Spitzenkandidaten
Kampf mit Samthandschuhen

Bei dieser Europawahl gibt es erstmals ein Duell zwischen zwei Spitzenkandidaten: Der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz und der Christsoziale Jean-Claude Juncker aus Luxemburg treten gegeneinander an. Doch in vielen Bereichen sind sich die beiden Politiker so nahe wie "Speck und Schweinefleisch".

Von Stephanie Lob | 05.05.2014
    Jean-Claude Juncker und Martin Schulz schütteln sich die Hände
    Herzliche Konkurrenten: Jean-Claude Juncker (links) und Martin Schulz (Bild: EP)
    Martin Schulz gegen Jean-Claude Juncker, Sozialdemokrat gegen Christsozialen, Deutscher gegen Luxemburger, Europa-Parlamentspräsident gegen langjährigen Regierungschef und „Mister Euro“: Bei der Europawahl am 25. Mai läuft alles auf einen Zweikampf hinaus. Erstmals haben die großen Parteiengruppen europaweite Spitzenkandidaten aufgestellt. Weiteres Novum: Die Kandidaten erheben im Fall eines Sieges Anspruch auf das Amt des EU-Kommissionspräsidenten. Sie berufen sich dabei auf die Formulierung des Lissabon-Vertrags, nach der die Staats- und Regierungschefs den Kommissionspräsidenten „im Lichte der Ergebnisse“ der Europawahl unter sich ausmachen sollen.
    Wenn man den Umfragen Glauben schenkt, werden Schulz und Juncker die Sache unter sich ausmachen. Sozial- und Christdemokraten können laut Demoskopen jeweils mit mehr als 200 Sitzen im Europaparlament rechnen, das künftig 751 Abgeordnete zählt. Die anderen europäischen Spitzenkandidaten haben keine wirkliche Chance, die Nachfolge des glücklosen José Manuel Barroso anzutreten: Der belgische Liberale Guy Verhofstadt ebenso wenig wie der griechische Linken-Führer Alexis Tsipras. Ganz zu schweigen von dem grünen Spitzenduo José Bové aus Frankreich und Ska Keller aus Deutschland.
    Eine informelle Große Koalition in Brüssel und Straßburg
    Doch wer auf ein Duell mit harten Bandagen gehofft hat, sieht sich enttäuscht. Schulz und Juncker verbindet mehr als ihnen lieb sein kann. Christ- und Sozialdemokraten stehen sich so nahe wie „Speck und Schweinefleisch“, wie es Juncker in einem Interview formuliert hat. In vielen Bereichen bilden die beiden Parteiengruppen schon jetzt eine informelle Große Koalition. Denn Schwarz-Rot kann im Europaparlament mühelos die absolute Mehrheit erreichen und somit Gesetze verabschieden.
    Was bei der täglichen Arbeit praktisch ist, wird im Wahlkampf zum Problem. Schulz und Juncker, 58 und 59 Jahre alt, entstammen der gleichen Generation überzeugter Nachkriegs-Europäer. Beide kommen aus einem EU-Gründerstaat. Und beide wechseln mühelos vom Deutschen ins Französische und weiter ins Englische. Oder, um es mit Donald Rumsfeld zu sagen: Sie stehen für das „Alte Europa“.
    Martin Schulz und Jean-Claude Juncker im Gespräch
    Schulz und Juncker streiten gern, stehen sich aber thematisch nah (Bild: EP)
    Gegen die Regulierung von Glühbirnen und Ölkännchen
    Auch thematisch stehen sich die beiden Politiker nahe. Schulz wie Juncker sind gegen eine überregulierende EU, die ihren Bürgern von der Glühbirne bis zum Ölkännchen alles vorschreibt. Beide lehnen ein „Spardiktat“ für die südlichen Krisenstaaten ab – eine Spitze gegen die Fürsprecherin der Austerität, Angela Merkel. Juncker wird zudem nicht müde, gegen den Widerstand anderer Konservativer einen europaweiten Mindestlohn zu fordern – ein klassisches Postulat der Sozialdemokratie. Beide sind überzeugt, dass die Jugendarbeitslosigkeit eines der drängendsten Probleme in Europa ist, beide haben sich auf die Fahnen geschrieben, den Vormarsch der Populisten zu stoppen.
    So gleicht das Duell eher einer mit dem Spazierstock ausgetragenen Nickligkeit als einer Fehde mit Handschuh und Florett. Wenn die Zwei sich streiten, wirkt das oft bemüht. So wehrt sich Schulz gegen Junckers Vorwurf, er nutze sein Amt als EU-Parlamentspräsident für den Wahlkampf aus. Juncker weist Schulz‘ Vorwurf zurück, er habe als Ministerpräsident Luxemburgs zu wenig gegen Steuerhinterziehung getan.
    Hintersinn gegen Provokation
    Am deutlichsten unterscheiden sich noch ihre Temperamente. Juncker ist ein Leisesprecher mit hintersinnigem Humor, Schulz gibt sich gerne als Provokateur, wie zuletzt bei seinem Auftritt in der Knesset in Jerusalem – eine Rolle, der er seit seinem Zusammenstoß mit dem Italiener Silvio Berlusconi im Jahr 2003 seine Bekanntheit verdankt.
    Wenn sich Juncker und Schulz am 8. Mai im ZDF und ORF ein Fernseh-Duell liefern – auch das eine europaweite Premiere – dürften sie es schwer haben, die Unterschiede in ihren Standpunkten deutlich zu machen. Ganz ähnlich wie Angela Merkel und Peer Steinbrück vor der Bundestagswahl im vergangenen Jahr.
    Aber ein Gutes hat so viel Harmonie doch: Womöglich kommen nach dem 25. Mai beide zum Zug: Schulz als neuer Kommissionspräsident, so er eine Mehrheit im Parlament hinter sich scharen kann. Und Juncker als neuer EU-Ratspräsident. Denn auch dieses Amt wird im Herbst vakant, wenn der Belgier Herman Van Rompuy nach zweieinhalb Jahren aufhört. Juncker wäre dafür ein naheliegender Kandidat – schließlich war er schon einmal für den Posten im Gespräch.