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Spielabsage in Hannover
"Innenminister kann nicht alles preisgeben"

Dass Bundesinnenminister Thomas de Maizière die Spielabsage in Hannover nicht konkreter begründete, ist aus Sicht des CDU-Innenpolitikers Clemens Binninger richtig und nachvollziehbar: Einerseits müsse der Minister die Absage zwar ausreichend verständlich machen, so der CDU-Politiker. Andererseits dürfe de Maizière aber nicht zu viel über die Quellen preisgeben.

Clemens Binninger im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Binninger mit ernstem Blick vor einem blau leuchtenden Hintergrund
    War früher Polizist: Der CDU-Innenpolitiker Binninger (dpa picture alliance / Hannibal Hanschke)
    Die Hinweise auf eine Terror-Gefahr hätten offenbar eine Dimension gehabt, die dem Innenminister keine Wahl gelassen habe, meinte Binninger. Er lobte den Polizeieinsatz zur Räumung des Stadions und der Umgebung. "Wie das gemanagt wurde, ist aller Ehren wert", sagte das Mitglied des Bundestags-Innenausschuss. Dies zeige, dass das hohe Maß an Vertrauen in die Sicherheitskräfte gerechtfertigt sei.
    "Polizei personell am Limit"
    Mit dem Anti-Terror-Zentrum und der Anti-Terror-Datei verfüge der Staat über die geeigneten Mittel und das Know-how, betonte der CDU-Abgeordnete. Doch ein Problem sei, dass die Polizei personell ans Limit komme oder dieses schon erreicht habe. Er habe die Sorge, dass am Ende Prioritäten gesetzt werden müssten. Die normalen Aufgaben wie die Streife würden dann möglicherweise zurückgestellt, um die herausragenden Aufgaben zu erledigen, befürchtete der frühere Polizist Binninger.
    Der CDU-Abgeordnete sprach sich dafür aus, sich nicht über Gebühr vom Terrorismus einschüchtern zu lassen. Man solle jetzt zu einem gewissen Maß an Normalität zurückkehren.

    Das Interview in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Die Absage des Fußballländerspiels gestern in Hannover, der Terrorhinweis, die Terrorangst - am Telefon begrüße ich Clemens Binninger. Für die CDU sitzt er im Innenausschuss des Bundestages. Guten Morgen, Herr Binninger.
    Clemens Binninger: Guten Morgen, Herr Dobovisek.
    "Die kurzfristige Absage, muss schon sehr konkrete Gründe gehabt haben"
    Dobovisek: Normalerweise reden wir an dieser Stelle nicht so viel über die ursprünglichen Berufe unserer politischen Gesprächspartner. Bei Ihnen, Herr Binninger, lohnt aber ein kurzer Blick auf Ihre Vita, denn Sie sind Polizist, waren im Streifendienst tätig, haben sich weitergebildet, wurden Polizeikommissar, wechselten ins Stuttgarter Innenministerium, waren dort schließlich Referent für Innen- und Sicherheitspolitik. Also von der Pieke bis ganz oben Polizist durch und durch. Was denkt der Vollblutpolizist Clemens Binninger über die Absage gestern?
    Binninger: Es hat mich auch überrascht, weil ich, ehrlich gesagt, nicht mehr damit gerechnet habe, dass das Spiel so kurzfristig abgesagt wird. Und die kurzfristige Absage, glaube ich, die muss schon sehr konkrete Gründe gehabt haben. Sonst würde man das nicht machen. Die Erfahrung ist ja aus den vergangenen Jahren, dass es bei Großveranstaltungen immer wieder auch Drohungen gibt. Das ist ja auch leider polizeilicher Alltag. Dann muss man abwägen und in vielen Fällen kommt man dann zum Ergebnis, nein, die Veranstaltung kann stattfinden, weil die Sicherheitsvorkehrungen gut sind und weil auch vielleicht der Hinweisgeber eher ein Trittbrettfahrer ist. Wenn es aber dann eine Stunde oder, wie es hieß, die Hinweise hätten sich verdichtet, dann muss es schon sehr konkret sein. Ich habe den Minister - ich habe es auch nur im Fernsehen gesehen - in der Pressekonferenz so verstanden, dass er und die Bundessicherheitsbehörden das empfohlen hätten, und da, glaube ich, wird eine gewisse Qualität da sein. Sonst würde man diese Entscheidung sicher nicht fällen.
    "Die Bedrohungslage selber ist für die Sicherheitsbehörden jetzt nicht neu"
    Dobovisek: Aber wissen tun wir nichts, denn der Minister schwieg über das hinaus, was wir schon gehört haben. Er bat um einen Vertrauensvorschuss. Er sagte darüber hinaus: Ein Teil seiner Antworten würde die Bevölkerung verunsichern. Ja da ist sie doch jetzt erst recht da, die Verunsicherung?
    Binninger: Ja wissen Sie, es ist sehr schwierig. Dass er einerseits nichts sagen kann, liegt auf der Hand der Sache. Wenn man solche Quelleninformationen hat, dann kann man damit nicht an die Öffentlichkeit gehen und sie im Detail erzählen, weil man damit auch zukünftig präventive Maßnahmen erschweren würde. Deshalb kann man das nicht machen. Andererseits verlangen die Medien und die Öffentlichkeit immer dann noch nach einem bisschen mehr, und dann muss er versuchen, irgendwie zu umschreiben. So, glaube ich, würde ich das verstehen. Ich glaube nicht, dass er damit irgendjemand verunsichern wollte, sondern nur sagen wollte, dass der Hinweis auch eine Dimension hatte, die am Ende keine Wahl ließ, das Spiel abzusagen, obwohl es natürlich sehr bitter ist und wir im Prinzip - da hat der Innenminister aus Baden-Württemberg recht - auch zu einem gewissen Maß, sofern man das sagen kann, an Normalität wieder zurückkehren müssen. Die Lage ist ja, was die Bedrohung angeht, nicht ganz neu für uns und für die Sicherheitsbehörden. Sie hat sich jetzt manifestiert in diesem schrecklichen Anschlag und im Moment laufen Operationen, aber ansonsten ist die Bedrohungslage selber für die Sicherheitsbehörden jetzt nicht neu. Mit diesem Phänomen, auch IS befassen wir uns jetzt schon seit mehr als eineinhalb Jahren, zwei Jahren sehr intensiv.
    Dobovisek: Aber reicht da die Erklärung des Bundesinnenministers aus? Sie hat ja zumindest in den sozialen Medien, auf Twitter und auf Facebook, einen Sturm der Entrüstung nach sich gezogen. Die Leute verstehen das einfach nicht und sind jetzt noch verunsicherter.
    Binninger: Ja, wissen Sie, ein Stück weit, glaube ich, ist es heutzutage auch sehr, sehr schwierig, durch die, wie heißt es immer so schön, Echtzeit-Berichterstattung, Echtzeit-Kommentierung. Da werden dann sehr schnell Wertungen vorgenommen und das bringt noch mal eine Geschwindigkeit in manche Erregung hinein, die man sonst vielleicht nicht hätte. Er muss in gewissem Maße erklären, warum er abgesagt hat. Das hat er getan. Konkreter kann er nicht werden, weil er sonst polizeiliche Maßnahmen und anderes gefährdet. Das wäre unverantwortlich. Deshalb ist es für ihn immer natürlich ein Spannungsfeld: Wie weit kann er gehen, ohne dass er etwas verrät, aber wie konkret darf er werden, um auch zu verdeutlichen, dass er sich die Absage nicht leicht gemacht hat. Das war, glaube ich, sein Ansatz und den kann man auch so unterstützen.
    "Einen 100-prozentigen Schutz kann es nicht geben"
    Dobovisek: Sie haben gerade, Herr Binninger, auch Baden-Württembergs Innenminister zitiert, der zur Normalität zurückkehren möchte. Wird künftig zur Normalität auch gehören, dass wir mit einem Bauchgrummeln ins Stadion gehen, mit der möglichen Gefahr leben, ohne dass ein Spiel abgesagt werden muss?
    Binninger: Ich glaube, wir hatten ja immer den Satz, dass wir alles tun, um die Sicherheit zu gewährleisten. Das gilt für Großveranstaltungen genauso, die alle übrigens, auch gerade die Fußballspiele, ein sehr gutes Sicherheitskonzept haben. Und dann kommt immer auch der Satz dazu: Einen 100-prozentigen Schutz kann es nicht geben. Das wissen wir alle und deshalb, glaube ich, kann man auch der Bevölkerung sagen, dass die Sicherheitsbehörden das Menschenmögliche tun. Man hat auch diese Szene im Blick: Man trifft gute Sicherheitsvorkehrungen, die Polizei ist präsent. Und das muss ich auch mal sagen, weil Sie meinen Beruf erwähnt haben: Wie die deutsche Polizei das gestern Abend wieder gemanagt hat, ist ja auch wirklich aller Ehren wert und zeigt, dass man da auch ein hohes Maß an Vertrauen haben kann. Und wir sollten uns gerade nicht jetzt davon über Gebühr einschüchtern lassen. Das wäre falsch. Deshalb, glaube ich, wird man auch, sofern man da von Normalität sprechen kann, aber doch zu einem gewissen Maß an Normalität auch wieder zurückkommen.
    "Die Polizei hat die Instrumente, aber personell ist sie wirklich am Anschlag"
    Dobovisek: Zu der Normalität wird aber durchaus zumindest in den nächsten Wochen und Monaten diese Angst gehören. Da werden wir vielleicht auch viele Trittbrettfahrer erleben. Ist die deutsche Polizei darauf vorbereitet, auf diese Intensität?
    Binninger: Die deutsche Polizei ist sicher auf solche Lagen vorbereitet, auch die Sicherheitsbehörden, denen wir auch Instrumente an die Hand gegeben haben. Erst vor 14 Tagen haben wir die Terrorbekämpfungsgesetze verlängert. Es gibt das gemeinsame Terrorabwehrzentrum, die Anti-Terror-Datei, die Polizei und Verfassungsschutz zusammen führt. Alles häufig umstritten gewesen von der Opposition. Jetzt, glaube ich, beklagt das niemand mehr. Die Instrumente sind da, das Know-how auch, aber Polizei und Sicherheitsbehörden kommen natürlich personell ans Limit oder sind es zum Teil auch schon. Deshalb ist so ein bisschen meine Sorge, dass man - so ist das immer im Polizeialltag, auch im ganz normalen polizeilichen Alltag -, dass am Ende natürlich Prioritäten gesetzt werden müssen und die normale Streife, die man sonst vielleicht machen würde oder andere Dinge dann etwas zurückstehen, um diese herausragenden Aufgaben zu bewältigen. Die Polizei hat die Instrumente, aber personell ist sie wirklich am Anschlag.
    Dobovisek: Da höre ich schon wieder die Stimmen nach dem Ruf nach der Bundeswehr, die die Polizei ja im Innern unterstützen könnte. Wir hören da Stimmen aus Bayern zum Beispiel für den Einsatz der Bundeswehr an den Grenzen.
    Binninger: Bundeswehr an den Grenzen hielte ich jetzt für falsch. Es ist sicher richtig, dass wir beim Thema Kontrollen innerhalb von Europa und auch Kontrollen an den Außengrenzen deutlich mehr tun müssen als bisher, weil auch kaum ein Land so richtig die Schleierfahndung anwendet, mit Ausnahme vielleicht von Deutschland und Bayern. Aber die Bundeswehr für Grenzkontrollen einsetzen, das hielte ich jetzt für falsch. Was möglich ist nach unserer Verfassung und auch nach Rechtsprechung von Karlsruhe, wenn es zu einem schweren Unglücksfall kommt - das wäre auch ein Terroranschlag, was wir nicht hoffen - und die Polizei nicht mehr könnte, dann wäre es zumindest rechtlich, das muss politisch entschieden werden, aber rechtlich möglich, die Bundeswehr im Innern zur Unterstützung - das könnte dann Objektschutz sein oder anderes mehr - einzusetzen. Aber an dem Punkt sind wir jetzt noch nicht und den Eindruck sollten wir auch nicht suggerieren. Wenn Fälle eintreten, haben wir viele Möglichkeiten. Wie gesagt, die rechtlichen Möglichkeiten sind ausreichend. Problem wird sein, dass die Personaldecke irgendwann zur Neige geht.
    Dobovisek: Der CDU-Innenpolitiker Clemens Binninger bei uns hier im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
    Binninger: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.