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Spion des Kalten Krieges

Die Spionagethriller von Robert Littell sind akkurat recherchiert und zählen auch zum Genre des historischen Romans. In seinem neusten Buch "Philby" erzählen etwa ein Dutzend historische Personen über ihre Begegnung mit dem britischen Geheimagenten Kim Philby.

Von Tobias Lehmkuhl |
    "Also: Das J von J. Modinskaja auf meinem Namensschild steht für Jelena. So hieß auch meine verstorbene Großmutter mütterlicherseits, die eine der ersten weiblichen Kommissarinnen der glorreichen Roten Armee zu Zeiten der Revolution war. Ich bin 31 Jahr alt. Bis ich vor Kurzem als Analytikerin zum Geheimdienst versetzt wurde, habe ich als Rechercheassistentin in der Hauptverwaltung des Volkskommissariats des Inneren gearbeitet, besser bekannt als NKDW. Nein, ich bin noch nicht verheiratet - es sei denn, sie folgen Oberleutnant Gussakow, der sagt, dass ich mit meiner Arbeit verheiratet bin."

    So beginnt "Philby", das neue Buch Robert Littells, in einem sachlichen und doch lockeren Ton, lakonisch und verbindlich zugleich, ganz so als würde jemand verhört, der nichts mehr zu befürchten hat - weil er nämlich längst aus dem Jenseits heraus spricht. Jelena Modinskaja ebenso wie die anderen etwa ein Dutzend historischen Personen, die in diesem biografischen Roman über ihre Begegnung mit Kim Philby Bericht erstatteten, tun das nach bestem Wissen und Gewissen und offenbar ohne dass ihnen ihr Autor dazu im Stil des NKDW Daumenschrauben anlegen oder sie mit Stromschlägen traktieren müsste. Denn am Ende arbeiten sie schließlich alle an derselben Sache - herauszufinden, wer dieser Philby eigentlich war.

    Sicher ist, dass er aus guter Familie stammte, sein Vater besaß politischen Einfluss, reiste durch Arabien, trat sogar zum Islam über und half dabei das saudische Fürstenhaus auf der arabischen Halbinsel zu installieren. Sein Sohn, Harold Adrian Russel Philby mit wahrem und vollem Namen, ging zum Studium nach Cambridge, ließ dort sozialistische Interessen erkennen und schloss eine Reihe von Freundschaften: Die "Cambridge Five", die fünf aus Cambridge - so nannte man später jene Gruppe, die bis in die 50er-Jahre für den britischen Geheimdienst arbeitete, dann aber, als ein Ring von Sowjetagenten enttarnt wurde.

    Bei einem dieser fünf, bei Kim Philby, lagen die Dinge allerdings etwas anders: War er, so fragten sich viele, und so fragt auch dieses Buch, nicht doch eine Art Dreiffachagent? Einer dessen Aufgabe es am Ende war, als vermeintlicher Sowjetspion nach Moskau zu fliehen, um dort, im Herz der Finsternis, für seinen wahren Auftraggeber MI6 weiter zu arbeiten?

    "Wir sind ganz allgemein der Ansicht, dass kein Herz hat, wer in seinen Zwanzigern kein Revolutionär war. Wer es allerdings in seinen Dreißigern noch immer ist, der hat kein Hirn. Großer Gott, wenn wir alle ausschlössen, die in ihrer vergeudeten Jugend mal kurz mit Marx geliebäugelt haben, müssten wir den Krieg mit der weiblichen Reserve bestreiten."

    So heißt es in einem Gespräch, das Miss Majorie Maxse, die Anwerberin des britischen Auslandsgeheimdienstes in Littells Roman mit Philby führt. Dabei lautet die eigentliche Frage, ob Philby überhaupt jemals revolutionäres Feuer verspürte, oder ob nicht sogar schon die sozialistischen Sympathien die 20-jährigen einem geheimen, selbst den meisten Menschen im MI6 unbekannten Plan folgten. Damals war Philby in Wien und erlebte die kurze Zeit der Dollfuß-Diktatur, später dann verfolgte er in Spanien den Bürgerkrieg als einer der wenigen auf Seite der frankistischen Truppen mit. Manche Berühmtheit oder Halbberühmtheit kreuzt dabei seine Pfade - der Dichter Stephen Spender ebenso wie Charles de Gaulle.

    In Littells Roman bekommt man also eine Menge Zeitkolorit geboten, auch die ideologischen Grabenkämpfe reißt Littell an, ohne allerdings gar zu tief in die Materie abzutauchen und den Leser dadurch zu ermüden. Als geübter Thrillerautor weiß er, wie wichtig es ist, ein gewisses Tempo nicht zu unterschreiten. Die von ihm gewählte Form trägt ihren Teil dazu bei: Die verschiedenen Berichterstatter beleuchten den ein oder anderen Umstand im Leben Philbys auf durchaus unterschiedliche Weise. Die Kontur, die dieser dadurch annimmt, ist jene, von der, in Anlehnung an James Joyce, der Titel des Romans spricht: Das "Porträt des Spions als junger Mann" ist eben auch ein "Porträt des Künstlers als junger Mann", denn Kim Philby war eben nicht einfach ein Spion, sondern vielmehr ein großer Spionagekünstler, einer, der sich den ständig ändernden Gegebenheiten immer geschickt anzupassen wusste und bis zum Schluss nicht zu erkennen gab, wer er eigentlich war, wem seine Loyalität galt und welchen Trumpf er noch im Ärmel hatte. Littell freilich, hegt durchaus seine eigene Vermutung. Und wenn er am Ende seine letzte Karte aufdeckt, freut man sich über das gelungene Spiel.

    Robert Littell: "Philby. Porträt des Spions als junger Mann", Übersetzt von Werner Löcher-Lawrence. Arche Verlag 2012, 19,95 Euro.