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Spendensammeln gegen den Hunger auf der Welt

DLF: 'Brot für alle hat die Erde' heißt es, hätte sie zumindest, wenn es gleichmäßig verteilt würde. So aber werden im Norden Lebensmittel vernichtet und der Süden darbt - nicht weil es an der Brüderlichkeit fehlt, sondern an der Infrastruktur. Am Telefon in Stuttgart begrüße ich nun den Direktor von 'Brot für die Welt', Hans Otto Hahn. Guten Morgen.

    Hahn: Guten Morgen, Herr Koczian.

    DLF: Wie viele Menschen müssen denn an diesem Heiligen Abend hungern?

    Hahn: Also, wir gehen davon aus, daß auch an diesem Heiligen Abend ein Viertel der Erdbevölkerung, das sind ungefähr 1,3 Milliarden Menschen, in absoluter Armut leben und hungern, und von diesen Menschen sterben jährlich ungefähr 20 Millionen.

    DLF: Wo liegen denn diesmal die Brennpunkte? Man muß ja immer einige Gebiete herausgreifen, damit überhaupt das Bewußtsein erhalten bleibt.

    Hahn: Wir haben die neue Aktion, die heute abend auch durch Kollekten in Christmetten und Christvespern gebracht wird, unter das Motto gestellt: 'Gebt den Kindern eine Chance'. Damit haben wir auch gleichzeitig inhaltlich die Projekte und Programme benannt, die wir mit dem neuen Spendenaufkommen fördern wollen. Das sind Programme, die Kindern, Ausgebeuteten aber auch Frauen die Möglichkeit eröffnen sollen, menschlich in Würde zu leben. Dies wird in Afrika und Lateinamerika getan. Natürlich können wir nur punktuell helfen bei diesem 'Meer der Not', das ich vorhin in Zahlen genannt habe. Aber diese Hilfen sind ganz wichtig, weil sie auf ein Projekt, auf ein Problem aufmerksam machen und gleichzeitig Menschen die Möglichkeit des Lebens eröffnen.

    DLF: Der Mensch braucht ja eine konkrete Vorstellung. Können Sie diese Projekte näher bezeichnen?

    Hahn: Also wir haben für die neue Aktion einige Projekte herausgestellt; das sind auch nur einige Beispiele für sehr viel andere. Ich nenne mal ein Programm, das wir in Kamerun mit 85.000 DM fördern zur Ausbildung von Kindern aus sozial benachteiligten Schichten. Oder bleiben wir in Afrika: Wir fördern ein Ausbildungszentrum in Togo mit 180.000 Mark, in dem junge Frauen zur Unternehmensgründung befähigt werden sollen. Oder gehen wir nach Asien, Bangkok: Mit 200.000 Mark wird ein Netzwerk gegen die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern finanziert - oder ein Zentrum in Indonesien, in dem rd. 200 behinderte Kinder und Jugendliche leben, medizinisch versorgt und schulisch weitergebildet werden. Das sind einige Beispiele, die wir mit den Mitteln der neuen Aktion 'Brot für die Welt' finanzieren wollen.

    DLF: Aber ist es nicht schrecklich, entscheiden zu müssen, wohin die Hilfe geht - es damit anderen wegzunehmen?

    Hahn: Es ist immer diese Auswahl - wem gibt man etwas - schwierig, da wir sehr viel mehr Anfragen haben, als wir Mittel zur Förderung zur Verfügung stellen können. Wir müssen also auswählen. Wir tun dies bei verschiedenen Kriterien, die sich in diesen 40 Jahren 'Brot für die Welt' bewährt und auch gebildet haben. Zum Beispiel ist zunächst der geplante Inhalt eines Projektes natürlich entscheidend, aber für uns ist auch ganz wichtig, wer dieses Projekt, das Entwicklungsprogramm, vor Ort trägt und betreibt. Denn 'Brot für die Welt' wird selbst nicht als Projektträger auftreten, sondern wir unterstützen Maßnahmen einheimischer Träger. Das können Kirche sein, das können auch andere Nichtregierungsorganisationen sein. Und wir legen natürlich großen Wert darauf, daß dieser Träger seriös ist, daß er auch das, was er vor hat, ausführen kann und daß er die Garantie gibt, daß mit dem zweckgebundenen gegebenen Geld auch das durchgeführt wird, was beabsichtigt ist.

    DLF: Mit welcher Reichweite kann man denn überhaupt helfen? Es gibt ja die Strategen, die sagen: Es macht wenig Sinn, immer nur an den Symptomen herumzudoktorn, das ganze System bleibt damit eher noch stabilisiert. Und dann gibt es die Menschen, die sagen: Ändern können wir wahrscheinlich ohnehin nicht viel, wir können nur das Beispiel eines Christenmenschen geben, wie Albert Schweizer in Lambarene beispielsweise, und sein Lebenswerk eben dort darzustellen, ohne daß im Grunde an dem System etwas geändert wird.

    Hahn: Die Hilfe, die gegeben wird, ist an sich schon wichtig, aber sie ist nur die Hälfte wert, wenn sie nicht flankiert wird von Maßnahmen, die solche Strukturen, die menschenunwürdiges Leben ermöglichen, abbaut. Also das, was wir gelernt haben in 40 Jahren 'Brot für die Welt' ist, daß wir auch in unserem eigenen Land, in Deutschland, nachfragen sollen: Wo sind eigentlich solche Strukturen, die mitverantwortlich sind, daß es Menschen in Afrika, Lateinamerika, schlecht geht? Das heißt: Das, was wir mit Bewußtseinsbildung, Informationsarbeit bezeichnen, das Gespräch über gesellschaftlich wichtige Fragen, das politische, das wirtschaftliche Gespräch in unserem eigenen Land müssen dazu kommen. Das ist etwas, was ganz entscheidend die Hilfe, die vor Ort passiert, qualifiziert. Ich möchte mal ein Beispiel nennen: Ich habe vorhin von der Kinderprostitution in Bangkok gesprochen: Wir wenden uns gegen diese Prostitution durch Projekte, die wir in Thailand finanzieren, aber wir haben auch das Gespräch mit den Reiseveranstaltern in Deutschland. Die Reisen dorthin sind - man weiß das - für ein Großteil der Touristen Gelegenheit, sich auf sexuell abwegiger Weise in Thailand zu befriedigen. Also, das ist ganz wichtig, daß man auch mit diesen Reiseveranstaltern spricht. Und wir haben sicher im Januar, wenn wieder diese Caravan-Motor-Messe in Berlin ist, die Gelegenheit, erneut mit diesen Damen und Herren der Reisebranche in Verbindung zu treten.

    DLF: Kommen wir nun auf die Akton 'Brot für die Welt' noch einmal selbst zurück. Früher hatte ja die äußere Mission ein erhebliches Gewicht. Es galt, die armen Seelen zu retten und man erinnert sich noch gut des Mohrenköpfleins, das artig Dank nickte, wenn man ein Zehnerle in den Opferstock für die Mission warf. Heute hat man den Eindruck, daß die humanitäre Hilfe - wie 'Brot für die Welt' auch - die äußere Mission ersetzt. Ist dieser Eindruck richtig?

    Hahn: Nein, der Eindruck ist nicht richtig. Auch früher, als man noch diese nickenden und dankesagenden Neger hatte - wirklich ein schlimmes Beispiel, das heute auch nicht mehr durchgeführt wird -, aber auch damals ist ja die Verkündigung des Wortes Gottes, also das, was die Seele braucht, auch immer begleitet worden mit humanitärer Hilfe für den Leib. Nur ist das nicht so plakativ geschehen wie die Darstellung der Bekehrenden durch Missionsgesellschaften. Wenn ich vorhin sagte, daß wir vorwiegend auch über Kirchen in den Ländern der Dritten Welt helfen, dann ist damit auch ausgedrückt, daß natürlich die Verkündigung, also die Weitergabe des Wortes Gottes, unauflösbar für diese Kirchen verbunden ist mit der Weitergabe von materieller Hilfe oder Entwicklungshilfe. Also, das sind zwei Seiten der gleichen Münze. Das Wort und die Tat gehören zusammen zum kirchlichen Auftrag.

    DLF: Dies kann natürlich dann ein schmaler Pfad werden, wenn es sich um Nichtchristen handelt, denen man natürlich auch helfen will, zum Beispiel den Moslems. Es ist ganz klar, daß die Innere Mission beispielsweise, das Diakonische Werk, ja bosnischen Bürgerkriegsflüchtlingen hilft, die Musleme sind, ohne deswegen in besonderen Verdacht zu geraten. Wie schmal ist der Pfad? Hahn: Nein, der Pfad ist in der Tat - abhängig von der jeweiligen Gegebenheit vor Ort - sehr schmal. Wir ziehen uns dann strikt auf die Weitergabe von materieller Hilfe, von Entwicklungshilfe, von Aufbauhilfe und Rehabilitation zurück und machen zwar nie einen Hehl daraus, wer dies gibt: Daß wir nämlich Kirche Jesu Christi sind. Aber wir werden hier nicht irgendwie versuchen, als Hilfswerk große Lücken zu machen.

    DLF: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Manches Elend läßt sich nicht durch Finanzmittel lindern. Trost geben zu können gerät zu einer immer selteneren Begabung. Wie kann man Mitarbeiter schulen, oder ist das keine Frage der Schulung, muß dies wirklich - um es mal ganz banal zu sagen - im Herzen der Menschen verankert sein?

    Hahn: Ich glaube, wenn es im Herzen verankert ist - was wir hoffen -, kann es doch durch Schulung etwas stärker ausbrechen und sich verbalisieren oder in Tat umsetzen. Also die Schulung von Diakonen und Diakonissen, die Wort und Tat in eins sehen, ist ganz wichtig. Wir haben also auch Programme, die wir zwar nicht aus Mittel für 'Brot für die Welt', sondern aus unserem Programm 'Kirchen helfen Kirchen' fördern, wo wir genau die Unterstützung, beispielsweise von Seminaren, wo diese Schulung erfolgt, für Theologen und Theologinnen, aber auch für Menschen, die nicht ordiniert sind, damit sie eben glaubwürdig Zeuge Jesu Christi sind.

    DLF: Für manche Menschen gibt es aber nun gar keinen anderen Weg, Nächstenliebe zu zeigen, als Geld zu spenden. Und das ist ja auch vielfältig verwendbar. Sind Sie mit dem Spendenaufkommen in Deutschland zufrieden?

    Hahn: Wir haben im letzten Jahr eine Steigerung erfahren. 'Brot für die Welt' hat circa 120 Millionen Deutsche Mark zur Verfügung gestellt bekommen, ausschließlich durch private Spenden. Wir hoffen, daß wir diesen Betrag auch jetzt in der neuen Aktion halten oder vielleicht sogar vergrößern können. In den 40 Jahren von 'Brot für die Welt' ist es immer mal auf und ab gegangen. Also, wir sind natürlich gespannt, wie das Spendenergebnis sich auswirken wird. Aber wir hoffen, daß das Vertrauen, daß 'Brot für die Welt' in der deutschen Bevölkerung - nicht nur in den Kirchen - in den 40 Jahren sich erworben hat, auch weiterhin honoriert wird.

    DLF: 'Miserior' und 'Adveniat' heißen die katholischen Parallelprogramme. Warum geht man nicht ökomenisch vor?

    Hahn: Also, unser Gegenüber auf der römisch-katholischen Seite in Deutschland ist 'Miserior'. 'Adveniat' ist ja ausgesprochen für Lateinamerika und dort für die Ausbildung der römisch-katholischen Kirche bestimmt. Wir haben mit 'Miserior' ein sehr enges Arbeitsverhältnis. Wir haben seit Jahren einen Vertrag, der gemeinsame Aktionen der Entwicklungsförderung festhält, aber auch der Bewußtseinsbildung in Deutschland. Wir haben einen gemeinsamen Tag, wo wir jeden Monat - beide Hilfswerke zusammen - für Spenden aufrufen für 'Brot für die Welt' und 'Miserior'. Also, wir arbeiten eng zusammen, aber eine Fusion der beiden Hilfswerke ist aus vielen Gründen nicht erfolgt.

    DLF: Und wie begehen Sie - als Person, als Hans Otto Hahn - den Heiligen Abend? Hahn: Also der Hans Otto Hahn wird sich - weil ich keine Familie habe - zu meinen Geschwistern nach Darmstadt begeben. Da sind dann die Nichten und Großnichten und Neffen da. Das wird alles etwas strapaziös für mich. Und anschließend gehe ich 10 Tage in Urlaub.

    DLF: Dafür wünschen wir Ihnen alles Gute. Hans Otto Hahn, Direktor von 'Brot für die Welt' in den Informationen am Morgen. Danke nach Stuttgart und auch ein schönes Fest.

    Hahn: Danke, Ihnen auch.