Auf der Brücke neben dem Priester stehen die Schaulustigen. Es ist kalt. Unten am Flussufer zittern halbnackte junge Männer.
"Du bist groß, oh Herr!" - "Na los, werfen sie endlich!" - "Heilige dieses Wasser."
Aber zum Entsetzen der versammelten Gemeinde springt diesmal auch eine junge Frau ins Wasser und hält das Kreuz triumphierend in die Höhe. In der orthodoxen Gemeinde wird die Stimmung bedrohlich. Die Männer wollen das Kreuz zurück. Aber die 32-jährige Petrunya will es nicht mehr hergeben.
Der Spielfilm über eine religiös motivierte Rebellion beruht auf einem authentischen Fall in der kleinen nordmazedonischen Stadt Štip. Als dort 2014 eine Frau das Kreuz an sich reißt, wird dies von der einheimischen Bevölkerung und der Mazedonisch-Orthodoxen Kirche als Frevel betrachtet. Nach den Ereignissen verlässt sie das Land und geht nach London, erzählt Regisseurin Teona Strugar Mitevska:
"Nachdem sie das Kreuz an sich genommen hat, kann sie nicht mehr in ihrer Heimatstadt bleiben, denn ihr schlägt damals eine unglaubliche Hasswelle entgegen. Sie wäre fast gesteinigt worden."
"Du hast unser Kreuz entweiht!"
Auch im Spielfilm beharrt Petrunya, eine arbeitslose Historikerin, auf ihrem Recht. Der Konflikt um das Kreuz eskaliert. Sogar ein Fernsehteam kommt aus der Hauptstadt. Die Journalistin aus Skopje sieht hinter dem Konflikt eine ganz große Geschichte über die Unterdrückung der Frau in Nordmazedonien.
"Was wäre, wenn Gott eine Frau wäre? Was wäre dann passiert? Nach meinen Informationen kümmert sich ab jetzt die Staatsanwaltschaft um den Fall des heiligen Kreuzes. Dass dies hier in Mazedonien von 2018 passiert, zeigt eindeutig, dass man zu Recht über unser Land sagt: Wie im dunkelsten Mittelalter steckt ihr hier im ewig Gestrigen fest."
Polizei, Staatsanwaltschaft und auch der Priester werden zunehmend nervös:
Priester: "Der Erzbischof ist außer sich vor Wut. Er fürchtet, dass dieses Fiasko eine blasphemische Entweihung unserer heiligen Traditionen ist."
Aber Petrunya bleibt standhaft trotz aller Verhöre, Drohungen und Versprechungen. Sie will das Kreuz behalten, selbst als der Mob droht, die Polizeistation zu stürmen.
"Mieses Stück Scheiße!" - "Hure!" - "Du hast unser Kreuz entweiht!"
Frauen im Postkommunismus
Regisseurin Teona Strugar Mitevska erzählt einerseits diese Konfliktgeschichte rund um das heilige Kreuz, andererseits aber auch von der schwierigen Situation von Frauen im Postkommunismus, zwischen archaischen Traditionen und Moderne.
"Mit dem Krieg und dem Ende Jugoslawiens sind wir in eine Periode der Hysterie eingetreten, die bis heute anhält. Ein hysterischer Nationalismus und religiöser Fanatismus: Jeder will sich definieren - als Angehöriger einer Ethnie oder einer Religion. Das alles ist absurd, als ob es keine wichtigeren Probleme auf der Welt gäbe", sagt die Regisseurin.
Wie die zornige Männermasse in diesem Film gezeigt wird, das verdeutlicht diese Absurdität: Die jungen Männer mit ihrem Testosteron-Überschuss, mit ihren kahl geschorenen Köpfen und nationalistischen Tattoos, wirken ebenso gefährlich wie in höchstem Grade lächerlich. Aber hinter der Choreografie aggressiver Männlichkeit sieht die Regisseurin auch eine große Desorientierung:
"Männer sind auch Opfer dieser Umgebung. Denn wenn man in so einer Macho-Umgebung groß wird, kann man nichts anderes werden als ein Macho. Man hat kaum eine Chance, sich zu verändern."
"Religion hat im alten Jugoslawien keine Rolle gespielt"
Dass religiöse Fragen Menschenmassen wütend machen, ist für die 47-Jährige immer noch schwer zu begreifen. Im ehemaligen Jugoslawien, in dem sie groß wurde, spielten die Religionen nur eine untergeordnete Rolle. Anfangs wurden Kirchen verfolgt; seit den 1950er-Jahren verfolgte das Regime eine Politik der Kontrolle und Zähmung. Die Folge: eine massive Säkularisierung in Teilen des Landes.
"Die Religion war nicht verboten, aber sie hatte keinen großen Einfluss", sagt Regisseurin Teona Strugar Mitevska. "Nur die Alten, wie meine Großmutter, die gingen immer in die Kirche. Ich erinnere mich, dass ich, als ich im Teenageralter war, meinen Vater einmal nach der Bibel fragte. Er war orthodoxer Christ, aber er sagte mir: Die wirst du früher oder später sowieso lesen. Er drückte mir den Koran in die Hand, damit ich etwas über andere Religionen lerne. Das ist nur eine kleine Geschichte, die zeigt, dass die Religion keine wichtige Rolle im alten Jugoslawien gespielt hat."
"Dieses Jahr hat wieder ein Mädchen das Kreuz gefangen"
"Gott existiert, ihr Name ist Petrunya" - dieser Spielfilm ist eine universell verständliche Satire über Macht und Tradition, über Bigotterie, institutionalisierte Frauenfeindlichkeit und die Herrschaft von Männern über Medien, Kirche und Staatsgewalt. Aber Teona Strugar Mitevska ist optimistisch und sieht auch Anzeichen einer Veränderung, selbst in entlegenen Teilen Nordmazedoniens.
"Wir haben den Film in der gleichen Stadt gedreht, in der auch die wirkliche Geschichte passiert ist. Am Anfang waren die Leute uns gegenüber sehr abweisend. Der Priester sagte: ‚Gott existiert, aber er ist keine Frau, er ist ein Mann!‘ Es herrschte eine sehr negative Stimmung. Aber seitdem hat sich vieles verändert: Heute springen Frauen genauso wie die Männer ins Wasser, um das Kreuz zu fangen. Das liegt nicht an dem Film, dass sich das geändert hat. Aber vielleicht haben die Diskussionen doch ein wenig dazu beigetragen, dass sich Manches gelockert hat. Dieses Jahr hat in Štip wieder ein Mädchen das Kreuz gefangen; und keiner hat sich geärgert. Im Gegenteil, alle haben sie gefeiert."
"Gott existiert, ihr Name ist Petrunya" startet am 14. November 2019 in den deutschen Kinos.