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Spionage-Affäre
"Man muss realistisch sein"

Die Ausweisung des US-Geheimdienstlers sei ein notwendiger Schritt gewesen, sagte Clemens Binninger (CDU) im Deutschlandfunk. Es wäre jedoch unrealistisch, vom Parlamentarischen Kontrollgremium zu verlangen, direkt Einfluss auf die Entscheidung ausländischer Nachrichtendienstbeamter zu nehmen, so der Vorsitzende.

Clemens Binninger im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Der CDU-Politiker Clemens Binninger bei einem Interview im Bundestag
    Der CDU-Politiker Clemens Binninger plädiert für Realismus in Bezug auf den zukünftigen Umgang mit Aktionen ausländischer Geheimdienstler. (picture alliance / dpa / Daniel Naupold)
    Man könne zwar Grenzen ziehen, aber nicht ausschließen, dass auch in Zukunft ausländische Geheimdienstler Aktionen gegen Deutschland planen, sagte der CDU-Politiker. Die US-Geheimdienste seien zwar "entschieden zu weit gegangen", trotzdem gäbe es immer noch eine Vertrauensbasis zwischen Deutschland und den USA, die durch weitere Zusammenarbeit wieder gestärkt werden könne, so Binninger.
    "Wir sind aufeinander angewiesen", sagte der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums im Deutschlandfunk, deshalb müsse man auch weiterhin Interesse an Gesprächen und vernünftiger Zusammenarbeit zeigen.

    Das Interview mit Clemens Binninger in voller Länge:
    Sandra Schulz: Ausspähen unter Freunden, das gehe gar nicht. Wesentlich schärfer war die Bundeskanzlerin bisher nicht geworden in der Diskussion, die uns jetzt schon seit Monaten beschäftigt, über die Frage, inwieweit die USA Deutschland ausforscht, deutsche Bürger möglicherweise massenhaft, aber eben auch deutsche Spitzenpolitiker bis hin zur Kanzlerin. In dieser Woche war ein zweiter mutmaßlicher Spionagefall bekannt geworden. Wie lange will die Bundesregierung eigentlich noch in ihrer Duldungsstarre bleiben? Das hatten Kritiker immer wieder gefragt, und gestern hat die Kanzlerin den Ton verschärft:
    O-Ton Angela Merkel: "Dann will ich einfach sagen, dass, mal mit dem gesunden Menschenverstand betrachtet doch aus meiner Sicht das Ausspionieren von Verbündeten, von Alliierten letztlich Vergeudung von Kraft ist."
    Schulz: Für Angela Merkel schroff, und das war nur eine flankierende Äußerung. Deutschland weist den, so heißt es korrekt, Repräsentanten der US-Nachrichtendienste an der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika aus. Telefonisch verbunden bin ich jetzt mit Clemens Binninger (CDU). Er ist der Vorsitzende des Parlamentarischen Gremiums zur Kontrolle der Geheimdienste. Guten Morgen.
    Clemens Binninger: Guten Morgen, Frau Schulz.
    Schulz: Gestern ist Ihr Gremium über die aktuellen Fälle informiert worden, hinter verschlossenen Türen, hieß es, in einem als abhörsicher eingestuften Raum. Sind Sie denn sicher, dass niemand mitgehört hat?
    Binninger: Ja, da bin ich mir sehr sicher, wobei wir ja in solchen Fällen auch die Praxis haben und uns das Gesetz erlaubt, danach eine öffentliche Bewertung der Informationen abzugeben, was wir ja auch getan haben. Aber ich bin mir sicher, dass wir da unter uns waren.
    Schulz: Was bringt die Ausweisung des US-Geheimdienstlers?
    Binninger: Ich glaube, es war jetzt der notwendige Schritt und auch zum richtigen Zeitpunkt, um deutlich zu machen, dass diese Art und Weise, wie man bisher von der amerikanischen Seite, man muss ja sagen, eher nicht bereit war, Dinge aufzuklären oder wieder ins rechte Lot zu rücken, eben nicht erfolgt ist, und dafür war es ein klares Zeichen und war sicher auch notwendig.
    USA und Deutschland sind und bleiben Partner
    Schulz: Aber glauben Sie, dass Sie die Antworten auf die noch offenen Fragen denn jetzt bekommen werden?
    Binninger: Man muss da realistisch sein. Ich habe immer gesagt, es bringt nichts, kraftvoll Dinge zu fordern, oder wenn wir uns immer nur empören, dabei aber genau wissen, manche Dinge können wir ja nicht alleine beeinflussen. Aber ich glaube, es kann schon deutlich machen, dass wir ein Interesse daran haben, die Gespräche aufzunehmen, dass wir ein Interesse daran haben, wieder zu einer vernünftigen Zusammenarbeit zu kommen - das muss auch im Interesse der Amerikaner sein -, und dass man hier gezeigt hat, wenn ihr das gar nicht wollt, dann müssen wir auch einen Schritt gehen. Und ich glaube, dass man schon hier nicht unbedingt in der Öffentlichkeit, aber auf den diplomatischen Kanälen im direkten Kontakt der Chefs der Sicherheitsbehörden hier dann doch eine Veränderung spüren wird.
    Schulz: Hat die Bundesregierung zu lange ausgehalten?
    Binninger: Das ist immer die Frage, macht man es zu früh oder zu spät. Ich glaube, es war richtig, zunächst einmal darauf zu setzen, a) - das haben wir gestern ja auch wieder deutlich erfahren - dass es mindestens so wichtig ist, die Vorwürfe immer sehr präzise aufzuklären und nicht vorschnell zu Urteilen zu kommen, und b) zunächst einmal darauf zu setzen, dass man einen Gesprächskontakt finden kann. Der war jetzt über fast zwölf Monate erfolglos, ergebnislos, und dann, glaube ich, ist es notwendig, dieses Zeichen zu setzen.
    Schulz: Welche weiteren Konsequenzen stellen Sie sich vor? Wird jetzt Edward Snowden doch für eine Vernehmung nach Berlin eingeladen zum NSA-Untersuchungsausschuss?
    Binninger: Das wurde ja gerade auch von Ihrem Kollegen schon deutlich. Ich finde, wir sollten da auch weiterhin sehr seriös und im Interesse so arbeiten, dass wir deutlich machen, wir sind Partner, wir wollen das auch bleiben, aber wir wollen es eben so sein, dass es ein Vertrauen gibt, wo die Grenzen sind, und da wäre jetzt die Vernehmung von Snowden hier sicher genau das Gegenteil. Das entscheiden aber die Kollegen im Untersuchungsausschuss und die haben meines Wissens ja beschlossen, dass er zwar vernommen werden soll, aber eben nicht hier. Snowden wiederum hat sich ja bisher verweigert einem informatorischen Gespräch, einer Videobefragung. Da kennen Sie ja meine Skepsis aus zurückliegender Zeit. Die hat sich jetzt auch nicht geändert. Da bleibe ich bei meiner Meinung, das entscheiden die Kollegen im Ausschuss. Aber es wäre jetzt sicher kein kluger Schritt und er steht auch nicht an, soweit ich das überblicken kann, um hier wieder mehr Vertrauen herzustellen. Ich glaube, gestern das war ein Zeichen. Jetzt muss man sehen, was man an Gesprächen aufnehmen kann. Und umgekehrt muss man die Fälle, die jetzt sehr öffentlich geworden sind, das muss unser Interesse sein, untersuchen, welcher Schaden ist damit verursacht worden, gab es irgendwo Sicherheitslecks, wie konnte das sein. Das ist ja auch ein Stück weit unser Part. Wir sind ja verantwortlich für unsere Nachrichtendienste.
    "Es sind viele Fragen offen"
    Schulz: Sie haben das Wort jetzt gerade wieder zweimal gebraucht - Vertrauen. Welche Basis gibt es denn dafür jetzt überhaupt noch?
    Binninger: Die gibt es schon noch. Wir dürfen bei all dem nicht vergessen, dass die Zusammenarbeit mit der amerikanischen Seite gerade im Sicherheitsbereich ja sehr vielfältig ist und nahezu täglich ja stattfindet: in den Krisenregionen, in Afghanistan, bei der Bekämpfung des Terrorismus. Da ist es ja nicht so, dass deutsche und amerikanische Stellen nicht gut zusammenarbeiten. Das sind diese konkreten Zusammenarbeitsformen, die ja auch in der Lage sind, das Vertrauen wieder herzustellen, und wo wir auch aufeinander angewiesen sind. Das wissen, glaube ich, auch beide Seiten und über solche Zusammenarbeitsformen kann das Vertrauen auch wieder entstehen. Das, was wir hier erlebt haben, waren Vorgänge, die ...
    Schulz: Es war ja nicht einer, es waren ja mehrere.
    Binninger: Zum einen waren es die Ausspähaktionen der NSA, die aber noch untersucht werden. Jetzt hatten wir zwei Spionagefälle, von denen wir aber nicht genau wissen, was hinter dem zweiten steckt. Da habe ich gestern gesagt, es sind viele Fragen offen. Aber ich will deutlich machen, die Zusammenarbeit besteht nicht nur aus diesen Vorfällen, sie besteht aus vielen Kontakten, die jeden Tag hier ablaufen und die ganz so sind, wie wir sie uns auch vorstellen. Das muss auch der Maßstab sein, diese Art von Zusammenarbeit.
    Schulz: Beim Thema Vertrauen würde ich gerne noch mal bleiben. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat immer wieder betont, in Deutschland müsse deutsches Recht eingehalten werden. Aber garantieren, dass das so ist, können Sie uns das an diesem Morgen nicht, oder?
    Binninger: Ich kann ja nicht für ausländische Nachrichtendienste sprechen. Das ist unser Maßstab, in Deutschland muss deutsches Recht gelten. Wer hier spioniert, gegen den wird ermittelt, oder es werden entsprechende Konsequenzen gezogen. Das ist auch die klare Botschaft. Aber machen wir uns nichts vor - und deshalb muss man ja den Blick auch etwas weiter werfen: Man kann nie ausschließen, dass ein ausländischer Dienst - und ich nenne es bewusst mal kein Land - hier spioniert.
    Schulz: Ja, Herr Binninger. Wir sprechen hier aber nicht über irgendeinen Dienst; wir sprechen über einen engen Verbündeten von Deutschland. Wir sprechen über die Vereinigten Staaten!
    Binninger: Ja klar! Aber für die gilt das Gleiche, dass sie hier auch nicht zu spionieren haben. Das ist ja keine Frage. Aber wenn Sie jetzt zu mir sagen, kann ich ausschließen, was irgendwo entschieden wird, dann ist das sehr, sehr schwierig. Es ist unsere klare Forderung und Erwartungshaltung und ich glaube, das wissen die amerikanischen Stellen auch, dass sie hier entschieden zu weit gegangen sind und sich das auch nicht wiederholen darf, sondern dann gibt es Konsequenzen. Aber jetzt von uns zu verlangen, wir könnten hier inhaltlich direkt Einfluss nehmen, das, glaube ich, wäre unrealistisch. Das ist einfach so.
    "Politische Grenzen ziehen, Signale setzen und uns schützen"
    Schulz: Aber dann frage ich mich, ob Sie die Einschätzung der Kanzlerin aus dem letzten Jahr unrealistisch finden. Sie hat nämlich gesagt, sie sei dafür auch verantwortlich, das durchzusetzen, dass in Deutschland auch deutsches Recht gelten müsse. Ist sie daran nicht gescheitert?
    Binninger: Nein, das tun wir ja auch. Aber Sie können deswegen trotzdem nicht verhindern, wenn irgendwo ein Agent wäre, der sagt, ich mache jetzt eine eigene Aktion, ich werbe jemand an. Das ist ja zunächst mal nicht in unserem Einflussbereich. Das meine ich ja, dass wir hier all das tun, um unser Recht durchzusetzen, dass wir auch zu politischen Signalen bereit sind und klare Konsequenzen ziehen, wie wir sie gestern gezogen haben. Aber diese Erwartungshaltung, man könnte direkt auf irgendeine Entscheidung eines ausländischen Nachrichtendienstes Einfluss nehmen, wenn der nicht bereit ist, sich an bestimmte Dinge zu halten, die halte ich nicht für realistisch, und es wäre auch falsch, so zu tun, als ob wir das könnten. Was wir können - und das, glaube ich, muss auch unser Ziel sein -, politische Grenzen zu ziehen, Signale zu setzen und uns zu schützen. Das muss doch die eigentliche Botschaft sein, dass wir uns schützen müssen vor Spionage, egal aus welcher Richtung sie kommt.
    Schulz: Erklären Sie uns das noch kurz. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Sie sagen, einerseits können Sie nichts ausschließen, andererseits sei es Ihnen gelungen, Grenzen zu ziehen. Wie passt das zusammen?
    Binninger: Grenzen zu ziehen, das haben wir gestern, glaube ich, deutlich gemacht mit der Aufforderung an den Repräsentanten, dass er das Land verlassen will. Das ist, glaube ich, eine klare Grenze. Es laufen Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts. Auch da wird es Konsequenzen geben. Das sind alles die Grenzen, die wir ziehen. Aber Sie können nicht - das wäre auch ein unrealistisches Versprechen gegenüber der Bevölkerung - sagen, wir können definitiv für alle ausländischen Nachrichtendienste ausschließen, dass die hier irgendwie eine Aktion machen. Dazu haben wir eine Spionageabwehr und deshalb muss das unser Schwerpunkt sein, die Dinge voranzutreiben, die wir unmittelbar beeinflussen können, für die wir selber Verantwortung tragen, um damit zu verhindern, dass andere die Regeln brechen.
    Schulz: Clemens Binninger, der Vorsitzende des Parlamentarischen Gremiums zur Kontrolle der Geheimdienste, heute hier in den "Informationen am Morgen". Haben Sie herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.