Der Syntagma-Platz im Zentrum Athens, der Platz vor dem Parlamentsgebäude. Seit gut drei Wochen gehört der Platz samt angrenzender Straßen den "Empörten Bürgern", wie sie sich selbst nennen. Hinter dem Namen verbirgt sich keine homogene Gruppierung, sondern ein bunter Haufen von Demonstranten aus allen gesellschaftlichen Schichten jeden Alters und jedweder politischen Couleur: Schüler, Studenten Rentner, Familienväter, feine Damen, greise Senioren, die sich den König zurückwünschen, Rechtsradikale, die die nationale Größe Griechenlands beschwören und Linksradikale, die Griechenland an der Schwelle zur Revolution sehen.
Die Grünfläche in der Mitte des Platzes haben vor allem die jungen Leute in Beschlag genommen. Viele haben ihre Zelte aufgeschlagen und campieren hier. Es riecht nach Bratwürstchen, Marihuana und Schweiß. Wären da nicht die Transparente, die die Demonstranten zwischen den Zelten in den Rasen gerammt haben, könnte man fast meinen, man befinde sich auf einem Open-Air-Festival.
Doch der Schein trügt. Die Leute campieren hier, um zu protestieren. Gegen die Sparmaßnahmen der Regierung: Gegen Gehalts- und Pensionskürzungen, gegen soziale Einschnitte - aber auch gegen Korruption und Klientelwirtschaft, die vor allem den jungen Leuten jede Chance auf einen festen Job und eine berufliche Perspektive verbauen.
"Ich habe mein Diplom in der Tasche. Aber ich habe keinen Job. Ich habe Kunst und Kommunikation studiert, aber in der Werbebranche gibt es einfach keine Arbeitsplätze mehr. Weil die Firmen ihre Werbebudgets streichen."
Neben ihm hockt die 32-jährige Maria vor ihrem Zelt. In der Hand hält sie ein Eis.
"Ich habe eine Statistik gelesen: Früher kamen auf einen Arbeitsplatz etwa 25 Bewerber. Seit die Regierung mit den Sparmaßnahmen begonnen hat, kommen 300 Bewerber auf einen Arbeitsplatz."
Maria arbeitet, wie sie sagt, als Aushilfe in einem Supermarkt, für 650 Euro im Monat: Sie reiht sich damit ein in das Millionenheer der 600-Euro-Generation, wie Griechenlands Jugendliche mittlerweile genannt werden. Obwohl sie studiert habe, bekomme sie keinen richtigen Job und deshalb sei sie vor einigen Tagen hierher gezogen, um zu protestieren. Vormittags gehe sie zur Arbeit, dann schnell zum Essen und Duschen nach Hause, und dann wieder hierher.
Weiter vorne, Richtung Parlament, geht es wesentlich lebhafter zu. Alle paar Minuten ertönt der Schlachtruf der "Empörten Bürger": "Diebe, Diebe" skandieren sie in Richtung Parlamentsgebäude.
"Seit diese Demos begonnen haben, war ich mehrmals hier. Mit meinem Sohn, meiner Schwägerin und meinen erwachsenen Enkeltöchtern. Beide sind arbeitslos. Wir müssen protestieren! Wir können unser Leben so nicht weiterleben. Es ist schon soweit gekommen, dass unsere Enkeltöchter sich nicht genügend zu essen leisten können. Ich muss ihnen manchmal sogar Geld leihen. Ich schäme mich, ein Grieche zu sein."
Der kleine Mann mit dem dichten weißen Haar setzt seine Brille ab und wischt sich einige Tränen aus dem Gesicht. Er ist ganz offensichtlich mit den Nerven am Ende.
Ein paar Meter weiter steht ein bärtiger Mann mit einer schwarzen Rockerjacke. Vor sich eine große Griechenlandflagge, auf die er mit schwarzem Filzstift einen Spruch geschrieben hat. Dieser spielt an auf Ministerpräsident Giorgios Papandreou und die 300 Parlamentsabgeordneten. Der Spruch lautet: "Bei der nächsten Wahl stimme ich für Ali Baba. Der hat nur 40 Räuber und keine 300."
Der Rockertyp entdeckt das deutsch beschriftete Mikrofon und sagt:
"Wir würden es gerne sehen, wenn die Deutschen ein anderes Bild von uns hätten. Wir sind weder Faulpelze noch schlechte Typen - und auch keine Diebe! Wir sind ehrenhafte Bürger mit Familien. Wir haben Kinder und Enkelkinder und unsere Absicht war es nie, Geld von anderen Völkern Europas zu verschwenden."
Das, was fast alle Demonstranten auf dem Platz vor dem Parlament wieder und wieder betonen, ist dies: Nicht wir hier draußen haben die Schuldenkrise verursacht, sondern die da drinnen, die Politiker im Parlament. Kein Wunder also, dass Flaggen, Wimpel und Abzeichen von Parteien - auch die der Opposition - absolut tabu sind dieser Tage auf dem Syntagma-Platz. Wer doch mit einem Parteilogo auftaucht, wird freundlich aber bestimmt gebeten zu gehen. Auch das ein Zeichen für den tief greifenden politischen Vertrauensverlust, der das Land erfasst hat.
"Unsere Gesellschaft bezahlt heute für die Fehler und die Sünden der Vergangenheit. Wir gehen durch schwierige Zeiten. Die Empörung der Bürger ist gerechtfertigt. Aber das, was uns hierher gebracht hat, sind weder die internationale Hilfe noch die Steuererhöhungen. Es sind die Sünden und die Fehler des bisherigen politischen Systems. Und wir kämpfen, um es zu ändern!"
Der griechische Ministerpräsident Giorgios Papandreou. Angesichts der Massendemonstrationen in Athen und vielen anderen Städten Griechenlands wiederholt er stereotyp immer wieder diesen Satz: "Ich kann die Empörung verstehen." Doch der Ministerpräsident glaubt nicht mehr daran, dass er diese Krise aussitzen könne - er kämpft. Und das an mehreren Fronten zugleich.
Griechenlands sozialdemokratischer Premier bekommt nicht nur kräftig Widerspruch von den Demonstranten auf den Straßen des Landes, auch innenpolitisch bläst ihm der Sturm voll ins Gesicht. Gestern, am späten Nachmittag, schien es für einige Stunden so, als fege ihn dieser Sturm aus dem Amt. Meldungen machten die Runde, wonach Papandreou bereit sei, auf das Amt des Regierungschefs zu verzichten, falls die oppositionellen Konservativen einer sogenannten Regierung der nationalen Einheit beitreten würden.
Doch sein verzweifelter Versuch, die konservative Opposition der Nea Demokratia in eine Einheitsregierung zu zwingen, scheiterte am Widerstand von ND-Parteichef Antonis Samaris. So sah sich der Regierungschef gezwungen, für den heutigen Donnerstag eine Kabinettsumbildung anzukündigen - Papandreou will sie mit der Vertrauensfrage im Parlament verknüpfen. Sie soll in den nächsten Tagen stattfinden.
Wenn Papandreou die Vertrauensabstimmung gewinnt, hat er zumindest kurzfristig das Mandat, die Zügel auf Geheiß von EU, EZB und IWF noch weiter anzuziehen, um die Auszahlung der dringend benötigten nächsten Kreditrate sicherzustellen. Doch noch immer hätten die Kritiker in den eigenen Reihen und die Opposition alle Möglichkeiten, das nächste Sparpaket zu torpedieren. Antonis Samaras gab sich gestern Abend jedenfalls überhaupt nicht versöhnlich:
"Das Problem ist diese katastrophale Sparpolitik. Sie wird uns ersticken. Wir müssen eine Politik des Wachstums einführen!"
Anders als in Irland oder Portugal haben sich die Parteien in Griechenland noch nicht auf einen Allparteienkonsens einigen können, um gemeinsam das griechische Schiff vor dem Untergang zu retten. Nicht ohne Grund beschwor Giorgios Papandreou heute Nachmittag alle Abgeordneten im Parlament, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Sein Appell ging auch und vor allem an Antonis Samaras von der Nea Demokratia.
Der streitbare Oppositionspolitiker hatte Ende 2009 nach der eindeutigen Wahlniederlage der konservativen Regierung von Kostas Karamanlis den undankbaren Job an der Spitze der ND angetreten. Zu Beginn seiner Amtszeit als Oppositionsführer, die mit dem Beginn der Schuldenkrise Griechenlands zusammenfiel, hatte es Samaras schwer, überhaupt politisch Tritt zu fassen.
Auch wenn es damals wegen der Proteste und Krawalle nicht immer danach aussah: Ein großer Teil der griechischen Bevölkerung stand vor gut einem Jahr, im Frühsommer 2010, noch hinter der Reformpolitik des damals noch unverbrauchten und entschlossenen Ministerpräsidenten Papandreou. Die Meinung der Opposition, vor allem die der Konservativen, interessierte kaum jemand. Schließlich war es aus Sicht vieler die Vorgängerregierung der Nea Demokratia gewesen, die den griechischen Karren erst so richtig in den Dreck setzte.
Doch die politische Stimmung hat sich in den vergangenen Monaten spürbar gedreht. Laut einer vor gut einer Woche veröffentlichten Umfrage der Tageszeitung "Kathimerini" liegen die griechischen Konservativen erstmals seit Langem wieder vor den Sozialdemokraten, der PASOK. Die ND und ihr Chef Samaras kämen bei einer Wahl demzufolge auf 31 Prozent der Stimmen.
Die PASOK von Premier Papandreou würde mit nur 27 Prozent nicht nur die Regierungsmehrheit verlieren, sondern auch ihr schlechtestes Ergebnis seit Ende der 70er-Jahre einfahren.
Das eigentlich Bemerkenswerte an dieser Umfrage: Die Griechen wollen einen politischen Wechsel, ohne dass sich etwas an der politischen Ausgangslage oder der Programmatik der Parteien verändert hätte. Sie folgen dem alten Muster der griechischen Politik, wonach sich die beiden großen Parteien stets an der Macht abgelöst haben.
Damals wie heute sagt Ministerpräsident Papandreou: Griechenland werde weiter hart arbeiten und seine Verpflichtungen erfüllen. Sprich: striktes Sparen, um die Schulden zurückzahlen.
Und auch Oppositionschef Samaras fährt seit einem Jahr mit dem selben Argument auf. Sein Schlüsselwort lautet: Neustart.
"Der Wagen wird nicht anspringen, wenn wir nicht den Schlüssel einstecken und ihn drehen. Und der Schlüssel für den wirtschaftlichen Neustart sind Steuersenkungen. Deswegen bestehen wir - nicht aus Trotz, sondern aus Vernunft - auf einem Neustart."
So liefen seit Mai alle Bemühungen von Regierungschef Papandreou ins Leere, Antonis Samaras auf seine Seite zu ziehen - zuletzt gestern Abend:
"Ich habe der Opposition viele Angebote zur Zusammenarbeit gemacht. Dabei habe ich auch klargestellt: Ich verknüpfe das nicht mit bestimmten Personen."
Doch obwohl Papandreou für den Fall einer großen Koalition sogar auf das Amt des Ministerpräsidenten verzichten würde - es bleibt bei der ablehnenden Haltung der Nea Demokratia. Deren Chef Samaras hat gestern noch einmal betont, dass er die Spar- und Reformvereinbarungen Griechenlands mit den internationalen Geldgebern aufkündigen und neu verhandeln wolle.
So stehen sich die Positionen unversöhnlich gegenüber: Angesichts eines wirtschaftlichen Einbruchs von fünfeinhalb Prozent und einer Arbeitslosenquote, die mittlerweile bei 16 Prozent liegt, setzt der Oppositionspolitiker Samaras auf Steuersenkungen, um den Binnenmarkt anzukurbeln. "Das können wir uns nicht leisten", sagt hingegen Ministerpräsident Papandreou und weiß damit noch nicht einmal seine eigenen Parteimitglieder mehr hinter sich.
Zwar verfügt die Regierungspartei PASOK im Parlament über 155 Stimmen. Im 300 Mitglieder umfassenden Abgeordnetenhaus entspricht das einer Mehrheit von fünf Stimmen. Doch die ist nicht mehr sicher. Mehr als ein Dutzend PASOK-Abgeordnete haben sich Anfang Juni in einem Brief an den Regierungschef darüber beschwert, dass dieser hinter verschlossenen Türen immer neue Einschnitte aushandele, ohne das in der eigenen Partei vorher abzusprechen. Deshalb stehen auch sie nicht mehr zuverlässig hinter Papandreous neuestem Sparpaket im Umfang von 78 Milliarden Euro bis 2015.
Papandreou sieht sich also in der Zwickmühle: Auf die eigene Partei kann er sich nicht mehr verlassen. Heute legten zwei PASOK-Abgeordnete ihr Mandat nieder. Die Opposition bekommt er nicht ins Boot. Ob er die Vertrauensabstimmung übersteht, ist fraglich. Und ob die internationalen Gläubiger noch die Geduld aufbringen werden, Griechenland am Abgrund des Staatsbankrotts weiteren Aufschub zu gewähren, steht in den Sternen. Der Patient Griechenland ist für Europa längst zur Belastung geworden.
Die Zeit drängt, und die Ratlosigkeit wächst: Bekommt Griechenland bis Mitte Juli nicht die nächste Tranche des Rettungspakets, droht der finanzielle Kollaps. Morgen treffen sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy, um im Streit über die Beteiligung der privaten Gläubiger das weitere Vorgehen zu beraten. Die Bundesregierung würde sich mit einer Entscheidung am liebsten bis September Zeit lassen.
Auf eine schnelle Einigung drängt jedoch die EU-Kommission: Spätestens Mitte Juli müsse das neue Kreditprogramm festgezurrt sein, ließ Währungskommissar Olli Rehn heute wissen. Am Sonntag und Montag wollen sich die Finanzminister der Eurogruppe wieder über die Krisenpläne beugen, wenige Tage vor dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel. Sicher ist gegenwärtig nur dieses: Die innenpolitische Lage in Griechenland hat die Situation nicht einfacher gemacht.
Zumal ein Ende der Krise nicht abzusehen ist. Im Gegenteil: Die innenpolitische Konfusion nimmt eher noch zu. Der von der EU gewünschte nationale Konsens ist nicht wahrscheinlicher geworden. Vieles hängt nun von der bevorstehenden Vertrauensabstimmung im griechischen Parlament ab. Auf ewig werde Papandreous Wackel-Mehrheit auf jeden Fall keinen Bestand haben, sagt der Athener Fernsehjournalist und Buch-Autor Tasos Telloglou:
"Irgendwann wird die heutige Regierungsmehrheit ins totale Stocken kommen. Dann gibt's keinen anderen Ausweg als Neuwahlen. Nur diese Wahlen dürften uns kaum größere Klarheit bringen."
Alle Zeichen stehen auf Eskalation der politischen Krise, sagt Tasos Telloglou - selbst wenn Papandreou die Vertrauensabstimmung gewinnt. Für die langfristige Lösung der Krise in seinem Land sei sein Land aber sowieso auf Hilfe von außen angewiesen, so der Fernsehjournalist, der einer der profiliertesten Investigativ-Reporter Griechenlands ist. Seine Spezialgebiete: Korruption und Vetternwirtschaft. Seine These: Selbst wenn die griechische Politik willens sei, die angestoßenen Reformen durchzusetzen, werde sie von der Verwaltung des Landes sabotiert.
"Die Leute sind unfähig und unwillig, diese Politik zu realisieren. Weil sie nicht an diese Politik glauben und weil das ganze griechische politische Personal von Klientelismus über Jahrzehnte geprägt worden ist."
Die Schuldenkrise Griechenlands hat die Grundfesten eines Gesellschaftssystems erschüttert, das längst das "System Hellas" genannt wird: Es ist geprägt von einem unversöhnlichen politischen Lagerdenken, von einer Spaltung in links und
rechts, in Freund und Feind - und von einer Klientelwirtschaft, die den sozialen Aufstieg von persönlichen Beziehungen abhängig macht.
Vor diesem Hintergrund fordert Tasos Telloglou, dass sich die europäischen Partner noch viel stärker als bisher einmischen in Griechenland. Sowohl in die Politik, als auch in die Verwaltung. Die "Maschine", wie er es nennt, sei unfähig, die Reformen wirkungsvoll anzupacken.
"Die Maschine, die das umsetzen soll, ist dieselbe Maschine. Wir wissen, das sind dieselben Beamten. Und deswegen funktioniert es nicht. Wir verlangen von denjenigen, die uns an den Rand des Kollapses gebracht haben, diesen Kollaps abzuwenden. Das geht nicht, und das müssen die Europäer irgendwann verstehen. Ohne Aufbrechen und Neugestalten dieser Maschine wird diese Politik scheitern."
Doch eine noch offenere Intervention der europäischen Partner in griechische Angelegenheiten würde das innenpolitische Pulverfass nur noch mehr an den Rand der Explosion bringen: Denn gegen kaum etwas regt sich in Griechenland so sehr Widerstand wie gegen jegliche Einmischung von außen.
Sinnbildlich dafür ist die breite Ablehnung des genannten Memorandums. Dieser Begriff steht in Griechenland für die Vereinbarungen, die die Regierung Papandreou vor gut einem Jahr mit der EU, der europäischen Zentralbank EZB und dem Internationalen Währungsfonds IWF getroffen hat, um an die Hilfskredite in Höhe von 110 Milliarden Euro zu kommen. Papandreou habe durch das Memorandum die Souveränität Griechenlands geopfert, so ein viel genannter Vorwurf. Stattdessen seien nun die "internationalen Besatzer der EU, der EZB und des IWF" am Ruder und brächten Armut und Elend über das Land.
Auf den Straßen Athens, auf denen dieser Tage - so scheint es - an jeder dritten Straßenecke irgendjemand demonstriert, finden sich zahlreiche Unterstützer der These, die sogenannte Troika, also das Gespann EU, EZB und IWF, sei an allem Schuld.
So sagt dieser Demonstrant, der gegen die Privatisierung der teilstaatlichen griechischen Telekom protestiert:
"Seit eineinhalb Jahren haben wir die Maßnahmen der Troika. Angeblich sollte alles besser werden! Aber wie wir sehen, wachsen die Schulden und die Krise wird immer schlimmer. Deswegen wehren sich die Leute!"
Und dann zeigt er auf sein selbst bedrucktes T-Shirt, mit dem er ganz klar zu erkennen gibt, was er von der Deutschen Telekom hält, die der Regierung in Athen die verbliebenen 16 Prozent ihrer Anteile an der griechischen Telekom abkaufen will:
"Auf meinem Protest-T-Shirt habe ich hier das Logo der Deutschen Telekom, und darunter ein Hakenkreuz. Darunter steht 'Hi Hitler!'. Das ist eine Art Blick in die Zukunft. So wie Hitler Griechenland besetzte, so wird unser Land künftig wieder von Ausländern besetzt werden."
Die Grünfläche in der Mitte des Platzes haben vor allem die jungen Leute in Beschlag genommen. Viele haben ihre Zelte aufgeschlagen und campieren hier. Es riecht nach Bratwürstchen, Marihuana und Schweiß. Wären da nicht die Transparente, die die Demonstranten zwischen den Zelten in den Rasen gerammt haben, könnte man fast meinen, man befinde sich auf einem Open-Air-Festival.
Doch der Schein trügt. Die Leute campieren hier, um zu protestieren. Gegen die Sparmaßnahmen der Regierung: Gegen Gehalts- und Pensionskürzungen, gegen soziale Einschnitte - aber auch gegen Korruption und Klientelwirtschaft, die vor allem den jungen Leuten jede Chance auf einen festen Job und eine berufliche Perspektive verbauen.
"Ich habe mein Diplom in der Tasche. Aber ich habe keinen Job. Ich habe Kunst und Kommunikation studiert, aber in der Werbebranche gibt es einfach keine Arbeitsplätze mehr. Weil die Firmen ihre Werbebudgets streichen."
Neben ihm hockt die 32-jährige Maria vor ihrem Zelt. In der Hand hält sie ein Eis.
"Ich habe eine Statistik gelesen: Früher kamen auf einen Arbeitsplatz etwa 25 Bewerber. Seit die Regierung mit den Sparmaßnahmen begonnen hat, kommen 300 Bewerber auf einen Arbeitsplatz."
Maria arbeitet, wie sie sagt, als Aushilfe in einem Supermarkt, für 650 Euro im Monat: Sie reiht sich damit ein in das Millionenheer der 600-Euro-Generation, wie Griechenlands Jugendliche mittlerweile genannt werden. Obwohl sie studiert habe, bekomme sie keinen richtigen Job und deshalb sei sie vor einigen Tagen hierher gezogen, um zu protestieren. Vormittags gehe sie zur Arbeit, dann schnell zum Essen und Duschen nach Hause, und dann wieder hierher.
Weiter vorne, Richtung Parlament, geht es wesentlich lebhafter zu. Alle paar Minuten ertönt der Schlachtruf der "Empörten Bürger": "Diebe, Diebe" skandieren sie in Richtung Parlamentsgebäude.
"Seit diese Demos begonnen haben, war ich mehrmals hier. Mit meinem Sohn, meiner Schwägerin und meinen erwachsenen Enkeltöchtern. Beide sind arbeitslos. Wir müssen protestieren! Wir können unser Leben so nicht weiterleben. Es ist schon soweit gekommen, dass unsere Enkeltöchter sich nicht genügend zu essen leisten können. Ich muss ihnen manchmal sogar Geld leihen. Ich schäme mich, ein Grieche zu sein."
Der kleine Mann mit dem dichten weißen Haar setzt seine Brille ab und wischt sich einige Tränen aus dem Gesicht. Er ist ganz offensichtlich mit den Nerven am Ende.
Ein paar Meter weiter steht ein bärtiger Mann mit einer schwarzen Rockerjacke. Vor sich eine große Griechenlandflagge, auf die er mit schwarzem Filzstift einen Spruch geschrieben hat. Dieser spielt an auf Ministerpräsident Giorgios Papandreou und die 300 Parlamentsabgeordneten. Der Spruch lautet: "Bei der nächsten Wahl stimme ich für Ali Baba. Der hat nur 40 Räuber und keine 300."
Der Rockertyp entdeckt das deutsch beschriftete Mikrofon und sagt:
"Wir würden es gerne sehen, wenn die Deutschen ein anderes Bild von uns hätten. Wir sind weder Faulpelze noch schlechte Typen - und auch keine Diebe! Wir sind ehrenhafte Bürger mit Familien. Wir haben Kinder und Enkelkinder und unsere Absicht war es nie, Geld von anderen Völkern Europas zu verschwenden."
Das, was fast alle Demonstranten auf dem Platz vor dem Parlament wieder und wieder betonen, ist dies: Nicht wir hier draußen haben die Schuldenkrise verursacht, sondern die da drinnen, die Politiker im Parlament. Kein Wunder also, dass Flaggen, Wimpel und Abzeichen von Parteien - auch die der Opposition - absolut tabu sind dieser Tage auf dem Syntagma-Platz. Wer doch mit einem Parteilogo auftaucht, wird freundlich aber bestimmt gebeten zu gehen. Auch das ein Zeichen für den tief greifenden politischen Vertrauensverlust, der das Land erfasst hat.
"Unsere Gesellschaft bezahlt heute für die Fehler und die Sünden der Vergangenheit. Wir gehen durch schwierige Zeiten. Die Empörung der Bürger ist gerechtfertigt. Aber das, was uns hierher gebracht hat, sind weder die internationale Hilfe noch die Steuererhöhungen. Es sind die Sünden und die Fehler des bisherigen politischen Systems. Und wir kämpfen, um es zu ändern!"
Der griechische Ministerpräsident Giorgios Papandreou. Angesichts der Massendemonstrationen in Athen und vielen anderen Städten Griechenlands wiederholt er stereotyp immer wieder diesen Satz: "Ich kann die Empörung verstehen." Doch der Ministerpräsident glaubt nicht mehr daran, dass er diese Krise aussitzen könne - er kämpft. Und das an mehreren Fronten zugleich.
Griechenlands sozialdemokratischer Premier bekommt nicht nur kräftig Widerspruch von den Demonstranten auf den Straßen des Landes, auch innenpolitisch bläst ihm der Sturm voll ins Gesicht. Gestern, am späten Nachmittag, schien es für einige Stunden so, als fege ihn dieser Sturm aus dem Amt. Meldungen machten die Runde, wonach Papandreou bereit sei, auf das Amt des Regierungschefs zu verzichten, falls die oppositionellen Konservativen einer sogenannten Regierung der nationalen Einheit beitreten würden.
Doch sein verzweifelter Versuch, die konservative Opposition der Nea Demokratia in eine Einheitsregierung zu zwingen, scheiterte am Widerstand von ND-Parteichef Antonis Samaris. So sah sich der Regierungschef gezwungen, für den heutigen Donnerstag eine Kabinettsumbildung anzukündigen - Papandreou will sie mit der Vertrauensfrage im Parlament verknüpfen. Sie soll in den nächsten Tagen stattfinden.
Wenn Papandreou die Vertrauensabstimmung gewinnt, hat er zumindest kurzfristig das Mandat, die Zügel auf Geheiß von EU, EZB und IWF noch weiter anzuziehen, um die Auszahlung der dringend benötigten nächsten Kreditrate sicherzustellen. Doch noch immer hätten die Kritiker in den eigenen Reihen und die Opposition alle Möglichkeiten, das nächste Sparpaket zu torpedieren. Antonis Samaras gab sich gestern Abend jedenfalls überhaupt nicht versöhnlich:
"Das Problem ist diese katastrophale Sparpolitik. Sie wird uns ersticken. Wir müssen eine Politik des Wachstums einführen!"
Anders als in Irland oder Portugal haben sich die Parteien in Griechenland noch nicht auf einen Allparteienkonsens einigen können, um gemeinsam das griechische Schiff vor dem Untergang zu retten. Nicht ohne Grund beschwor Giorgios Papandreou heute Nachmittag alle Abgeordneten im Parlament, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Sein Appell ging auch und vor allem an Antonis Samaras von der Nea Demokratia.
Der streitbare Oppositionspolitiker hatte Ende 2009 nach der eindeutigen Wahlniederlage der konservativen Regierung von Kostas Karamanlis den undankbaren Job an der Spitze der ND angetreten. Zu Beginn seiner Amtszeit als Oppositionsführer, die mit dem Beginn der Schuldenkrise Griechenlands zusammenfiel, hatte es Samaras schwer, überhaupt politisch Tritt zu fassen.
Auch wenn es damals wegen der Proteste und Krawalle nicht immer danach aussah: Ein großer Teil der griechischen Bevölkerung stand vor gut einem Jahr, im Frühsommer 2010, noch hinter der Reformpolitik des damals noch unverbrauchten und entschlossenen Ministerpräsidenten Papandreou. Die Meinung der Opposition, vor allem die der Konservativen, interessierte kaum jemand. Schließlich war es aus Sicht vieler die Vorgängerregierung der Nea Demokratia gewesen, die den griechischen Karren erst so richtig in den Dreck setzte.
Doch die politische Stimmung hat sich in den vergangenen Monaten spürbar gedreht. Laut einer vor gut einer Woche veröffentlichten Umfrage der Tageszeitung "Kathimerini" liegen die griechischen Konservativen erstmals seit Langem wieder vor den Sozialdemokraten, der PASOK. Die ND und ihr Chef Samaras kämen bei einer Wahl demzufolge auf 31 Prozent der Stimmen.
Die PASOK von Premier Papandreou würde mit nur 27 Prozent nicht nur die Regierungsmehrheit verlieren, sondern auch ihr schlechtestes Ergebnis seit Ende der 70er-Jahre einfahren.
Das eigentlich Bemerkenswerte an dieser Umfrage: Die Griechen wollen einen politischen Wechsel, ohne dass sich etwas an der politischen Ausgangslage oder der Programmatik der Parteien verändert hätte. Sie folgen dem alten Muster der griechischen Politik, wonach sich die beiden großen Parteien stets an der Macht abgelöst haben.
Damals wie heute sagt Ministerpräsident Papandreou: Griechenland werde weiter hart arbeiten und seine Verpflichtungen erfüllen. Sprich: striktes Sparen, um die Schulden zurückzahlen.
Und auch Oppositionschef Samaras fährt seit einem Jahr mit dem selben Argument auf. Sein Schlüsselwort lautet: Neustart.
"Der Wagen wird nicht anspringen, wenn wir nicht den Schlüssel einstecken und ihn drehen. Und der Schlüssel für den wirtschaftlichen Neustart sind Steuersenkungen. Deswegen bestehen wir - nicht aus Trotz, sondern aus Vernunft - auf einem Neustart."
So liefen seit Mai alle Bemühungen von Regierungschef Papandreou ins Leere, Antonis Samaras auf seine Seite zu ziehen - zuletzt gestern Abend:
"Ich habe der Opposition viele Angebote zur Zusammenarbeit gemacht. Dabei habe ich auch klargestellt: Ich verknüpfe das nicht mit bestimmten Personen."
Doch obwohl Papandreou für den Fall einer großen Koalition sogar auf das Amt des Ministerpräsidenten verzichten würde - es bleibt bei der ablehnenden Haltung der Nea Demokratia. Deren Chef Samaras hat gestern noch einmal betont, dass er die Spar- und Reformvereinbarungen Griechenlands mit den internationalen Geldgebern aufkündigen und neu verhandeln wolle.
So stehen sich die Positionen unversöhnlich gegenüber: Angesichts eines wirtschaftlichen Einbruchs von fünfeinhalb Prozent und einer Arbeitslosenquote, die mittlerweile bei 16 Prozent liegt, setzt der Oppositionspolitiker Samaras auf Steuersenkungen, um den Binnenmarkt anzukurbeln. "Das können wir uns nicht leisten", sagt hingegen Ministerpräsident Papandreou und weiß damit noch nicht einmal seine eigenen Parteimitglieder mehr hinter sich.
Zwar verfügt die Regierungspartei PASOK im Parlament über 155 Stimmen. Im 300 Mitglieder umfassenden Abgeordnetenhaus entspricht das einer Mehrheit von fünf Stimmen. Doch die ist nicht mehr sicher. Mehr als ein Dutzend PASOK-Abgeordnete haben sich Anfang Juni in einem Brief an den Regierungschef darüber beschwert, dass dieser hinter verschlossenen Türen immer neue Einschnitte aushandele, ohne das in der eigenen Partei vorher abzusprechen. Deshalb stehen auch sie nicht mehr zuverlässig hinter Papandreous neuestem Sparpaket im Umfang von 78 Milliarden Euro bis 2015.
Papandreou sieht sich also in der Zwickmühle: Auf die eigene Partei kann er sich nicht mehr verlassen. Heute legten zwei PASOK-Abgeordnete ihr Mandat nieder. Die Opposition bekommt er nicht ins Boot. Ob er die Vertrauensabstimmung übersteht, ist fraglich. Und ob die internationalen Gläubiger noch die Geduld aufbringen werden, Griechenland am Abgrund des Staatsbankrotts weiteren Aufschub zu gewähren, steht in den Sternen. Der Patient Griechenland ist für Europa längst zur Belastung geworden.
Die Zeit drängt, und die Ratlosigkeit wächst: Bekommt Griechenland bis Mitte Juli nicht die nächste Tranche des Rettungspakets, droht der finanzielle Kollaps. Morgen treffen sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy, um im Streit über die Beteiligung der privaten Gläubiger das weitere Vorgehen zu beraten. Die Bundesregierung würde sich mit einer Entscheidung am liebsten bis September Zeit lassen.
Auf eine schnelle Einigung drängt jedoch die EU-Kommission: Spätestens Mitte Juli müsse das neue Kreditprogramm festgezurrt sein, ließ Währungskommissar Olli Rehn heute wissen. Am Sonntag und Montag wollen sich die Finanzminister der Eurogruppe wieder über die Krisenpläne beugen, wenige Tage vor dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel. Sicher ist gegenwärtig nur dieses: Die innenpolitische Lage in Griechenland hat die Situation nicht einfacher gemacht.
Zumal ein Ende der Krise nicht abzusehen ist. Im Gegenteil: Die innenpolitische Konfusion nimmt eher noch zu. Der von der EU gewünschte nationale Konsens ist nicht wahrscheinlicher geworden. Vieles hängt nun von der bevorstehenden Vertrauensabstimmung im griechischen Parlament ab. Auf ewig werde Papandreous Wackel-Mehrheit auf jeden Fall keinen Bestand haben, sagt der Athener Fernsehjournalist und Buch-Autor Tasos Telloglou:
"Irgendwann wird die heutige Regierungsmehrheit ins totale Stocken kommen. Dann gibt's keinen anderen Ausweg als Neuwahlen. Nur diese Wahlen dürften uns kaum größere Klarheit bringen."
Alle Zeichen stehen auf Eskalation der politischen Krise, sagt Tasos Telloglou - selbst wenn Papandreou die Vertrauensabstimmung gewinnt. Für die langfristige Lösung der Krise in seinem Land sei sein Land aber sowieso auf Hilfe von außen angewiesen, so der Fernsehjournalist, der einer der profiliertesten Investigativ-Reporter Griechenlands ist. Seine Spezialgebiete: Korruption und Vetternwirtschaft. Seine These: Selbst wenn die griechische Politik willens sei, die angestoßenen Reformen durchzusetzen, werde sie von der Verwaltung des Landes sabotiert.
"Die Leute sind unfähig und unwillig, diese Politik zu realisieren. Weil sie nicht an diese Politik glauben und weil das ganze griechische politische Personal von Klientelismus über Jahrzehnte geprägt worden ist."
Die Schuldenkrise Griechenlands hat die Grundfesten eines Gesellschaftssystems erschüttert, das längst das "System Hellas" genannt wird: Es ist geprägt von einem unversöhnlichen politischen Lagerdenken, von einer Spaltung in links und
rechts, in Freund und Feind - und von einer Klientelwirtschaft, die den sozialen Aufstieg von persönlichen Beziehungen abhängig macht.
Vor diesem Hintergrund fordert Tasos Telloglou, dass sich die europäischen Partner noch viel stärker als bisher einmischen in Griechenland. Sowohl in die Politik, als auch in die Verwaltung. Die "Maschine", wie er es nennt, sei unfähig, die Reformen wirkungsvoll anzupacken.
"Die Maschine, die das umsetzen soll, ist dieselbe Maschine. Wir wissen, das sind dieselben Beamten. Und deswegen funktioniert es nicht. Wir verlangen von denjenigen, die uns an den Rand des Kollapses gebracht haben, diesen Kollaps abzuwenden. Das geht nicht, und das müssen die Europäer irgendwann verstehen. Ohne Aufbrechen und Neugestalten dieser Maschine wird diese Politik scheitern."
Doch eine noch offenere Intervention der europäischen Partner in griechische Angelegenheiten würde das innenpolitische Pulverfass nur noch mehr an den Rand der Explosion bringen: Denn gegen kaum etwas regt sich in Griechenland so sehr Widerstand wie gegen jegliche Einmischung von außen.
Sinnbildlich dafür ist die breite Ablehnung des genannten Memorandums. Dieser Begriff steht in Griechenland für die Vereinbarungen, die die Regierung Papandreou vor gut einem Jahr mit der EU, der europäischen Zentralbank EZB und dem Internationalen Währungsfonds IWF getroffen hat, um an die Hilfskredite in Höhe von 110 Milliarden Euro zu kommen. Papandreou habe durch das Memorandum die Souveränität Griechenlands geopfert, so ein viel genannter Vorwurf. Stattdessen seien nun die "internationalen Besatzer der EU, der EZB und des IWF" am Ruder und brächten Armut und Elend über das Land.
Auf den Straßen Athens, auf denen dieser Tage - so scheint es - an jeder dritten Straßenecke irgendjemand demonstriert, finden sich zahlreiche Unterstützer der These, die sogenannte Troika, also das Gespann EU, EZB und IWF, sei an allem Schuld.
So sagt dieser Demonstrant, der gegen die Privatisierung der teilstaatlichen griechischen Telekom protestiert:
"Seit eineinhalb Jahren haben wir die Maßnahmen der Troika. Angeblich sollte alles besser werden! Aber wie wir sehen, wachsen die Schulden und die Krise wird immer schlimmer. Deswegen wehren sich die Leute!"
Und dann zeigt er auf sein selbst bedrucktes T-Shirt, mit dem er ganz klar zu erkennen gibt, was er von der Deutschen Telekom hält, die der Regierung in Athen die verbliebenen 16 Prozent ihrer Anteile an der griechischen Telekom abkaufen will:
"Auf meinem Protest-T-Shirt habe ich hier das Logo der Deutschen Telekom, und darunter ein Hakenkreuz. Darunter steht 'Hi Hitler!'. Das ist eine Art Blick in die Zukunft. So wie Hitler Griechenland besetzte, so wird unser Land künftig wieder von Ausländern besetzt werden."