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Spezialisten gesucht

32.000 industrienahe Ingenieure werden jedes Jahr gebraucht, 50.000 kommen jedes Jahr von den Hochschulen. Und dennoch beklagen die deutschen Ingenieursverbände so viele offene Stellen wie noch nie. Vielleicht werden nicht zu wenig Ingenieure ausgebildet, sondern die falschen, lautet eine Vermutung.

Von Philipp Banse |
    Genug Ingenieure in Deutschland? Das steht in krassem Gegensatz zu Klagen von Unternehmen und Lobbyverbänden. Denn gerade heute meldet der Verein Deutscher Ingenieure VDI, dass es noch nie so viele offene Ingenieursstellen gab wie im Februar, nämlich 105.700.

    Wie kommen diese Unterschiede zustande? Das fängt an bei der Frage: Wie viele Ingenieure brauchen wir eigentlich? Da gibt es auf der einen Seite die Zahl des Vereins Deutscher Ingenieure, der sagt: Jedes Jahr scheiden 40.000 Ingenieure aus, weil sie in Rente gehen, die müssten mindestens ersetzt werden.

    Karl Benke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW sagt dagegen: 40.000? Niemals, es sind nur 20.000 Ingenieure, die jedes Jahr ausscheiden, einfach weil sie zu alt sind. Der Unterschied entsteht, weil beide sich unterschiedliche Gruppen ansehen. Benke vom DIW schaut sich nur Ingenieure an, die industrienah arbeiten. Denn nur bei Gruppen wie Maschinenbauern und Flugzeugingenieuren gebe es wirklich Klagen. Der Verein Deutscher Ingenieure dagegen legt seinen Berechnungen eine viel größere Gruppe zugrunde, sagt VDI-Sprecher Marco Dadomo, nämlich auch alle, die zwar mal als Ingenieure ausgebildet wurden, aber nicht unbedingt als Ingenieure arbeiten:

    "Die werden alle nicht als Ingenieure geführt, sondern als Controller, als Professoren, als technische Berater, aber es sind Ingenieure und sie gehören natürlich genauso dazu wie diejenigen, die als Ingenieure wirklich tätig sind."

    So kommt das DIW auf 20.000 Ingenieure, die jedes Jahr ersetzt werden müssen, der VDI auf 40.000. Dazu, das ist unstreitig, kommen weitere Ingenieursstellen, die neu entstehen, durch Wachstum und Innovation. Ingenieure, die ersetzt werden müssen, plus neue Stellen – so kommt der DIW-Forscher auf einen jährlichen Bedarf von 32.000 industrienahen Ingenieuren. Das ist der Bedarf. Und wie groß ist das Angebot?
    Mindestens 50.000, sagt Benke. Denn so viele studierte Ingenieure verließen jedes Jahr die Hochschulen.
    "Wenn ich mir die Beschäftigungsentwicklung auf der einen Seite ansehe und mir dann ansehe, was aus den Hochschulen kommt, dann können wir feststellen, dass das, was als Bedarf gesamtwirtschaftlich entstehen könnte, mehr als gedeckt wird durch die Zahl der Hochschulabsolventen."

    32.000 industrienahe Ingenieure werden jedes Jahr gebraucht, 50.000 kommen jedes Jahr von den Hochschulen – Frage an den Sprecher des Vereins der Ingenieure: Was stimmt an dieser Rechnung nicht?

    "Das heißt ja noch lange nicht, dass diejenigen, die die Hochschule absolvieren, genau immer auf das Profil passen, was im Moment im Markt gefragt ist."

    Das würde heißen: Es werden nicht zu wenig Ingenieure ausgebildet, sondern die falschen. Dafür sprechen auch die Klagen der Unternehmen, das sie Ingenieursstellen nicht besetzen können. Wie passt das Klagen der Unternehmen zum angeblichen Ingenieursüberschuss, den wir laut DIW bald haben werden? Darauf antwortet DIW-Forscher Benke so:

    "Ich will nicht ausschließen, dass es in bestimmten Bereichen einen Spezialistenmangel gibt. An Spezialisten mangelt es immer. Mir geht es um das große Feld."

    DIW-Forscher Benke ging soweit, den Lobbyverbänden und der Industrie eine Kampagne zu unterstellen, mit der die Ingenieurslücke künstlich hoch gejazzt werden soll. Das unterstellte Kalkül: Wenn wegen der angeblichen Lücke irgendwann zu viele Ingenieure aus den Hochschulen kommen, sinken die Lohnkosten wieder.

    "Das heißt, mit den Klagen über den Ingenieurmangel wurden auch politische Ziele verfolgt, zu sagen, vielleicht ist ein indischer Ingenieur billiger als ein deutscher."

    Diesen Vorwurf weist der Verein Deutscher Ingenieure zurück. Der VDI lege laufend Zahlen vor, die die Löhne der heutigen Ingenieure eher nach oben trieben als nach unten.