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Sperrvermerke für Dschihadisten
"Nach derzeitiger Gesetzeslage nicht möglich"

Um zu verhindern, dass gewaltbereite Dschihadisten über die Türkei nach Syrien oder den Irak ausreisen, ist ein Sperrvermerk im Personalausweis im Gespräch. Ein juristisch absolut problematisches Unterfangen, sagte Nikolaos Gazeas, Experte für internationales Strafrecht, im Deutschlandfunk. Ein Sichtvermerk hätte eine stigmatisierende Wirkung.

Nikolaos Gazeas im Gespräch mit Thielko Grieß |
    Ein Mann hält am 16.10.2009 auf dem Flughafen in Frankfurt am Main seinen Reisepass in den Prototypen einer automatischen Passkontrolle, genannt "easy Pass".
    Sperrvermerke sind bisher nur in Pässen möglich, jetzt wird über den Personalausweis diskutiert (picture alliance / Marius Becker)
    Rund 400 gewaltbereite Dschihadisten aus Deutschland könnten sich der IS-Terromiliz anschließen oder bereits angeschlossen haben. Bei einer Ausreise über die Türkei ist kein Reisepass notwendig. Deshalb diskutieren Politiker und Juristen, wie dieses Schlupfloch geschlossen werden kann, denn anders als beim Reisepass sind beim Personalausweis keine Sperrvermerke möglich.
    Kein leichtes Unterfangen, stellt Nikolaos Gazeas, Experte für internationales Strafrecht an der Universität zu Köln fest. In Deutschland bestehe Ausweispflicht, deshalb könne ein Personalausweis grundsätzlich nicht entzogen werden. Auch Sichtvermerke seien überaus problematisch, denn sie könnten eine stigmatisierende Wirkung haben. Auch im Alltag - bei Behördengängen oder beim Anmieten einer Wohnung - werde oft ein Personalausweis verlangt. Auf Basis eines Verdachts jemanden als potenziellen Terroristen zu kennzeichnen, lasse sich juristisch nicht ohne Weiteres begründen, betonte Gazeas.
    Als weitere Möglichkeit wird erwogen, Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft die deutsche zu entziehen. Nach den Erfahrungen des Dritten Reiches seien die verfassungsrechtlichen Hürden extrem hoch. Es handele sich um "eine der heiligen Kühe" in der deutschen Verfassung, sagte Gazeas.
    Die Notwendigkeit für eine weitere Verschärfung des Strafrechts sieht der Jurist nicht. Mit dem sogenannten Terrorcamp-Paragrafen gehe Deutschland bereits sehr weit. Eine weitere Verschärfung sei mit Blick auf das Prinzip der Verhältnismäßigkeit nicht angebracht.
    Seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs wurden 30 potenzielle Dschihadisten an der Ausreise aus Deutschland gehindert.

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Die Terrormiliz Islamischer Staat rückt weiter auf den kurdischen Ort Kobani vor. Mehr als 300 Dörfer rund um diesen Ort sind bereits von den Terroristen eingenommen worden.
    Wir haben es gehört: Rund 400 Deutsche sind seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien ausgereist. Ein Teil ist wieder zurückgekommen, von denen wiederum auch nur ein Teil in Syrien oder im Irak tatsächlich gekämpft hat. Zusätzlich verpflichten inzwischen die Vereinten Nationen auch die Bundesrepublik, Reisen von gewaltbereiten Extremisten in solche Krisenregionen zu unterbinden, und folglich gibt es hier in Deutschland eine politische Diskussion darüber, ob Deutschland neue Gesetze braucht oder andere schärfere Gesetze, oder ob schon alles hinreichend geregelt ist.
    Kurz ein Überblick über die Instrumente, die debattiert werden: Zum Beispiel ein Vermerk im Personalausweis. Der soll zum Beispiel die Behörden in der Türkei aufmerksam werden lassen, denn für deutsche Staatsbürger reicht es ja, einen Personalausweis dabei zu haben für eine Reise in die Türkei, und von dort ist es dann nicht mehr weit in den Irak oder nach Syrien. - Oder, nächster Vorschlag: Extremisten mit doppelter Staatsbürgerschaft soll eine Staatsbürgerschaft, nämlich die deutsche, entzogen werden können. - Und schließlich eine Verschärfung des Strafrechts ist im Gespräch.
    Was ist möglich? Wie weit kann der Staat gehen? Das möchte ich jetzt umreißen mit Nikolaos Gazeas, Experte für internationales Strafrecht an der Universität zu Köln, jetzt bei uns im Studio. Schönen guten Morgen!
    Nikolaos Gazeas: Guten Morgen, Herr Grieß.
    "Ein Personalausweis kann nicht eingezogen werden"
    Grieß: Der Reisepass, der kann nach geltender Rechtslage bereits eingezogen werden. Das wissen wir. Jetzt zum Vermerk im Personalausweis, der im Gespräch ist. Ist das möglich?
    Gazeas: Beim Personalausweis besteht die Besonderheit, dass er anders als der Reisepass nicht eingezogen werden kann, weil grundsätzlich jeder Bundesbürger die Pflicht hat, einen Personalausweis zu besitzen, um sich entsprechend ausweisen zu können. Während beim Reisepass ein solcher Sperrvermerk, also eine sichtbare Notiz, dass jemand nicht ausreisen darf, nach derzeitiger Gesetzeslage schon möglich ist, ist das bei dem Personalausweis nicht der Fall.
    Was allerdings heute schon möglich ist, ist, dass in dem Personalausweis angeordnet und gespeichert wird, dass dieser Personalausweis nicht zum Verlassen Deutschlands berechtigt. Hier besteht allerdings die Besonderheit, dass der Personalausweis selbst optisch, also sichtbar, nicht gekennzeichnet wird. Das ist nach derzeitiger Gesetzeslage nicht möglich.
    Grieß: Dann geht ein Teil der Diskussion, die geführt wird über einen Vermerk, tatsächlich an dem, was juristisch und gesetzlich möglich ist, tatsächlich vorbei?
    Gazeas: Das würde ich nicht so sagen. Die Überlegungen, vor allem vor dem Hintergrund, dass mögliche Dschihadisten den Weg über die Türkei wählen, um etwa nach Syrien und in den Irak zu kommen, dem damit zu begegnen, dass man den Personalausweis nicht als Reisemittel nutzen kann, sind auf den ersten Blick durchaus erwägenswert. Hier gibt es allerdings, so meine ich, juristisch und vor allem verfassungsrechtlich durchaus Bedenken, denn man muss berücksichtigen, dass anders als beim Reisepass ein entsprechender Vermerk auf dem Personalausweis eine durchaus stigmatisierende Wirkung entfalten könnte vor dem Hintergrund, dass der Personalausweis eben nicht nur Behörden gegenüber zur Verwendung kommt, sondern auch im Alltag, etwa wenn Sie ein Bankkonto eröffnen, einen Kredit beantragen, in einem Hotel einchecken, oder sich zum Beispiel bei einem Vermieter vorstellen. Es könnte durchaus die Sorge bestehen, dass so jemand, der sichtbar seinen Personalausweis gekennzeichnet hat, das Stigma des Terroristen auf die Stirn gesetzt bekommt, und das alles auf Basis eines Verdachts, und dementsprechend, wenn Sie so wollen, noch nicht einmal in einem Hotelzimmer in Deutschland irgendwo noch einchecken kann.
    "Das Grundgesetz verbietet grundsätzlich eine Ausbürgerung"
    Grieß: In der Debatte ist außerdem der mögliche Entzug einer von mehreren Staatsangehörigkeiten bei Terrorverdächtigen, die mehrere Staatsangehörigkeiten haben. Kann man die deutsche Staatsangehörigkeit in einem solchen Fall entziehen?
    Gazeas: Die verfassungsrechtlichen Hürden hierfür sind sehr, sehr hoch, Herr Grieß. Das Grundgesetz verbietet grundsätzlich eine Ausbürgerung. Artikel 16 des Grundgesetzes sagt dazu ganz klar, die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Nur unter sehr engen Voraussetzungen erlaubt unsere Verfassung dies. Hintergrund dieser sehr strengen Regelung sind vor allem die schlimmen Ereignisse während des Dritten Reichs, wo insbesondere aus politischen und religiösen Gründen hier vor allem jüdische Mitbürger willkürlich ausgebürgert wurden. Das Verbot der Ausbürgerung ist, wenn Sie so wollen, eine der heiligen Kühe unseres Grundgesetzes und auch unseres Staatsverständnisses. Grundsätzlich besteht - das müsste man sich etwas genauer anschauen und ich bin mir sicher, dass das jetzt vor allem im Bundesinnenministerium gerade gemacht wird -, grundsätzlich sehe ich eine Möglichkeit unter sehr, sehr strengen Voraussetzungen bei Doppelstaatlern, möglicherweise bei entsprechender Verdachtslage die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen. Aber auch das muss man sich in aller Ruhe etwas genauer anschauen.
    "Terrorcamp-Paragraf geht schon sehr weit"
    Grieß: Da wird es sehr genau auf die Formulierung des Gesetzes ankommen. Stichwort Formulierungen von Gesetzen. Wir sind jetzt beim Strafrecht und bei einer in Rede stehenden Verschärfung des Strafrechts. Es ist bereits strafbar, in ein Terrorcamp zu reisen in eindeutiger Absicht, sich dort zum Beispiel ausbilden zu lassen. Es ist bereits auch strafbar, Beziehungen zu terroristischen Vereinigungen aufzunehmen. Das ist eine Verschärfung, die im Gesetz steht seit 2009. Hintergrund war damals der geplante Anschlag der Sauerland-Gruppe. Jetzt, Herr Gazeas, ist im Gespräch, auch den Versuch, hinzureisen, unter Strafe zu stellen. Was halten Sie juristisch von diesem Ansinnen?
    Gazeas: Die Überlegung, auch den Versuch der Reise in ein Terrorcamp unter Strafe zu stellen, und zwar ohne, dass eine entsprechende Absicht schon besteht, nach einer Ausbildung im Terrorcamp einen Anschlag zu begehen, halte ich für verfassungsrechtlich durchaus bedenklich. Hier muss man zunächst sich vor Augen führen, dass das deutsche Strafrecht mit Blick auf die Bekämpfung von Terrorismus und vor allem auch von individuellen, von einzelnen Terroristen hier schon sehr, sehr weit geht mit genau diesen Vorschriften, die Sie eben angesprochen haben. Der sogenannte Terrorcamp-Paragraph, der 2009 eingeführt wurde, geht sehr weit. Er geht sogar weiter als das, was als europarechtliche Vorgabe an alle Mitgliedsstaaten der EU herangetragen wurde. Deutschland hat da schon ein sehr, sehr starkes Strafrecht. Das jetzt noch einen Schritt weiter nach vorne zu verlagern, ist vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsprinzips unserer Verfassung und des Schuldprinzips, meine ich, nicht möglich.
    Grieß: Nun gibt es seit genau einer Woche eine Resolution des UNO-Sicherheitsrats. Ich habe es kurz angesprochen in der Anmoderation. Eine Resolution, die Mitgliedsländer dazu verpflichtet, Reisen von gewaltbereiten Extremisten in Krisenregionen zu unterbinden. Gerät einerseits das, was Deutschland getan hat, nämlich diese Resolution in New York auch zu unterstützen, nun in Konflikt mit dem, was Sie an verfassungsrechtlichen Bedenken gerade aufgeführt haben?
    Gazeas: Einen solchen Konflikt sehe ich durchaus. Wir haben hier in der Tat die Problematik, dass die UN-Sicherheitsratsresolution verbindlich ist. Das ist verbindliches Völkerrecht, was dort beschlossen wurde, und dementsprechend unterliegt Deutschland als Mitgliedsstaat der Pflicht, sein Strafrecht entsprechend anzupassen. Auf der anderen Seite haben wir die Grenzen, die unsere Verfassung hier zieht, und es ist auch unter uns Juristen noch nicht abschließend geklärt, wie dieser Konflikt, wenn Sie so wollen, der juristische Konflikt, der hier besteht, gelöst wird. Hier wird man sich noch sehr, sehr viele Gedanken machen müssen.
    Grieß: Danke schön! - Nikolaos Gazeas war das, Experte für internationales Strafrecht an der Universität in Köln. Herzlichen Dank für Ihren Besuch im Studio!
    Gazeas: Gern geschehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.