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Spitzbergen
Überleben in der Polarnacht

Drei Monate lang scheint in Longyearbyen keine Sonne. Hell wird es nur nachts, wenn Mond und Sterne scheinen - und natürlich in den zahlreichen Pubs, in denen die Bewohner auf den Sommer warten.

Von Andrea Rehmsmeier |
    Aufnahme von Touristen in der Stadt Longyearbyen.
    Wenn es wieder heller wird, kommen auch die Touristen nach Longyearbyen (picture alliance / Hinrich Bäsemann)
    Drei Monate lang hat Longyearbyen in völliger Dunkelheit gelegen. Doch plötzlich setzt die Dämmerung ein. Von Osten kommend, erhellt ein milchig-blasser Lichtschein den Himmel und lässt die Silhouette der Bergkuppen aus der Nachtschwärze hervortreten. Die Schneedecke erstrahlt in einem schnell wechselnden Farbspiel - mal in zartem Violett, dann in leuchtendem Rosa. Das Naturschauspiel kündigt das Ende der Polarnacht an, kurz bevor das Tageslicht zurückkehrt.
    Den schwarz-weißen Husky-Welpen, der vor dem Supermarkt an einem Pflock angebunden ist, interessiert das wenig. Er wartet sehnsüchtig auf seinen Besitzer. In der Fußgängerzone aber sind zwei junge Männer auf dem festgetretenen Schnee stehen geblieben. Sie genießen das schummrige Tageslicht, das sie so lange vermissen mussten.
    "So schlimm ist das nicht – aber natürlich vermisst man die Sonne. Polarnacht – das ist, als müsste man ständig mitten in der Nacht aufstehen, obwohl es doch längst Morgen ist. Und um das zu überstehen, braucht man gute Freunde."
    Die beiden Norweger haben auf Spitzbergen gerade den ersten Polarwinter ihres Lebens hinter sich gebracht. Sie sind Klempner und haben sich in Longyearbyen selbstständig gemacht, weil der stark anwachsende Touristen-Strom sie auf einen Bauboom hoffen lässt. Noch ist in dem 2500-Einwohner-Städtchen von dem erwarteten Ansturm zwar wenig zu spüren: Die Souvenirshops, Sportgeschäfte und Cafés sind leer, die Fußgängerzone wirkt ausgestorben. Doch mit dem Tageslicht werden die Touristen kommen. Und so können auch die beiden Norweger die lange Zeit der Dunkelheit inzwischen mit Humor betrachten.
    "In der richtig dunklen Zeit ist hier die Nacht sogar heller als der Tag, weil der Mond und die Sterne so strahlend leuchten. Für die Zukunft von Spitzbergen würde ich also vorschlagen, alles einfach umzudrehen: nachts zu arbeiten, und am Tag zu schlafen. Dann könnten wir auch besser Geschäfte mit den USA und mit China machen. Ansonsten hilft nämlich nur eines: in die Bar zu gehen, und dort mit Freunden eine Menge Bier zu trinken."
    Gut Schlafen und Pause machen
    Und an Bars mangelt es Longyearbyen nicht. Das Karls-Berger-Pub befindet sich in dem Gebäude der ehemaligen Umkleide- und Waschhalle, wo früher die Kumpel ihre Schutzkleidung für die Arbeit unter Tage aufbewahrten: dem "Lompensentret". Drinnen sind Fotoporträts von Kumpeln mit ruß-geschwärzten Gesichtern aufgehängt, und die Wand hinter der Theke verschwindet hinter einer beeindruckenden Flaschensammlung mit über 1000 verschiedenen Sorten Whisky und anderen Spirituosen. Hier feiern Gäste aus allen Teilen der Welt das baldige Ende der Polarnacht. Neben Studenten, Wissenschaftlern und Angestellten der Tourismusindustrie lassen hier auch die Bergarbeiter der letzten verbliebenen Kohlemine nahe Longyearbyen ihren harten Arbeitstag ausklingen. Die Norwegerin Ane besucht gerade ihre Freundin, die im hiesigen Universitätszentrum als Dozentin lehrt.
    "Die Erfahrung ist neu für mich – und es ist toll! Sogar wenn es dunkel ist, dann gibt es irgendwo ja doch immer noch Licht. Ich kann hier super schlafen. Und die Leute sind alle so nett, ich wüsste nicht, wieso man hier wegen der Dunkelheit Depressionen bekommen könnte."
    Wer nach einem langen Kneipenabend wieder hinaus muss, in die Polarkälte, der wird dort rasch wieder nüchtern. Jetzt liegt das Städtchen unter einem leuchtenden Sternenhimmel, und der Mond beweist eine erstaunliche Strahlkraft. Es ist vollkommen still. Nur die Lobbys der Hotels sind noch besetzt. Hier nimmt die junge Norwegerin Sally Nachtschwärmer in Empfang. Die junge Norwegerin Sally sitzt hinter dem Empfangstresen, und schaut ein bisschen verträumt durch die Fensterfront nach draußen.
    "Ich liebe die Polarnacht. Sie ist so lauschig nach den langen Sommern, wenn dein Körper gestresst ist vom ständigen Schlafmangel. In der Dunkelheit kann er endlich Pause machen. Und die Sterne scheinen so hell, dass du sogar die schneebedeckten Bergkuppen sehen kannst. Manchmal erscheint auch ein Nordlicht. Und wenn dann der Mond hinter den Bergen aufgeht, dann ist das schöner als jeder Sonnenaufgang. Dann schimmern die Berge in einem silbernen Licht. Allein das ist aller Mühen wert."