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Sperre gegen russische Sportler
"Warum sollten es nur die Leichtathleten gewesen sein?"

Aufgrund der Sportregeln sei es durchaus möglich, eine sogenannte "Kollektivstrafe" wie die Sperre der russischen Leichtathleten auszusprechen, sagte die Sportjuristin Anja Martin im DLF. Dass einzelne Sportler, die sich keinen Dopingvorwurf machen können, dagegen vorgingen, sei jedoch "absolut nachvollziehbar". Auch in anderen Disziplinen und Ländern müsse man Nachforschungen anstellen.

Anja Martin im Gespräch mit Andrea Schültke |
    Die russische Hochspringerin Yevgenia Fedotova bei einem russischen Leichtathletik-Wettkampf in Moskau im Februar 2016.
    Die russische Hochspringerin Yevgenia Fedotova bei einem russischen Leichtathletik-Wettkampf in Moskau im Februar 2016. (picture alliance/dpa - Mikhail Japaridze)
    Grundsätzlich sei eine Kollektivstrafe im deutschen oder europäischen Recht unzulässig, da es dort um individuelles Verschulden gehe, so Anja Martin, die unter anderem Chefjustiziarin der Nationalen Anti-Doping-Agentur Deutschlands war. Der Sport kenne aber solche Sanktionen, bei denen ganze Teams ausgeschlossen werden, wenn mehr als zwei Mitglieder des Dopings überführt wurden, oder bei Spielmanipulationen, oder wenn ein Verein finanzielle Anforderungen nicht erfüllt hat.
    In diesem konkreten Fall müsse man überprüfen: "Ist die Suspendierung auf Grundlage des relevanten Reglements ausgesprochen worden?" Der IAAF Code of Ethics besagte eindeutig, "dass eine Suspendierung möglich ist, wenn ein nationaler Verband nicht im Einklang mit Dopingbestimmungen ist."
    Fall Bulgarien zeigt: Sperre ist rechtens
    Im Herbst seien die bulgarischen Gewichtheber ebenfalls vom ihrem Weltverband von den Olympischen Spielen ausgeschlossen worden, was der internationale Sportgerichtshof CAS bestätigt habe. In diesem Fall seien die Regeln "so verletzt worden, dass man zu solch einer drastischen Strafe kommen musste."
    Sportler wie die Stabhochspringerin Jelena Issinbajewa können versuchen, eine Sondergenehmigung zu bekommen, um starten zu dürfen. "Für Sportler, die sich keinen Dopingvorwurf machen können", sei die Sperre "eine unheimliche Beschränkung ihrer Rechte". Daher sei es "absolut nachvollziehbar", dass sie entsprechend dagegen vorgingen. Sie könnten dann "am Ende des Tages das Recht haben, unter olympischer oder neutraler Flagge bei den Olympischen Spielen in Rio an den Start zu gehen".
    Diese Sportler müssten dazu nachweisen, dass sie im Ausland trainiert haben und dort von unabhängigen Instanzen negative Dopingproben abgeliefert haben. Anja Martin sagte: "Athleten können selbst nicht beeinflussen wie oft sie kontrolliert werden, um eventuell darstellen zu können, dass sie die Trainingsvorbereitungen für die Olympischen Spiele sauber gestaltet haben."
    Whistleblowerin mit guten Chancen, Kontrollen nachzuweisen
    Bei der Frage, ob die russische Whistleblowerin Julia Stepanowa zu den Olympischen Spielen nach Rio fahren dürfe, sagte Martin: Der Nachweis, dass sie einem funktionierenden Kontrollsystem unterlag, sei für sie sicher leichter zu erbringen. "Wenn die Entscheidung gefällt wird, dass sie an den Start gehen darf, ist sie sachgerecht. Sie hat das System verlassen und sich einem anderen Anti-Doping-System angeschlossen. Damit kann sie belegen, dass sie sich entsprechend sauber vorbereitet hat."
    Mitte Juli wird der Report von Richard McLaren erwartet, der sich unter anderem mit dem Doping-Kontrolllabor in Sotschi beschäftigt, und der Frage, ob von Regierungsseite mitmanpiuliert und zum Doping angestiftet wurde. "Man muss sich fragen, warum sollten es nur die Leichtathleten gewesen sein?", so Martin. Es gebe genug andere Sportarten, bei denen leistungssteigernde Substanzen entsprechende Wirkungen entfalten. Sollte dem so sein, müssten auch andere ausgeschlossen werden. Allerdings müsse man auch "über die Landesgrenzen blicken und sehen, welche Länder und Sportarten könnten betroffen sein."
    Ganz klar sei, dass diese Aufdeckungen und Enthüllungen und die Konsequenzen, die sich daraus ziehen lassen ein ganz deutliches Signal seien, und "vielleicht ein Warnschuss, dass sich national und international im Anti-Doping-Kampf maßgeblich etwas ändert".
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