Anne Spiegel steht am Sonntagabend sichtlich angespannt vor den Kameras. Die Noch-Bundesfamilienministerin spricht bedacht, mit vielen Pausen, räuspert sich mehrmals. Ihr Blick huscht hin und her, vereinzelt bricht ihre Stimme ab, sie scheint den Tränen nahe. Spiegel versucht, den vierwöchigen Familienurlaub kurz nach der Flutkatastrophe vergangenen Sommer zu erklären und teilt dafür Privates mit der Öffentlichkeit. Am Ende ihres Statements wendet sie sich nach rechts - vermutlich zu ihrem Presseteam - und sagt leise: "Jetzt überlege ich gerade, ob ich irgendwas…jetzt muss ich das noch irgendwie abbinden."
Nach der Entschuldigung der Ministerin stellte sich nicht nur verstärkt die Frage, ob Spiegel im Amt bleiben werde. Sondern auch, wie es zu diesem unprofessionellen Auftritt kommen konnte.
Offenbar war Spiegel in dem Moment nicht klar, dass ihr Statement live übertragen wird. Ein Fehler, den der Kommunikationsberater Johannes Hillje bei Spiegels Pressestelle sieht. "Die Pressekonferenz wird vermutlich als Negativbeispiel der politischen Kommunikation in die Lehrbücher eingehen", so Hillje. "Weniger wegen des Gesagten, sondern vielmehr wegen des Organisatorischen. Ein Pressesprecher kann eine Ministerin nicht in einem derart aufgewühlten Zustand vor die Kameras lassen."
Die Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele sieht das anders: "Die Verantwortung trägt immer der oder die an der Spitze. Aber ein Presseteam hätte sie da sicherlich besser beraten müssen."
Überhasteter Auftritt am Sonntagabend
Die gewählte Uhrzeit für die Pressekonferenz sorgte für Verwirrung: Am Sonntag um 21 Uhr hatten viele mit einem Rücktritt gerechnet. Dann kam die emotionale Entschuldigung. Vieles hätte dafür gesprochen, diesen Termin stattdessen auf Montag zu legen.
"Um einen Nicht-Rücktritt zu verkünden, muss man nicht um 21 Uhr am Sonntagabend eine Pressekonferenz halten. Da kann man sich auch ausgeruht am nächsten Tag zu Wort melden", so der Kommunikationsexperte Hillje. "Diese ungewöhnliche Zeit macht den Eindruck, als sei das Ganze etwas überhastet gewesen." Wenn man die Debatte zu den eigenen Gunsten wenden möchte, sei es außerdem sinnvoll, das noch vor Redaktionsschluss der Printzeitungen zu versuchen.
Der Zeitpunkt sei auch ein Widerspruch zu dem gesellschaftlichen Thema hinter der Affäre, so Hillje: "Wenn man für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf einsteht und dann sich selbst, dem eigenen Team und den Journalistinnen und Journalisten diesen Termin in den Kalender setzt."
Römmele: “Familiäres als Erklärung zu nutzen war extrem unklug”
Auch Andrea Römmele von der Hertie School of Governance sieht den Zeitpunkt des Auftritts kritisch: "Dass es am Sonntagabend in diesem Format gemacht wurde und dass Hochpersönliches, Familiäres als Erklärung genutzt wurde, war extrem unklug. Ich hätte Anne Spiegel geraten, noch eine Nacht darüber zu schlafen und dann zurückzutreten. An dem Rücktritt ging kein Weg mehr vorbei.”
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"In diesem Fall hat die Krisenkommunikation die Krise verschärft statt entschärft”, sagt Johannes Hillje. Nach dem Statement ging es nicht mehr allein um das politische Handeln von Anne Spiegel, sondern verstärkt um ihre persönliche Eignung für das Amt der Familienministerin. "Das hat meines Erachtens letztlich den Ausschlag gegeben, warum der Rücktritt nicht mehr zu vermeiden war", so Hillje.
Transparenz als wichtiger Faktor in Krisen
Der Kommunikationsexperte sieht in dem Statement der Politikerin aber auch eine Stärke: "Anne Spiegel hat am Anfang des Auftritts gesagt, sie tut jetzt etwas, was eigentlich gegen ihre eigenen Prinzipien verstößt. Nämlich, dass sie das Private öffentlich macht." Damit habe sie Transparenz schaffen wollen - laut Hillje ein wichtiger Faktor in Krisensituationen. Die Darstellung des Schicksals ihres Mannes führe zu Solidarität. Aber letztlich blieb die Frage, ob Spiegel im aktuellen Status Quo der Unvereinbarkeit von Familie und Beruf ihrer politischen Verantwortung gerecht geworden sei, so Hillje.
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Es sei wunderbar und wichtig, dass immer mehr junge Politiker und Politikerinnen offen mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf umgehen, meint Römmele. "Aber das als Begründung anzugeben, warum man nicht performt hat und als letzte Reserve zu nehmen, damit man noch im Amt bleibt, das finde ich billig."
Das Reputationspolster für schwierige Zeiten fehlte
Für Krisensituationen ist laut Hillje entscheidend, dass Politiker auf ein Reputationspolster zurückgreifen können. Dann komme es weniger schnell zu Rücktrittsforderungen. Spiegel hatte sich dieses Polster noch nicht aufbauen können, da sie erst wenige Monate im Amt und noch nicht lange bundesweit bekannt war. Es waren interne Chatverläufe bekannt geworden, die den Eindruck erwecken, dass es Spiegel am Morgen nach der Flut weniger um die Hilfe für Betroffene als um ihr eigenes Images ging.
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"Spiegel war in der ganzen Affäre um die Flutkatastrophe von Beginn an defensiv und hat den klassischen Fehler der Salamitaktik angewandt: Fehler nur nach und nach zugeben", so Hillje.