Rainer Berthold Schossig: Und wir kommen zu der spinnenwebgestützten Comic-Gestalt Spiderman. Sie entstand, als der sehr schüchterne Student Peter Parker von einer radioaktiven Spinne gebissen wurde. Sein Körper entwickelt dann Supereigenschaften: Riesenkraft, er kann Netze spinnen, vermittels derer er durch die Wolkenkratzerschluchten Manhattans schwingt. So weit, so gut, aber in der neusten Comic-Serie gibt es eine tolle Überraschung: Er ist plötzlich schwarz geworden, der Spiderman! Frage an Andreas Platthaus vom "FAZ"-Feuilleton: Ist das eher Zufall oder ein Geburtstagsgeschenk für Obama?
Andreas Platthaus: Also, es ist, glaube ich, kein Geburtstagsgeschenk für Obama. Obama und Spiderman sind gute Freunde, die haben sich in einem Heft schon mal vor ein paar Jahren zu der Inaugurationsfeier vom Präsidenten getroffen, da hat Spiderman ein Attentat auf Obama verhindert. Aber deshalb hat er eigentlich schon sein großes Geschenk gemacht. Es liegt einfach daran, dass der Marvel-Verlag, der die "Spiderman"-Hefte herausgibt, glaube ich, ein neues Lesersegment für seine Comics erschließen möchte. Und die haben auch festgestellt: Ein Großteil der Jugendlichen in Amerika - also klassische Comic-Leser - sind eben mittlerweile nicht mehr die weißen, angelsächsischen Protestanten aus den Oststaaten, sondern die kommen aus anderen Gebieten, das sind Zugewanderte, das sind Schwarze, das sind Latinos, und denen möchte man eben auch mal eine Identifikationsfigur bieten.
Schossig: Es entspricht ja auch so ein bisschen dem Zeitgeist, den ich zum ersten mal lesend kennengelernt habe als Nicht-Amerikaner in dem wunderbaren Buch von Philip Roth "The Human Stain": Da wird, wie Sie sagen, ein neues Segment geöffnet, es wird aber auch vielleicht sogar eine neue Comic-Haltung und Welthaltung insgesamt entwickelt?
Platthaus: Ja, kann man durchaus vermuten. Wobei es jetzt auch wiederum ein bisschen stark wäre zu sagen, es habe vorher niemals farbige Helden bei den Superhelden gegeben. Nur, sie haben nie die wirklich großen Helden inbegriffen. Also, Spiderman war eben klar definiert, das war Peter Parker, das war eben so ein, tja, angelsächsischer, weißer Protestant aus den Oststaaten, und so hat man eigentlich alle großen Helden konzipiert seit den 40er-Jahren. Und jetzt plötzlich wird einer von diesen Helden umdefiniert, dafür musste man den alten erst mal sterben lassen. Peter Parker ist jetzt tot in dieser Serie und jetzt kann man jemand Neuen in das Kostüm reinstecken. Und das Besondere ist, dass man wirklich eine solche Position mal frei räumt für diese Schicht.
Schossig: Also, da muss ich sagen, dass wir Deutschen da sehr viel früher dran waren. Ich weiß nicht, ob in den "Neuruppiner Bilderbögen" schon Schwarze vorkommen, aber meine erste Comic-Figur war im "Struwwelpeter": "Es ging spazieren vor dem Tor ein kohlpechrabenschwarzer Mohr" ...
Platthaus: Ja, man muss ja auch sagen, was war das für eine unglaublich sympathische Figur! Der wurde ja wirklich übel mitgespielt, aber man wusste sofort, das ist wirklich auch nicht fair, was mit dem passiert. Und es war gut, dass die drei weißen Jungs dann bestraft wurden! Also, da war Sankt Niklas natürlich auch sozusagen der Rächer von uns allen, und das ist eine ganz tolle schwarze Figur, die wir da haben, ja!
Schossig: Ins Tintenfass gesteckt! Nun, im Laufe des großen Marvel-Cross-overs "Civil War" hat ja Spiderman damals seine Doppelidentität enthüllt, um sich wohl, wenn ich das richtig erinnere, von der Regierung als Superheld registrieren zu lassen. Ist Spiderman eigentlich - ich sage jetzt, der weiße - eine staatstragende Figur gewesen?
Platthaus: Am Anfang nicht. Spiderman ist eigentlich jemand gewesen, der vor allem mit seinen eigenen Problemen zu tun hatte und der sich darum gar nicht groß dafür interessiert hat, Amerika zu retten. Der wollte erst mal aus seiner eigenen, pickeligen Pubertätsphase und so was raus und fand da eben eine Art Kompensation im Superhelden-Dasein. Aber Spiderman ist, wie so ziemlich jeder Superheld, ein bisschen in diese Rolle reingeraten. Immer, wenn es in Amerika eine Krisensituation gibt, dann werden eben auch die Comic-Helden rekrutiert. Und da ist natürlich in den 50 Jahren, die es Spiderman jetzt fast gibt, einiges geschehen. Und so gesehen, ist er natürlich mittlerweile auch ein staatstragender Held, spätestens, als die Kinofilme so wahnsinnig erfolgreich waren und er damit eben zu einem der allerpopulärsten Helden geworden ist.
Schossig: Einer von Spidermans größten Feinden ist der grüne Kobold. Der entspringt aber nicht aus einer politischen Farbenlehre.
Platthaus: Nein, absolut nicht! Also, als der grüne Kobold entwickelt wurde in den 60er-Jahre, da verband man, glaube ich, mit der grünen Farbe noch überhaupt keine politische Aussage. Grün ist im Englischen ein ganz klassischer Farbtopos für Eifersucht, das kommt schon bei Shakespeare vor, da ist vom grünäugigen Eifersuchtsteufel die Rede, und darum sind Schurken in Superhelden nicht allzu selten grün. Die sind logischerweise sehr neidisch auf die Helden.
Schossig: Wie ist es, Ihre Prognose: Welche Zukunft hat der schwarze Spiderman?
Platthaus: Der hat insofern eine recht gute Zukunft, weil es den weißen Spiderman auch immer noch gibt. Das etwas Fiese an der ganzen Sache ist, dass man dann doch nicht Spiderman als Ganzes neu besetzt hat, sondern es gibt zwei "Spiderman"-Serien, die in Amerika publiziert werden. Da ist das klassische Heft, "The Amazing Spiderman", und da lebt Peter Parker munter weiter, und dann gibt es eben "Ultimate Spiderman", eine Serie, die vor etlichen Jahren nebenher konzipiert wurde, wo man so ein bisschen experimenteller erzählen wollte. Und in dieser Serie ist jetzt eben Peter Parker gestorben und da hat man jetzt eben seinen Nachfolger, einen gewissen Miles Morales eingeführt im Kostüm. Aber ich wäre doch sehr, sehr erstaunt, wenn das auf Dauer so parallel laufen würde, und darum schätze ich mal: Wenn wir in zehn Jahren wieder telefonieren, dann steckt Peter Parker wieder in allen Kostümen, wo Spiderman draußen drauf ist.
Schossig: So viel also von Andreas Platthaus über den alten weißen und den neuen schwarzen Comic-Helden Spiderman.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Andreas Platthaus: Also, es ist, glaube ich, kein Geburtstagsgeschenk für Obama. Obama und Spiderman sind gute Freunde, die haben sich in einem Heft schon mal vor ein paar Jahren zu der Inaugurationsfeier vom Präsidenten getroffen, da hat Spiderman ein Attentat auf Obama verhindert. Aber deshalb hat er eigentlich schon sein großes Geschenk gemacht. Es liegt einfach daran, dass der Marvel-Verlag, der die "Spiderman"-Hefte herausgibt, glaube ich, ein neues Lesersegment für seine Comics erschließen möchte. Und die haben auch festgestellt: Ein Großteil der Jugendlichen in Amerika - also klassische Comic-Leser - sind eben mittlerweile nicht mehr die weißen, angelsächsischen Protestanten aus den Oststaaten, sondern die kommen aus anderen Gebieten, das sind Zugewanderte, das sind Schwarze, das sind Latinos, und denen möchte man eben auch mal eine Identifikationsfigur bieten.
Schossig: Es entspricht ja auch so ein bisschen dem Zeitgeist, den ich zum ersten mal lesend kennengelernt habe als Nicht-Amerikaner in dem wunderbaren Buch von Philip Roth "The Human Stain": Da wird, wie Sie sagen, ein neues Segment geöffnet, es wird aber auch vielleicht sogar eine neue Comic-Haltung und Welthaltung insgesamt entwickelt?
Platthaus: Ja, kann man durchaus vermuten. Wobei es jetzt auch wiederum ein bisschen stark wäre zu sagen, es habe vorher niemals farbige Helden bei den Superhelden gegeben. Nur, sie haben nie die wirklich großen Helden inbegriffen. Also, Spiderman war eben klar definiert, das war Peter Parker, das war eben so ein, tja, angelsächsischer, weißer Protestant aus den Oststaaten, und so hat man eigentlich alle großen Helden konzipiert seit den 40er-Jahren. Und jetzt plötzlich wird einer von diesen Helden umdefiniert, dafür musste man den alten erst mal sterben lassen. Peter Parker ist jetzt tot in dieser Serie und jetzt kann man jemand Neuen in das Kostüm reinstecken. Und das Besondere ist, dass man wirklich eine solche Position mal frei räumt für diese Schicht.
Schossig: Also, da muss ich sagen, dass wir Deutschen da sehr viel früher dran waren. Ich weiß nicht, ob in den "Neuruppiner Bilderbögen" schon Schwarze vorkommen, aber meine erste Comic-Figur war im "Struwwelpeter": "Es ging spazieren vor dem Tor ein kohlpechrabenschwarzer Mohr" ...
Platthaus: Ja, man muss ja auch sagen, was war das für eine unglaublich sympathische Figur! Der wurde ja wirklich übel mitgespielt, aber man wusste sofort, das ist wirklich auch nicht fair, was mit dem passiert. Und es war gut, dass die drei weißen Jungs dann bestraft wurden! Also, da war Sankt Niklas natürlich auch sozusagen der Rächer von uns allen, und das ist eine ganz tolle schwarze Figur, die wir da haben, ja!
Schossig: Ins Tintenfass gesteckt! Nun, im Laufe des großen Marvel-Cross-overs "Civil War" hat ja Spiderman damals seine Doppelidentität enthüllt, um sich wohl, wenn ich das richtig erinnere, von der Regierung als Superheld registrieren zu lassen. Ist Spiderman eigentlich - ich sage jetzt, der weiße - eine staatstragende Figur gewesen?
Platthaus: Am Anfang nicht. Spiderman ist eigentlich jemand gewesen, der vor allem mit seinen eigenen Problemen zu tun hatte und der sich darum gar nicht groß dafür interessiert hat, Amerika zu retten. Der wollte erst mal aus seiner eigenen, pickeligen Pubertätsphase und so was raus und fand da eben eine Art Kompensation im Superhelden-Dasein. Aber Spiderman ist, wie so ziemlich jeder Superheld, ein bisschen in diese Rolle reingeraten. Immer, wenn es in Amerika eine Krisensituation gibt, dann werden eben auch die Comic-Helden rekrutiert. Und da ist natürlich in den 50 Jahren, die es Spiderman jetzt fast gibt, einiges geschehen. Und so gesehen, ist er natürlich mittlerweile auch ein staatstragender Held, spätestens, als die Kinofilme so wahnsinnig erfolgreich waren und er damit eben zu einem der allerpopulärsten Helden geworden ist.
Schossig: Einer von Spidermans größten Feinden ist der grüne Kobold. Der entspringt aber nicht aus einer politischen Farbenlehre.
Platthaus: Nein, absolut nicht! Also, als der grüne Kobold entwickelt wurde in den 60er-Jahre, da verband man, glaube ich, mit der grünen Farbe noch überhaupt keine politische Aussage. Grün ist im Englischen ein ganz klassischer Farbtopos für Eifersucht, das kommt schon bei Shakespeare vor, da ist vom grünäugigen Eifersuchtsteufel die Rede, und darum sind Schurken in Superhelden nicht allzu selten grün. Die sind logischerweise sehr neidisch auf die Helden.
Schossig: Wie ist es, Ihre Prognose: Welche Zukunft hat der schwarze Spiderman?
Platthaus: Der hat insofern eine recht gute Zukunft, weil es den weißen Spiderman auch immer noch gibt. Das etwas Fiese an der ganzen Sache ist, dass man dann doch nicht Spiderman als Ganzes neu besetzt hat, sondern es gibt zwei "Spiderman"-Serien, die in Amerika publiziert werden. Da ist das klassische Heft, "The Amazing Spiderman", und da lebt Peter Parker munter weiter, und dann gibt es eben "Ultimate Spiderman", eine Serie, die vor etlichen Jahren nebenher konzipiert wurde, wo man so ein bisschen experimenteller erzählen wollte. Und in dieser Serie ist jetzt eben Peter Parker gestorben und da hat man jetzt eben seinen Nachfolger, einen gewissen Miles Morales eingeführt im Kostüm. Aber ich wäre doch sehr, sehr erstaunt, wenn das auf Dauer so parallel laufen würde, und darum schätze ich mal: Wenn wir in zehn Jahren wieder telefonieren, dann steckt Peter Parker wieder in allen Kostümen, wo Spiderman draußen drauf ist.
Schossig: So viel also von Andreas Platthaus über den alten weißen und den neuen schwarzen Comic-Helden Spiderman.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.