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Spiegel-Bestsellerliste Belletristik
Der literarische Menschenversuch im Deutschlandfunk

Diesmal mit Büchern über Serienkiller im Berlin der 30er-Jahre und im Berlin der Gegenwart, Serienkiller in Norwegen, in London und in Schweden, Serienkiller im Taunus und im Allgäu sowie einem Roman über Serienkiller an Bord von Kreuzfahrtschiffen: Literatur kann ja so horizonterweiternd sein!

Von Denis Scheck |
    Zeit für den literarischen Menschenversuch im Deutschlandfunk: Was geschieht mit einem Gehirn, das Monat für Monat abwechselnd die zehn in Deutschland meistverkauften Romane und Sachbücher von der ersten bis zur letzten Seite tatsächlich liest?
    Dieses Gehirn fragt sich, was Folge und was Ursache ist: die Verweihnachtsmarktung der Republik oder die Uniformität der Dummheit?
    Pulp Fiction: "You will know my name is the Lord when I lay my vengeance upon thee."

    Die aktuelle Spiegel-Bestseller-Liste Belletristik:
    Diesmal mit Büchern über Serienkiller im Berlin der 30er-Jahre und Serienkiller im Berlin der Gegenwart, Serienkiller in Norwegen, Serienkiller in London und Serienkiller in Schweden, Serienkiller im Taunus und Serienkiller im Allgäu sowie einem Roman über Serienkiller an Bord von Kreuzfahrtschiffen: Literatur kann ja so horizonterweiternd sein!

    In diesem Monat bringen die zehn meistgelesenen Romane der Deutschen erdrückende 5755 Gramm auf die Waage: zusammen 6120 Seiten.

    10) Volker Kutscher: "Märzgefallene"
    Kiepenheuer & Witsch, 608 Seiten, 19,99 Euro.
    Adolf Hitler ist seit wenigen Wochen Reichskanzler, in der Berliner Polizei fallen die Masken, ein Obdachloser wird mit einem Grabendolch ermordet und die Ermittlungen führen auf die Spur eines Goldschatzes aus dem Ersten Weltkrieg. Atmosphärisch ist dieser deutsche Serienkrimi wirklich sehr dicht, unterhaltsam obendrein, und im Vergleich zu seinen ersten Romanen hat sich Volker Kutscher auch stilistisch gesteigert. Nur leider schreibt er nach wie vor Sätze wie:
    "Sie konnte es sich nicht erklären, aber sie spürte eine unendliche Abneigung gegen das Hakenkreuz, das Symbol der neuen Regierungspartei."
    Ich kann es mir nicht erklären, aber ich spüre eine unendliche Abneigung gegen solche plumpe Besserwisser-Prosa.

    9) Dave Eggers: "Der Circle"
    Deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann.
    Kiepenheuer & Witsch, 560 Seiten, 22,99 Euro.
    Der Roman, den ich allen 14-jährigen Leserinnen und Lesern untern Weihnachtsbaum legen würde, weil er die Notwendigkeit der gesetzlichen Regulierung des Internets und andere drängende politische Fragen unserer Zeit spannend verhandelt.

    8) Michael Hjorth, Hans Rosenfeld: "Das Mädchen, das verstummte"

    Deutsch von Ursel Allenstein.
    Wunderlich, 592 Seiten, 19,95 Euro.

    Der Strukturwandel, der aus dem einst blühenden Pornoparadies Schweden ein boomendes Paradies für Gewaltpornos werden ließ, löst in mir genau so viel Unbehagen aus wie dieses zum Roman aufgeblasene Fernsehdrehbuch. Die Eskalation des Schreckens führt direkt ins Lächerliche. Allein die genüssliche Schilderung der bestialischen Ermordung einer Katze auf den letzten Seiten wird vielen Lesern die Erfahrung eines neuen Phänomens bescheren: die des literarischen Waschzwangs.

    7) Volker Klüpfel, Michael Kobr: "Grimmbart"

    Droemer Verlag, 479 Seiten, 19,99 Euro.
    Was diesen Regionalkrimi vorm Absinken ins literarische Bauernballett bewahrt, ist das Ohr der Autoren für deutsche Dialekte, ihr Sinn für Komik und ihre liebevoll gestalteten Nebenfiguren, etwa einen Sexmaniac von einem Arzt im Altenheim.

    6) Lutz Seiler: "Kruso"
    Suhrkamp, 484 Seiten, 19,99 Euro.
    Dieses Buch muss man eigentlich waagrecht halten, damit nicht das Spülwasser herausläuft: Noch nie hat der Abwasch in der Küche eines Touristenlokals ein so sprachgewaltiges Denkmal gesetzt bekommen wie in diesem ersten Roman des Lyrikers Lutz Seiler, der daneben von der Sehnsucht nach Freiheit in der Diktatur erzählt und von dem, was Freiheit eigentlich ausmacht.

    5) Robert Galbraith: "Der Seidenspinner"
    Deutsch von Wulf Bergner, Christoph Göhler und Kristof Kurz.
    Blanvalet, 672 Seiten,19,99 Euro.
    Bombyx Mori oder eben "Der Seidenspinner" heißt das Schlüsselwerk eines verschwundenen Autors, den Privatdetektiv Cormoran Strike suchen muss. Dass mir auch der zweite unter Pseudonym veröffentlichte Krimi von J.K. Rowling so großes Vergnügen bereitet, liegt sicher daran, dass es eine in der literarischen Welt spielende Satire auf die Usancen eitler Autoren, gieriger Agenten und bornierter Verleger ist. Wie die Literaturkritiker dabei wegkommen, verschweige ich lieber.

    4) Jo Nesbo: "Der Sohn"
    Deutsch von Günther Frauenlob.
    Ullstein, 528 Seiten, 19,99 Euro.
    Noch ein skandinavischer Gewaltporno, diesmal made in Norway: Zu Beginn des Romans wird die Frau eines Reeders ermordet, und wir lesen:
    "Der obere Teil des Kopfes wurde abgetrennt."
    Nach 522 Seiten wird die Leiche des Reeders gefunden, und der letzte Satz enthält die dem Roman angemessene Pointe:
    "Jemand hatte ihm den oberen Teil des Schädels abgesägt."
    Just so fühle ich mich auch nach Lektüre dieses stupide auf Schockelemente setzenden Thrillers.

    3) Nele Neuhaus: "Die Lebenden und die Toten"
    Ullstein, 554 Seiten, 19,99 Euro.
    Als ich diesen klischeestrotzenden Krimi um einen Sniper im Taunus und die Schandtaten der Organmafia wieder zur Hand nahm, fragte ich mich, ob mein harsches Urteil nach der ersten Lektüre wirklich berechtigt war. Da stieß ich auf Seite 399 auf einen Satz, der meinen Leseeindruck recht gut wiedergibt:
    "Immer wenn ihm ein winziger Zweifel an der Richtigkeit seines Tuns kam, musste er nur das alles lesen, dann war sein Zorn wieder wach und heiß, der Drang nach Rache, nach Strafe und Vergeltung."
    Ich hätte es nicht schöner ausdrücken können.

    2) Ken Follett: "Kinder der Freiheit"
    Deutsch von Dietmar Schmidt und Rainer Schumacher.
    Lübbe, 1211 Seiten, 29,99 Euro.
    Dieser Roman liest sich wie eine Verschwörung des Familienministeriums mit sämtlichen Geschichts- und Gemeinschaftskundelehrern der Welt: Lasst uns die Geschichte des 20. Jahrhunderts als Familienroman erzählen, so der teuflische Plan. Das Ergebnis liest sich dann so:
    "Jack. Der Präsident. Angeschossen. In Dallas. Vielleicht tot. John F. Kennedy."
    Als Roman unerträglich didaktisch, als Erzählung von Geschichte grotesk unterkomplex.

    Platz eins der aktuellen Spiegel-Bestsellerliste Belletristik:
    Sebastian Fitzek: "Passagier 23"
    Droemer, 432 Seiten, 19,99 Euro.

    Undercoverpolizisten, die sich ohne Betäubung einen Schneidezahn ziehen; Milliardäre, die sich im Geschäft mit neuen Identitäten ein bisschen was dazuverdienen; Auftragskillerinnen, die sich als Reisebüros tarnen. Das Personal dieses Thrillers stammt aus der Freakshow, das Reflexionsniveau seiner Dialoge entspricht dem einer Staumeldung:
    "Du willst mich töten, weil ich deine Familie umgebracht habe." - "Genau."
    Angeblich verschwinden jedes Jahr 23 Passagiere von Kreuzfahrtschiffen. Spurlos über Bord entsorgen sollte man auch diesen langweiligen Quatsch.