Henning Hübert: Aus sechs bis sieben aufgezeichneten Stunden von versteckten Kameras in der Villa auf Ibiza haben wenige Ausschnitte gereicht für das Politbeben, für eine zerbrechende Regierung und Neuwahlen in Österreich. Kurz vor der Sendung konnte ich mit Martin Knobbe vom Berliner Hauptstadtbüro des "Spiegel" sprechen, der die kompletten Aufnahmen kennt, aber nur über Teile berichtet. Warum die Beschränkung auf Passagen über die "Kronenzeitung" und die Parteienfinanzierung am österreichischen Rechnungshof vorbei?
Martin Knobbe: Plus die Auftragsvergabe an die Russin und den Auftragsentzug an die Strabag, das war auch noch ein wichtiges Thema.
Abstand zu unbestätigten Gerüchten
Hübert: Straßenbau.
Knobbe Genau, das wir angesprochen haben. Guten Tag! Wir haben uns das Material angesehen und haben uns überlegt, was sind die politisch relevanten Dinge, was entspricht wirklich dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit, und haben uns dann auf diese Aussagen beschränkt. Das Material ist natürlich viel mehr, wie Sie richtig sagen, aber ein Großteil des Materials besteht entweder aus eher Belanglosigkeiten oder auch aus Wiederholungen, in denen immer wieder über die "Krone" geredet wird oder immer wieder über die "böse Strabag", oder sie tangieren wirklich private Dinge auf Gerüchtebasis von Politikern in hohen Ämtern. Darüber kann ich jetzt reden, weil es irgendwie auch schon Thema war und Herr Kurz das ja auch selbst angedeutet hat, also Stichwort Sexorgien, Drogenkonsum und so weiter. Und da haben wir ganz klar gesagt, dass wir nicht dazu beitragen wollen, diese Gerüchte in die Welt zu setzen, die völlig unbestätigt sind und die eindeutig die Privatsphäre dieser Politiker berühren würde.
"Quellen- und Informantenschutz ist unser höchstes Gut"
Hübert: Wie ist dann - wir sind neugierig, Kollegenfrage -, wie ist die Kontaktaufnahme passiert?
Knobbe Ja, ich verstehe die Frage, andererseits finde ich eben interessant, dass das Journalisten fragen, weil sie natürlich wissen, dass der Quellen- und Informantenschutz unser höchstes Gut ist und wir da absolut zurückhaltend sind, was diese Frage anbelangt. Ich kann Ihnen nur insoweit sagen, dass wir eben über verschiedene Leute erfahren haben, dass es da diese Begegnung in Ibiza gegeben haben muss, auch dass es da möglicherweise Videomaterial gibt, und so sind wir dann an die Kreise gelangt, die dieses Material in den Händen haben, und so fand dann der weitere Kontakt statt.
Auszug des Videos vor mehreren Monaten gesehen
Hübert: Wann haben Sie das Video gesehen, Herr Knobbe?
Knobbe Ich konnte einen Auszug des Videos bereits vor mehreren Monaten sehen, und die komplette Datei, die haben wir vor - jetzt mittlerweile sind es wahrscheinlich zwei Wochen - bekommen.
Hübert: Lohnt es, Sie jetzt nach der Rolle von Satiriker Jan Böhmermann zu fragen?
Knobbe Ja, klar, die endgültige Antwort muss er selbst natürlich geben, aber es ist auch mittlerweile bekannt, dass wir nicht die Einzigen sind, die a) wussten, dass es diese Begegnung auf Ibiza gab, und b), dass es da Videomaterial gibt. Davon wissen einige Leute in Österreich, davon wussten auch Menschen in Deutschland. Und so scheint es zu sein, dass eben auch Böhmermann an diese Informationen gelangt ist und die natürlich, was seinem Auftragsprofil als Satiriker auch entspricht, dann weidlich ausgenutzt hat und eben bei dieser Preisverleihung der Romy dann entsprechend mit seiner Kenntnis gespielt hat.
"Es kommt auf die politische Relevanz an"
Hübert: Jetzt zum "Spiegel": Sie sind ja nun eine Zeitschrift, kommen samstags raus, Freitag die Vorabverkündigung, haben Sie denn jemals überlegt, nicht zu veröffentlichen? Wie sah denn Ihr Abwägungsprozess aus?
Knobbe Na ja, uns war klar, dass wir das Material gerne sichten wollen und natürlich prüfen wollen – sowohl inhaltlich als auch dann in einem zweiten Schritt technisch. Als wir diese Aussagen gehört haben, in denen es klar um, sagen wir mal so, eine Bereitschaft zu Korruptionshandlungen geht, in denen es um eine klare Einschränkung der Pressefreiheit geht und ein dubioser Verein genannt wird, über den Parteispenden am Rechnungshof vorbei gesammelt werden sollen, war für uns eigentlich schon klar, dass das so eine Brisanz ist, die veröffentlicht werden muss. Und das war unser ausschlaggebendes Moment, dass wir gesagt haben, es kommt auf den Wert der Information an, auf die politische Relevanz, und ab da war die Entscheidung klar, dass wir das nicht zurückhalten können.
"Wir legen keine Leute mit versteckter Kamera rein"
Hübert: Hätte denn der "Spiegel" das Video veröffentlicht, wenn es ein "Spiegel"-Redakteur gefilmt hätte?
Knobbe Das ist nicht unsere Methode. Wir legen keine Leute mit versteckter Kamera rein, Also wir selbst machen so etwas nicht, aber Sie wissen ja auch, dass es eben presserechtlich durchaus legitim ist, Material, das auch auf halblegale oder vielleicht auch illegale Weise zustande gekommen ist, dass wir Journalisten solches Material dann verwenden dürfen, wenn eben das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit das erfordert.
"Das Wichtigste ist, dass das Material echt ist"
Hübert: Und abschließend, Herr Knobbe, Ihre Prognose: Hilft jetzt die Ibiza-Affäre dem Journalismus oder nicht?
Knobbe Ich glaube schon, dass es gezeigt hat, dass man in gewisser Weise aufklärerisch tätig sein kann, wenn man auch solches Material verwendet und wenn man es nach diesen Kriterien bewertet, mit denen wir es bewertet haben. Ein ganz entscheidender Moment war ja, dass wir gesagt haben, das Wichtigste ist, dass das Material echt ist, dass wir da keiner Fälschung aufsitzen, und das war ja auch zeitlich gesehen unser ganz wichtiger Punkt, dass wir gesagt haben, egal wie lange es dauert, diese Prüfungen müssen wir natürlich abwarten. Insofern glaube ich, war das schon ein Akt des investigativen Journalismus, der für Aufklärung gesorgt hat, und zwar in der Hinsicht, dass eine Partei, die nach außen hin gewisse Themen und Tugenden propagiert, hinter der Fassade ganz, ganz anders aussieht. Und insofern war das, glauben wir, ein Akt der Aufklärung.
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