösen: "Diese Eins-zu-Eins-Betreuung ist was ganz Wertvolles. Die jungen Leute haben alle ein Ziel vor Augen, sie möchten einen Beruf lernen. Doch leider fallen jährlich, ich weiß nicht, wie viele, aber etwa sechs sieben, acht Prozent ohne Schulabschluss aus dem Schulsysteme raus."
"Das andere SchulZimmer" wird ausschließlich von Spenden finanziert. Neben der Organisation des Unterrichts muss das Team zeitgleich auch Geld beschaffen. Kaum ein Jahr am Start haben bereits zwei Schüler den Realschulabschluss geschafft; mit einer zwei vor dem Komma, sagt Mathe- und Englischlehrerin Miriam Nobiling:
"Es ist dann auch eine spannende Angelegenheit. Wir bringen die Prüflinge in die Prüfung, begleiten sie bis vor den Raum. Und dann hofft man natürlich, dass sie das gut schaffen und mit sich selbst zufrieden sein." Eine Form der Aufmerksamkeit, die manch eine oder einer hier im "anderen SchulZimmer" noch nie im Leben so erfahren hat.