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Spionageaffäre
"Zwischen Staaten existiert keine Freundschaft"

Zu den gemeinsamen Werten der USA und Deutschland zählten Rechtsstaatlichkeit und Vertrauen, sagte der Außenpolitiker Stefan Liebich (Linke) im DLF. Beides hätten die USA in der Spionageaffäre mehr oder weniger mit Füßen getreten. Liebich fordert daher von der Bundesregierung deutliche Ansagen in Richtung US-Geheimdienste.

Stefan Liebich im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Der Linken-Abgeordnete Stefan Liebich unterhält sich am 09.10.2013 während der Mittagspause vor einem Hotel in Bersteland (Brandenburg).
    Der Linken-Abgeordnete Stefan Liebich ist Obmann der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. (dpa picture alliance / Hannibal Hanschke)
    Mario Dobovisek: Freund und Feind - die Grenzen verschwimmen in der dunklen Welt der Geheimagenten. Stoff für Kinoklassiker und die schnöde deutsche Tagespolitik allemal. Da wird das Handy der Kanzlerin abgehört vom großen Bruder in den USA; große Empörung in Berlin und allenfalls ein Schulterzucken in Washington. Jetzt werden auch noch zwei deutsche Doppelspione enttarnt; der eine soll den NSA-Untersuchungsausschuss, der andere das Verteidigungsministerium für die Amerikaner bespitzelt haben. Und wieder rollt eine Welle der Empörung durch das politische Berlin.
    Am Telefon begrüße ich Stefan Liebich, Außenpolitiker der Linkspartei im Bundestag, derzeit mit einer Delegation des Auswärtigen Ausschusses zu Gesprächen in Washington. Ich grüße Sie, Herr Liebich!
    Stefan Liebich: Schönen guten Morgen, Herr Dobovisek.
    Dobovisek: Gestern an dieser Stelle hörten wir den Ausschussvorsitzenden, CDU-Mann Norbert Röttgen, und folgendes hat er gesagt:
    Norbert Röttgen: "Es ist nicht meine Erwartung und wir bekommen auch keine Hinweise darauf, dass die USA ihre Politik auf diesem Gebiet, was die Nichtkommunikation in solchen Fällen angeht, ändern werden. Das trägt dazu bei, dass Misstrauen weiter geschürt wird. Wenn so etwas passiert, wird dazu nicht Stellung bezogen. Das erzeugt außenpolitischen Schaden, der enorm ist."
    Dobovisek: An der Politik wird sich nichts ändern, sagt Röttgen, auch nicht an der Kommunikation. Herr Liebich, klingt nach Resignation. Haben die Regierungsfraktionen in Sachen Aufklärung und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den USA längst aufgegeben?
    Liebich: Nein, das kann ich nicht so sehen. Wir haben heute in all den Gesprächen, die wir geführt haben, zum Beispiel mit der Vorsitzenden des Geheimdienstausschusses, Frau Feinstein, mit dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Senats, Herrn Menendez, klare und deutliche Worte gefunden, und zwar über Fraktionsgrenzen hinweg. Wir finden alle, dass beide Spionagefälle den deutsch-amerikanischen Beziehungen massiv schaden und dass das nicht akzeptabel ist. Das heißt, wir haben schon deutlich kommuniziert. Die Antworten waren leider zwar im Ton sehr höflich, in der Sache aber sehr dünn. Die Hauptaussage, die wir erhalten haben, lautete, wir können dazu nichts sagen. Das ist natürlich nicht genug.
    Dobovisek: Warum kommt das in den USA nicht an, was Sie sagen?
    Liebich: Ich habe das Gefühl, dass in den Vereinigten Staaten von Amerika nicht verstanden wird, dass es uns nicht egal ist, dass Alliierte hier einander bespitzeln. Die Vereinigten Staaten haben ja Beziehungen zu vielen Ländern auf der Erde. Offenkundig ist es in der Geheimdienst-Community vollständig okay und normal, dass man einander bespitzelt, egal ob Freund oder Feind. Wir finden das eben nicht normal, und ich finde, dabei müssen wir auch bleiben. Ich finde, das geht so nicht. Deutschland und die Vereinigten Staaten sagen, sie haben eine besondere Beziehung zueinander, und das muss sich auch bei diesem Thema zeigen. Wenn nicht, muss das Konsequenzen haben.
    Dobovisek: Haben Sie den Eindruck, dass Angela Merkel und ihre Regierung sich bislang eher wegducken, um Washington nicht zu verärgern?
    Liebich: Mir passierte da schon zu wenig. Wir hatten am Beginn, als die massenhafte Bespitzelung der E-Mail- und Internet-Kommunikation in der Bevölkerung unseres Landes deutlich wurde, fast gar keine Reaktionen. Es gab ein paar freundliche Anfragen des ehemaligen Innenministers und des ehemaligen Kanzleramtsministers in den Vereinigten Staaten, die zu keinerlei Konsequenzen führten. Offenbar hat sich der ehemalige Kanzleramtsminister Pofalla die Idee eines No-Spy-Abkommens ausgedacht, ohne dass das hier irgendjemand auf US-amerikanischer Seite bestätigt hat. Real passiert ist leider gar nichts.
    Ein bisschen aufgeregter wurde es dann, als es um das Handy der Kanzlerin ging, aber ich finde, was hier passieren muss ist die klare Botschaft: Wenn sich US-amerikanische Geheimdienste auf deutschem Boden nicht an Recht und Gesetz halten, dann muss man die Zusammenarbeit mit ihnen einstellen.
    Dobovisek: Das heißt, die Zusammenarbeit einstellen bedeutet auch gleichzeitig Tür und Tor für weitere Spionage öffnen?
    Liebich: Nein, das bedeutet es nicht, denn Recht und Gesetz gilt ja in Deutschland weiterhin. Und was wir von der Regierung erwarten und was auch die Aussage der Vertreter der Regierungsparteien hier in den Vereinigten Staaten war ist, dass jeder Fall, der bekannt wird, untersucht wird, und wenn ein rechtswidriges Verhalten festgestellt wird, dass dann auch Konsequenzen erfolgen. Ausweisungen von US-amerikanischen Staatsbürgern gehören dazu, ebenso wie Verhaftungen von deutschen Staatsbürgern, die gegen das Gesetz verstoßen.
    Dobovisek: Rache oder Gegenmaßnahmen wie zum Beispiel die Aufkündigung der Zusammenarbeit mit den USA, mit den Diensten der USA hält Norbert Röttgen, so wörtlich, für unsinnig. Sie stehen, Herr Liebich, damit in Ihrer Delegation eher alleine da. Warum?
    Liebich: Ich sehe das gar nicht als einen Akt von Rache. Rache fände ich auch albern. Jetzt hier Gleiches mit Gleichem zu vergelten, das ist Kindergarten. Wir sollten jetzt nicht anfangen, rechtswidrige Spionage in den Vereinigten Staaten zu betreiben. Nein, was ich fordere ist eine Normalität. Wenn gesagt wird, dass die Zusammenarbeit, die besondere Zusammenarbeit von Deutschland und den Vereinigten Staaten auf beiden Seiten des Atlantiks auf gemeinsamen Werten beruht, dann muss man diese Werte auch leben. Und zu diesen Werten gehört Rechtsstaatlichkeit und natürlich auch Vertrauen unter Alliierten. Und es ist ja nicht so, dass die deutsche Seite diese Werte mit Füßen getreten hat.
    Ich will allerdings auch eines sagen: Es ist nicht so, dass die Deutschen hier stehen und die Amerikaner dort, sondern es gibt hier in den Vereinigten Staaten auch eine intensive Debatte über das, was Geheimdienste wollen und dürfen und wo Grenzen gesetzt werden müssen, wie in unserem Land auch. Das heißt, ich denke, es geht letztlich nicht um Deutschland gegen USA, sondern es geht in beiden Ländern darum, was Geheimdienste dürfen und was sie nicht dürfen.
    Dobovisek: Hat Sie es allerdings überrascht, wie wenig das doch ankam, was Sie in den vergangenen Tagen in den USA in Botschaften verpackt an die amerikanische Seite geschickt haben?
    Liebich: Ehrlich gesagt nicht. Ich hatte da jetzt keine Illusionen. Es gibt hier durchaus einige Politikerinnen und Politiker, die noch nicht gemerkt haben, dass sich seit 1990 die Zeit weitergedreht hat, und sie betrachten den BND und die Dienste in Deutschland offenbar als so einen kleinen Bruder, der ihnen zuliefert, wenn man sie braucht, aber ansonsten macht man, was man will. Es liegt an der deutschen Politik und wir haben hier das Unsere versucht als kleine deutsche Delegation, darauf hinzuweisen, dass das so eben nicht mehr funktioniert. Wenn man von Partnerschaft auf Augenhöhe spricht, dann muss das auch ernst gemeint sein. Davon sind wir noch weit entfernt.
    Dobovisek: Hier in Deutschland kursieren immer wieder die Forderungen, dass der kleine Bruder doch den großen Bruder intensiver auch ausspähen sollen dürfte, sprich der BND zum Beispiel auch in den USA aktiver würde. Wie sehen Sie das?
    Liebich: Ich halte das für falsch. Wir sollten nicht das, was wir bei den Amerikanern als Fehler kritisieren, nun künftig selber machen. Ich denke, was richtig ist -und da muss sich der Bundesnachrichtendienst und die deutschen Dienste schon einer kritischen Befragung unterziehen -, wir müssen schon darauf achten, dass diese Dienste im Rahmen der Spionageabwehr ihre Aufgaben erledigen. Das heißt, es muss klar sein, es darf nicht durch Zufälle plötzlich, weil man denkt, dass der Spion für die russische Seite spioniert, nicht nur allein dadurch darf klar werden, dass es so etwas gibt, sondern wenn wir feststellen, es gibt hier rechtswidriges Verhalten, dann muss mit allen Möglichkeiten, die die Bundesrepublik Deutschland hat, dagegen vorgegangen werden. Jetzt gegenzuspionieren und zu sagen, wir machen den gleichen Fehler wie den, den wir bei den Amerikanern kritisieren, hielte ich für die falsche Antwort.
    Dobovisek: Ist ein Freund, der Sie aushorcht, Herr Liebich, und noch nicht einmal einen Funken Reue zu erkennen gibt, noch ein Freund?
    Liebich: Wenn das ein Freund von mir machen würde, dann würde er aus meiner Wohnung fliegen. Aber zwischen Staaten existiert Freundschaft gemeinhin sowieso nicht. Das sind schöne Worte, die man gerne in Reden hält. Das ist auch okay. Das gibt uns allen ein gutes Gefühl. Aber Staaten agieren auf Basis von Interessen, auch die Bundesrepublik Deutschland und auch die Vereinigten Staaten von Amerika. Manchmal sind die Interessen gleiche Interessen, dann kann man auch gemeinsam agieren, und manchmal sind es unterschiedliche Interessen. Ich halte davon nichts, hier Freundschaften zu beschwören, sondern hier muss auf den Tisch, was passiert ist, und das muss Konsequenzen haben und man darf nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.
    Dobovisek: Stefan Liebich ist Außenpolitiker der Linkspartei und derzeit mit einer Delegation des Auswärtigen Ausschusses zu Gesprächen über die Spionageaffäre in Washington. Ich danke Ihnen für das Interview.
    Liebich: Sehr gern! Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.