Sie ist eine der wenigen Frauen in der Spitzengastronomie. Bekannt ist Léa Linster auch als Fernsehköchin und Kolumnistin. Aus ihren Rezepten macht sie kein Geheimnis, auch nicht aus der Zubereitung des Lammrückens mit Kartoffelkruste, mit dem sie 1989 die höchste internationale Auszeichnung gewonnen hat, den Bocuse d’Or – als erste und bislang einzige Frau. Das Gewinnergericht von damals steht noch heute auf der Speisekarte des Sternerestaurants in Frisange, einem Dorf nahe der französischen Grenze.
1955 geboren, hat Léa Linster schon als Kind viel Zeit in der Küche verbracht und früh ihr Talent als Köchin bewiesen. Das Lokal ist seit über 100 Jahren im Familienbesitz der Linsters und wird es auch bleiben: Sohn Louis hat die Geschäfte und die Küche übernommen. Katrin Michaelsen hat Léa Linster in Luxemburg getroffen.
Léa Linster: Ich hätte nicht gewollt, dass einer gesagt hätte: "Wer nichts wird, wird Wirt." Das hätte mich immer schwer beleidigt.
Katrin Michaelsen: Vor mir sitzt eine Luxemburgerin, eine ausgezeichnete Spitzenköchin, eine Unternehmerin. Herzlichen Dank, Léa Linster, dass Sie sich die Zeit nehmen für unser Gespräch!
Linster: Meine große Freude, dass Sie bis nach Luxemburg gekommen sind. Das macht mich ganz froh. Danke!
Ein Faible für Butter
Michaelsen: Ich möchte zuerst mit Ihnen über Butter reden.
Linster: Oh ja!
Michaelsen: Butter gehört ja zu Ihren Lieblingszutaten, besonders die luxemburgische, Buerre Rose. Warum gerade Butter?
Linster: Also die Butter liebe ich schon seit immer, das ist eine ganz, ganz alte Liebe zwischen ihr und mir. Ich habe früher gerne Sahne gekostet – das habe ich nicht mehr so gern, weil die ist nicht mehr so gut. Aber ich bin so froh, dass unsere Butter noch immer so gut ist.
Michaelsen: Was zeichnet die luxemburgische Butter aus?
Linster: Ja, sie ist wie echte Butter, wie richtige, wo noch nicht so viel dran rumgetan worden ist. Es ist eine normale Butter, aber mit einer Kultur. Also es ist nicht nur … Man kann ja selber Butter machen. Also das kennt ja jeder, wenn er Sahne schlägt und sagt, schlag jetzt nicht so viel, sonst wird das Butter – das ist ein sehr interessanter Punkt, wo die Sahne zu Butter wird, das sollte jeder doch mal versuchen. Aber die ist fade, diese Butter. Butter braucht so eine Kultur. Und unsere Butter schmeckt hervorragend. Also sie hat nicht diesen Geschmack von diesen natürlichen Buttern, die so vom Bauern gemacht sind, die sind etwas deftiger, aber sie hat sehr wenig Wasser auch, und das macht sie auch so hochwertig, wenn man damit kocht und backt.
Michaelsen: Es gibt ja Leute, die würden sich nie Butter aufs Brot streichen, weil sie tierische Produkte und tierische Fette als ungesund ablehnen. Bedauern Sie diese Leute?
Linster: Nein, nein, das ist ja neuartig so und die dürfen das gerne machen. Ich mache mir auch keine drauf, wenn sie nicht wirklich gut ist, also wenn schon, dann muss es was ganz Echtes sein. Ich habe aber auch ein Verständnis dafür, wenn man das nicht will. Aber wenn man sich deswegen eine miserable Margarine draufschmiert, das ist keine Option. Also man muss weder Brot noch Butter essen, es gibt ganz viele andere Sachen. Wenn die Kühe gut gehalten sind und alles, wenn das richtig gemacht ist, also wenn sie richtig gut ist, dann streiche ich sie gut dick drauf.
Ein Leben in der Gastronomie
Michaelsen: Gut dick draufgestrichen. Schmeckt das dann auch nach Kindheit?
Linster: Absolut, ja. Das schmeckt nach Kindheit, nach Freude, nach Sorglosigkeit, nicht zu große Verantwortung tragen, außer für sich selber, und das gefällt mir sehr gut. Aber da kommen auch all diese Bilder. Ich bin ja in der Gastronomie groß geworden, daher ja auch.
Linster: Ja, also ich bin in Differdingen geboren, aber dann haben die mich sofort nach Frisange genommen. Differdinden, das wäre nichts geworden. Das war zwar eine Stadt und Frisange war kaum ein Dorf, das war nur eine Kreuzung – und dort bin ich aufgewachsen, mit viel Neugierde und Fantasie. Und es hat bei uns immer sehr gut gerochen, außer morgens früh. Es gab kein Frühstück, wir haben nie gefrühstückt, weil die Eltern, die waren ja müde, abends war das Lokal spät auf. Und dann morgens, dieser Geruch von der Theke – das wurde zwar abends geputzt alles, vom Bier, diese Zapfanlage und so und auch die Aschenbecher, aber ich hatte ja so eine sehr gute Nase und konnte das alles riechen. Also Bier- und Zigarettengeruch, wenn ich den gerochen habe, wusste ich, jetzt bin ich zu Hause, morgens. Aber den habe ich nicht geliebt, aber das dann umso mehr, wenn die Mutter anfing, zu kochen. Das hat wunderbar geduftet in ihrer Küche, immer. Es gab nichts, was schlecht roch, außer vielleicht, wenn sie Artischocken garte, und, wie bei jedem, Chuffleur, also Blumenkohl. Aber dafür kann keiner was. Dann bin ich nicht gerne in die Küche gegangen.
Michaelsen: Was für eine Familie waren die Linsters?
Linster: Ja, also wir waren zwar eine echte Familie, aber sie hätte auch zusammengewürfelt sein können, so eine Patchwork, also von der Mentalität her ein bisschen patchworkig, aber wir waren eine echte. Der Vater war ein großer Künstler, ein Lebenskünstler, und der hatte enorme Talente und der hat mich eigentlich alles gelehrt, und die anderen auch. Also mein Bruder ist ja Musiker, hat der vom Vater, die Schwester ist Künstlerin, hat sie vom Vater, ich bin Köchin, habe ich vom Vater und der Mutter. Immerhin brauchst du da auch das Durchhaltevermögen der Mama. Und meine kleine Schwester, die ist dann noch acht Jahre jünger wie ich, die war normal.
"Ich war 14, und ich habe das Bankett allein gekocht"
Michaelsen: Was heißt normal?
Linster: Ja, die hat dann ihre Schule gemacht und danach beim Staat gearbeitet oder so.
Michaelsen: Sie sagen, Sie haben vom Vater viel gelernt, Sie haben vom Vater auch das Kochen gelernt. Wenn Ihr Vater wollte, dass Sie ihm beim Kochen helfen, was hat er dann gerufen?
Linster: Nee, nee, er hat eigentlich immer nur, wie heute auch noch, … Die Männer kochen nur, wenn es drauf ankommt, wenn es um die Kunst geht, wenn es um Komplimente geht, wenn es darum geht, zu zeigen, was man doch für eine tolle Persönlichkeit ist. Die Frau, die kocht, damit alle tagtäglich was zu essen haben. So war es auch ein bisschen. Die Mutter hat gekocht, auch fürs Geschäft, aber er war so eine Art künstlerischer Direktor, er hat gesagt, was gemacht wird und wie. Und wenn es mal was war, was nur er konnte – er war ja Konditor in jungen Jahren –, dann hat meine Mutter gesagt: Geh, sag, dein Vater soll das jetzt endlich machen. Und dann habe ich gesagt: Ja, komm, wir machen das doch. Und er hatte, als ich klein war, mir immer gesagt, wenn ich sagte, das da kann ich auch schon, ich war vorlaut, dann habe ich gesagt, das ist gar nichts, ich kann das auch schon, dann sagte er, nein, mein Kindchen, das kannst du nicht. Dafür musst du das und das und das und so und so machen und so weiter. Dann hat er mir das Ganze erzählt und wusste genau, dass ich es heimlich nachmachen würde. Und das hat immer gut geklappt. Und wenn ich dann mit so einem Resultat kam, dann hat er gesagt: Ah, jetzt ist das schon besser, als ich das machen kann! Ab jetzt kannst du das auch immer machen. Und so kam ich ganz jung da rein.
Also ich habe, glaube ich, das erste Essen gekocht - ich weiß noch heute, das war fürs Olympische Komitee, die haben da eine Sitzung gehabt und sind danach zu uns essen gekommen, und ich weiß noch heute, was es war. Und ich war 14, und ich habe das Bankett allein gekocht. Ja, und das war super, mit Coq au vin.
Michaelsen: Mit Coq au vin?
Linster: Ja.
Michaelsen: Und weil Ihr Vater es Ihnen zugetraut hat.
Linster: Ja, ja, man hat sich damals nicht so viele Sorgen gemacht, das geht schon. Die kommt ja da aus der gleichen Familie, also kann sie das auch. Und ich war immer angeberisch, ich habe immer gesagt, mache ich mit links. Er wusste, dass er mir auch vertrauen konnte, nach 14 Jahren kennen die dich ja schon plus minus da. Und das hat sehr gut geklappt. Aber ich habe nachher gesagt: Sag nur nicht, dass ich gekocht habe, sonst zahlen die Leute vielleicht nur die Hälfte vom Preis.
Jura-Studium für das Worst-Case-Szenario
Michaelsen: Sie sind dann ja aber nicht sofort in den elterlichen Betrieb eingestiegen, sondern Sie haben erst einmal Jura studiert. War das damals Ihre Idee?
Linster: Ja, ja. Also ich hatte zu der Zeit einen sehr, sehr guten Freund, ich habe mich gerne umgeben so mit Leuten, von denen ich lernen konnte, und es war ein sehr lieber Freund und der war Notar. Und dann hieß es, ja, was studierst du denn jetzt? Und dann sage ich, ach, dann mache ich auch so ein bisschen Juristerei. Aber er wusste, dass ich das nur halbherzig machen würde, weil der hatte auch in mir erkannt, dass ich Köchin werden wollte, also dass das mit lag. Ich habe immer alle bekocht, und so wussten meine Freunde, wie gut ich kochen konnte. Und dann habe ich das tatsächlich gemacht auch, weil hier in Luxemburg, das war ja dann in den Siebzigern, sind die Banken aufgegangen und dann habe ich mir gedacht, also im Worst-Case-Szenario könnte ich dann ja auch noch so was machen, und dann wäre es gut, wenn ich irgendwo so ein Diplom hätte, Jura. Und nachher haben die Leute mich ja immer gefragt, warum ich überhaupt noch studiert habe. Ich hätte nicht gewollt, dass einer gesagt hätte: "Wer nichts wird, wird Wirt." Das hätte mich immer schwer beleidigt. Es war meine Entscheidung, es war keine Lösung. Ich hätte alles machen können, aber ich wollte das da machen.
Michaelsen: In Ihrem Leben gab es einen Wendepunkt, als Ihr Vater 1981 gestorben ist. Wie stark hat der Tod die Familie damals getroffen, der Tod des Vaters?
Linster: Ja, wir waren ja ein bisschen darauf vorbereitet, weil wir waren das gar nicht gewohnt, dass der krank war. Also das ist auch das Einzige, was er mir nicht wirklich beigebracht hat, diese Barmherzigkeit Leuten gegenüber, die schwächer waren oder krank waren. Das habe ich dann schnell nachgeholt, als er nicht mehr da war. Das hat mir dann ein bisschen gefehlt oder leid getan. Aber in so einem Geschäft geht das ein bisschen anders als privat. Also das Geschäft lief weiter. Und ich habe von einem Tag auf den anderen dann das Geschäft übernommen.
Michaelsen: Das heißt, es gab nicht viel Zeit, zu trauern?
Linster: Nein. Aber jeder darf in seinem Herzen trauern, so viel er will. Es war keine Trauer, die man so nach außen getragen hätte oder gesagt hätte, jetzt machen wir hier mal drei Wochen zu, jetzt sind wir hier in tiefster Trauer. Nein, so war das nicht. Und das wäre auch gegen seinen Wunsch gewesen. Ich habe ihm für sein Begräbnis ein Hochzeitsessen gekocht, kein Begräbnisessen. Es war fantastisch, ja. Und am Tag danach konnte ich spüren, dass ich all seine Kraft hatte, und ich hatte niemals Angst, das Geschäft zu übernehmen – und bis heute noch: Er ist immer dabei.
Michaelsen: Er ist immer dabei.
Linster: Ja. Er hat mir ja alles beigebracht, dieses Kochen, dieses Fröhlich-Sein, Die-Menschen-froh-Machen, das habe ich von ihm. Und das ist mir alles wert.
"Wenn ich was mache, muss ich das richtig machen"
Michaelsen: Sie haben dann die Jurabücher zugeklappt, die Kochbücher aufgeschlagen beziehungsweise sich daran erinnert, was Ihr Vater Ihnen beigebracht hat. Sie waren Mitte 20 und plötzlich Chefin, und alles änderte sich bei den Linsters in Frisange. Wieso eigentlich haben Sie so dieses Tempo vorgelegt und aus dem Lokal ein Sternerestaurant gemacht?
Linster: Oh, das habe ich ja nicht wirklich gemacht, das haben ja die Gäste gemacht und Guide Michelin. Das war ganz lustig: Ich hatte als kleines Mädchen einmal … Da gab es so eine Begegnung, wo mein Vater so was Komisches sagte, und dann habe ich ihm gesagt, wenn ich einmal dieses Haus übernehme – also als kleines Mädchen, ich glaube, so acht, neun Jahre alt –, ich glaube, ich brauche genau fünf Jahre, um einen Stern da reinzumachen – wobei ich zu der Zeit nicht mal wusste, was ein Stern genau darstellen würde. Aber es gab in Luxemburg eine Frau, die hieß Hélène Hiertz, und die hatte zwei Sterne. Das höchste Level in Luxemburg, zwei Sterne, war von einer Frau. Das hat mich fasziniert. Und dann habe ich meinem Vater gesagt: Wann ist man berühmt? Dann hat mein Vater gesagt: Wenn jeder dich kennt, auch die, die dich noch nie gesehen haben und die noch nie bei dir getankt haben. Ja, aber das wollte ich. Und dann, na ja, wenn ich was mache, muss ich das richtig machen, denn wenn das zu schleppend wird, besteht die Chance, dass man vergisst, was das Ziel war. Also wenn das Ziel erkannt ist, lasse ich mich gerne magisch davon anziehen und gehe voll drauf los.
Michaelsen: Das Ziel war erkannt, aber wie schwierig war es damals, ein Team zusammenzustellen, das Ihren Weg mitgeht?
Linster: Oh ja.
Mit talentierten Frauen zum Erfolg
Michaelsen: Sie waren ja eine sehr, sehr junge Frau mit Mitte 20.
Linster: Ja, ja, und ich wusste auch relativ früh – also so naiv war ich nicht, wenn man aus einem Geschäft kommt, ist man nicht naiv –, ich wusste, die wären nicht bereit, unter so einer jungen Frau zu arbeiten, die weniger lange öffentlich in einem Restaurant gearbeitet hat als die, und die hatten Diplome. Übrigens habe ich die Diplome ja alle auch … In vier Monaten hatte ich alles nachgeholt und dann später auch die Meisterprüfung, habe alles gemacht, damit keiner mir sagen kann, ach, Sie dürfen hier nicht oder so. Das hätte mich sehr gestört. Und dann habe ich gedacht, ja, also ist ein bisschen schwierig, so Köche zusammenzukriegen. Das erste ist eh ein Spüljunge, den man sucht, oder ein Spülmädchen. Also es fing immer … Über die Spüle ging das dann sehr gut, und dann kamen Portugiesinnen – und die hatte ich so gern. Die konnten kochen, hatten ein gutes Gefühl für Essen, für Lebensmittel, die haben alle nie in der Gastronomie gearbeitet, aber konnten alle kochen. Und dann habe ich, es ist so schön, den ersten Stern habe ich tatsächlich mit diesen Mädchen gemacht, und alle fingen Sie in der Spüle an, bekamen aber schon einen Monat später ein Upgrade, dann waren sie schon beim Gemüse, und dann habe ich ihnen das beigebracht. Und wo ich ganz stolz drauf bin: Drei oder vier von denen wurden nachher Köchinnen in Botschaften. Also in all diesen südländischen Botschaften waren die dann ganz toll unterwegs.
Michaelsen: Okay! Aber Akzeptanzprobleme, kannten Sie die damals? Mussten Sie sich auf eine bestimmte Art durchsetzen, durchsetzen lernen?
Linster: Ja, das muss man eh, das eh. Also wenn du als Frau so daherkommst und dann auch noch so tüchtig tust und damit auch noch Erfolg hast und das funktioniert, dann macht man sich nicht nur Freunde. Ja, das war natürlich ein bisschen schade, aber auf der anderen Seite ist es ja auch ein Ansporn. Also wenn die anderen dir sagen, das da schaffst du nie – dann aber mal gerade, dann aber mal erst richtig, dann richtig ran. Habe ich gesagt, ich möchte jetzt dieses oder jenes machen – ah ja? Und ich bekam immer so drosselnde Antworten. Dann habe ich mir gedacht, das hat auch mein Vater mir schon früher beigebracht: Wenn du einen etwas fragst, er wird dir immer eine Antwort geben in seinem Interesse, nicht in deinem Interesse, denk daran, Kindchen. Ja, habe ich immer dran gedacht. Hat mich manchmal wütend gemacht, aber diese ganze Sache hat auch meinen Stil ausgemacht. Einen gutem Chef musst du mehr bezahlen, und für mein gutes Geld war es viel einfacher, ein besseres Rinderfilet zu bekommen oder ein besseres Lamm oder einen besseren Fisch als einen guten Koch für das gleiche Geld. Und dann habe ich gedacht: Ich investiere dann lieber in tolle Lebensmittel und spare mir dann den Koch, mit dem ich da eh immer streiten müsste, weil ich mache das gerne so in einer Begeisterung, in einer Freude, mit Leidenschaft, und wenn du dann andauernd so rumknatschen musst, das drosselt das Ganze. Wollte ich nicht.
"Du musst konkurrenzlos bleiben"
Linster: Das Beste ist, um der Eifersucht anderer zu entgehen: Du musst konkurrenzlos bleiben. Du musst insofern konkurrenzlos sein, dass du etwas machst, wo andere überhaupt nie mal dran gedacht haben oder wo es gar nicht um die geht. Ich bin ja eine Frau, also die anderen sind schon mal alle Männer, also können sie sich schon nicht direkt mit mir vergleichen.
Michaelsen: Was gab es denn bei Ihren Eltern zu Weihnachten? Was haben Ihre Eltern früher aufgetischt?
Linster: Ah, also wir haben immer diesen Truthahn gegessen. Was die Amerikaner für Thanksgiving essen, das haben wir an Weihnachten, es war immer diese Dinde (Anm. Red. das französische Wort für Truthahn), also auf Französisch Dinde, und die gab es mit einer exzellenten Soße, wo natürlich auch Wein drin war und so, und die habe ich sehr, sehr geliebt. Ich habe das auch beibehalten nachher im Restaurant und habe immer Truthahn gemacht, aber weil man es nur einmal im Jahr macht, habe ich immer … Wie habe ich die denn letztes Jahr gemacht? Und dann war ich unsicher und dann habe ich das ein bisschen geändert, dann haben die Leute immer gesagt, also man hat ja an Weihnachten oft klassische Gäste, haben gesagt: Ist noch was besser als letztes Jahr. Ach, da war ich zufrieden. Ja. Aber diesen Truthahn, dieses Geflügel an Weihnachten war ganz typisch bei uns.
Michaelsen: Und wie sieht es jetzt aus Weihnachten? Was darf bei Léa Linster am Weihnachtsabend auf keinen Fall fehlen?
Linster: Ein guter Wein. Ich trinke so gern richtig guten Rotwein, ja, der versetzt einen in so eine tolle Stimmung und macht einem nicht mal den Magen sauer. Das liebe ich sehr. Also was bei mir nicht fehlt, ist halt dieses sehr gute Geflügel, und am Allerliebsten mit ein bisschen Trüffel, oh, ich liebe das. Ich bin auch sehr stolz darauf. Louis hat das ja auch relativ schnell erkannt, der hat mit 14 das erste Weihnachtsessen für uns gekocht.
Michaelsen: Louis ist Ihr Sohn.
Linster: Mein Sohn, ja, pardon. Und dann gab es Risotto mit Trüffel und danach gab es aber damals, glaube ich, Rehrücken mit einer exzellenten Soße. Die hat er sich allerdings von unserer Küche machen lassen. Ja.
"Ich gebe mir Mühe, ein richtiges Huhn zu finden"
Michaelsen: Ich habe einen Satz in einem Ihrer Bücher gefunden, da schreiben Sie: "Das Huhn ist mein bester Freund, weil man es so gut kochen kann." Das ist jetzt ja gerade kein besonders inniges Verhältnis, sondern ein sehr nutzenorientiertes, freundschaftliches Verhältnis.
Linster: Nein, nein, so ein Verhältnis kenne ich überhaupt nicht, entweder, ich liebe es, oder ich liebe es nicht. Was einer dem anderen bringen kann, das ist eine Win-win-Situation, und das liebe ich sehr. Also es gibt bei mir nicht mehr so oft Fleisch, das gebe ich gerne zu, aber wenn es Fleisch gibt, gibt es das beste. Und zwar gebe ich mir Mühe, ein richtiges Huhn zu finden, und danach gebe ich diesem Huhn meine ganze Liebe und meine ganze Kochkunst, damit es auch so rüberkommt, wie wir beide davon geträumt haben.
Michaelsen: Wir müssen unbedingt über das Jahr 1989 sprechen, das war für Sie sowohl beruflich als auch privat ein ganz entscheidendes Jahr. Sie haben den Bocuse d’Or gewonnen, die höchste internationale Auszeichnung der Spitzengastronomie, die Goldmedaille eines internationalen Kochwettbewerbs als erste Frau überhaupt, mit 33 Jahren, und Sie haben im Jahr 1989 erfahren, dass Sie schwanger sind, dass Sie Mutter werden sollen. Wenn Sie sich heute an dieses Jahr zurückerinnern, welches Gefühl überwog da? Euphorie oder totale Panik?
Spitzenköchin und Mutter
Linster: Nein, nein, also das war ein total euphorisches Jahr. Also es war ja nicht ein, sondern der ultimative Wettbewerb überhaupt, und dass das so kam, da war ich natürlich in einem euphorischen Zustand. Louis war drei Monate alt, bevor ich wusste, dass ich schwanger sei – und dann zuerst mal ein kleiner Schock. Ja, weil es war ja so schön: Ich war die einzige Frau, die das gewonnen hatte und hatte ein Restaurant mit Stern und hatte dort das Sagen und die Macht und konnte die ambience, alles so schaffen, wie ich wollte – und dann dachte ich, oh, oh, jetzt ändert sich das, jetzt bist du nicht mehr dieses Mädchen, die das alles kann, jetzt bist du eine Frau. Ich war 33, war 34 geworden da, und Louis kam dann 90 zur Welt im August, sodass ich 35 war, als er dann geboren war. Das Allerwichtigste war, dass ich nichts ändern musste: Ich war fest in meiner Position. Wirtschaftlich konnte ich mir das absolut leisten – und moralisch dann auch. Also am Anfang war es ein bisschen schwer, aber nur die ersten paar Tage, danach habe ich mich an den Gedanken gewöhnt. Und dann hat man mir gesagt, dass es ein Junge sei, und von dem Tag an, wo ich wusste, es sei ein Junge, waren wir schon ein Team. Das war ganz toll. Da habe ich mich sehr, sehr drüber gefreut, ja.
Michaelsen: Aber Sie standen unter großer internationaler Beobachtung. Sie hatten Höchstleistungen geboten, wahrscheinlich, wie ich Sie verstehe, wollten Sie weiter Höchstleistungen bieten und hatten ein kleines Kind an Ihrer Seite.
Linster: Ja, und die hübscheste von all meinen Portugiesinnen, da war eine so sanft wie ein Engel dabei, ein wunderschönes Mädchen, ganz sanft, die wurde vom ersten Tag an Louis‘ Nounou. Und das war eine großartige Entscheidung. Die hat meine Arbeit gekannt, die hat ja mit mir gearbeitet, hat meine Arbeit genau gekannt, und sie hatte diese wunderbare sanfte Liebe mit Louis. Und das war so schön. Dann hat sie immer gesagt, Chef, der Louis braucht jetzt mal eine kleine … der muss jetzt ein bisschen umsorgt werden hier, haben Sie Zeit oder soll ich das machen? Die hat nie … Also wenn Sie wussten, ja, jetzt kann die Chefin das gut machen, dann hat sie mich gerufen. Das war ganz toll. Wir sind wunderbar zusammen gefahren. Und Louis, der hat niemals irgendwo so einen Mangel gehabt, zu der Zeit jedenfalls, nicht, dass ich dachte. Der war ein sehr geliebtes Kind. Ich war immer da. Ich habe niemals gesagt, ich habe keine Zeit jetzt für dich, ich habe immer nur gesagt, ich mache jetzt das noch, danach bin ich nur noch für dich da. Ja. Aber wichtig war, dass ich nicht eifersüchtig auf diese Elsa war.
"Meine Situation war außergewöhnlich"
Michaelsen: Ich möchte noch mal beim Jahr 1989 bleiben, das für Sie ja so viele Umbrüche bedeutet hat. Da war ja auch in Deutschland und in Europa einiges los, Fall der Mauer, die politischen Umwälzungen in Europa.
Linster: Ah, ja! Ja, ja!
Michaelsen: Hatten Sie bei dem, was bei Ihnen privat und in der Küche los war, überhaupt noch Antennen für diese Umwälzungen um Sie herum?
Linster: Ja, ja, ich habe das toll gefunden, denn dass ich als Frau gewonnen hatte, war ja der Anfang, das war ja eine Umwälzung, alle haben das als eine Revolution gesehen, das ist außergewöhnlich, dass es das überhaupt gibt in dieser Männerdomäne und so. Und dann, als ich hörte, dass die Mauer dann fiel, habe ich gedacht, ah, jetzt bin ich nicht allein, jetzt kommen noch ein paar Sachen, wo ganz viele nie daran geglaubt haben. Und das hat mir sehr gut gefallen in dem Jahr, das war ein wunderbares Jahr.
Michaelsen: Sie haben den Anfang gemacht quasi.
Linster: Ja, fast. Ja. Das hat mir sehr gut gefallen. Und ich konnte auch diese Freude dieser Leute sehr gut verstehen. Wenn so was in Erfüllung geht, da kommt eine euphorische Freude auf, die man vorher gar nicht gekannt hat. Viele hätten ja gesagt, das ist jetzt übertrieben so, aber das Übertreiben an Leidenschaft und an Freude konnte ich verstehen. Ich hatte das ja auch.
Michaelsen: Ja. Sie haben erzählt, dass Sie Unterstützung hatten für ihren Sohn Louis. Aber nichts desto trotz waren Sie eine alleinerziehende Mutter, eine alleinerziehende Spitzenköchin. Mussten Sie sich nach außen hin für diesen Lebensentwurf mal rechtfertigen?
Linster: Nein, ich war sehr froh, ich hatte ja bis dahin schon ein paar Sachen gemacht, die außergewöhnlich waren. Ich habe 1987 mal direkt nach fünf Jahren, wie vorgesehen, einen Stern bekommen, zwei Jahre später den großen Preis, dann den Louis, Louis hat alles getoppt, das muss ich schon sagen, so, und dann den Louis. Und dann habe ich das auf meine Art und Weise gemacht. Es war ja gar keiner da, auf den ich hätte gucken können, und man konnte mich nicht so schnell vergleichen mit jemandem. Meine Situation war außergewöhnlich. Und ich hatte schon immer gedacht, das Beste ist, um der Eifersucht anderer zu entgehen, ist: Du musst konkurrenzlos bleiben. Du musst insofern konkurrenzlos sein, dass du etwas machst, wo andere überhaupt nie dran gedacht haben oder wo es gar nicht um die geht. Ich bin ja eine Frau, also die anderen sind schon mal alle Männer, also können sie sich schon nicht direkt mit mir vergleichen. Und damit bin ich immer sehr gut gefahren. Ich habe gemacht, wie ich das verantworten konnte, natürlich ein bisschen auf meine Art und Weise, ein bisschen verrückt muss es schon sein, und stand aber dann immer voll dazu. Ich war sehr, sehr glücklich, dass ich solche Entscheidungen treffen konnte und danach dann aber auch die Verantwortung dafür übernehmen konnte, es voll durchzuziehen. Und das war ein Zug, den habe ich früher nicht so gekannt, davor hatte ich ein bisschen Angst, aber ich war so glücklich, dass ich das konnte. Das hat mich sehr kräftig gemacht.
"Macht schön Komplimente, dann wird es noch besser"
Michaelsen: Und wie muss ich Sie mir in der Küche vorstellen? Sind Sie so ein Kontrollfreak, der jeden Arbeitsschritt bis ins letzte Detail beobachtet? Oder lassen Sie auch mal lange Leine?
Linster: Ja, ja, ja, also ich gebe gerne ein bisschen Leine, gerade dahin, wo … Damals habe ich ja mit diesen Leuten da gearbeitet und die haben ja manchmal an sich ein bisschen gezweifelt, und mein Vertrauen in die hat die selbst immer zu Höchstform auflaufen lassen. Das habe ich sehr, sehr, sehr geliebt. Deswegen sage ich auch immer den Leuten: Macht schön Komplimente, dann wird es noch besser. Und das stimmt. Also immer das Negative rauskehren bringt nicht viel. Und ich habe auch während des Service da sehr schnell rausgefunden oder ich wusste das schon von früher: Wenn du anfängst zu nörgeln, wird es von da noch schlimmer, weil dann zerstörst du die Kraft der anderen. Die gehen ja auch mit gewissen Impulsen da ran und dann machst du die fertig: Während des Service ist das ein No-Go für mich.
Michaelsen: Also wird nie in der Küche geschrien, auch mal mit Töpfen geschmissen?
Linster: Nein, nein.
Michaelsen: Also das ist ja so ein bisschen das Klischee, dass es in der Spitzengastronomie hart zugeht.
Linster: Ja, ja, sehr hart, und dann brüllen die da und schreien aus Angst, alle, die Angst haben, dann schreit man. Ist mir auch manchmal vorgekommen. Dann habe ich gedacht, wie peinlich, wie blöd ist das denn? Jetzt hast du hier alles, was du haben willst, und brüllst hier so rum? Ja, also dann brüllen wir jetzt nicht mehr, fertig. Das bringe ich auch fertig, so was zu machen, zu sagen, brüllen ist jetzt richtig blöd, jetzt mal nicht. Und wenn das schiefgeht, pass halt vorher ein bisschen besser auf. Aber das hat alles dazu beigetragen, dass mein Stil so gut wurde. Ich hatte gute Lebensmittel, perfekt, und ich habe allerdings auch das Risiko rausgeholt, dass die Leute mir das Falsche bestellten, denn das ist ja so schlimm, wenn du die Gäste liebst, die kommen ja in dein Haus und du brauchst die für deine Existenz und für alles, und dann bestellen die dir was Komisches und dann hasst du sie. Nein, so geht es nicht. Dann habe ich mal all die Sachen, die mich nervös gemacht haben, habe ich mal alle rausgeholt.
Die braucht man nicht. Wieso soll ich etwas auf meiner Menükarte stehen haben, was uns allen Angst einjagt? Nimm das mal weg, oder wenigstens das, was Angst macht, alles, was Angst machte, wurde gestrichen. Neun Jahre später habe ich einen Koch, ich habe mir einen Sous Chef genommen, weil es wurde gefährlich, wenn ich etwas sagte, dass das gegen mich verwendet werden konnte. Und dann habe ich immer, wenn dann einer mal eine kleine Lektion bekommen musste, meinem Chef das gesagt und der hat das vermittelt, und das lief einwandfrei. Also direkt vom Chef zum Angestellten, ja, das kann manchmal hart werden oder fehlinterpretiert werden, aber so von Angestelltem ein bisschen höher zum anderen Angestellten, das hat geklappt. Also das war auch ein … Auf der einen Seite habe ich ein bisschen Macht abgegeben, aber es hat sich gelohnt.
Michaelsen: Bei Ihnen hat wirklich vieles geklappt im Leben.
Linster: Ich hatte das gelernt von wegen, zeig dich nur, wenn du gut aussiehst.
Aus Fehlern lernen
Michaelsen: Aber es gab auch schwierige Momente, es gab auch düstere Phasen.
Linster: Ja.
Michaelsen: Die Solvenz Ihres Bistros im Bahnhof, war das eine Phase, wo Sie sagen, das war die schlimmste in meinem Leben?
Linster: Nein.
Michaelsen: Nein.
Linster: Nein, nein, nein. Also zu der Zeit habe ich sie als das Schlimmste empfunden, da habe ich gedacht, wie blöd muss man sein, dass man sich auch noch so was zumutet. Aber im Nachhinein ist das alles sehr positiv ausgegangen. Das war das Bahnhofslokal in der Stadt, und ich hatte diesen Spleen von den Eltern ein bisschen, die sind immer nach Metz gegangen – das Bahnhofslokal, das hieß "Terminus", in Metz hatte einen Stern. Und das hat mich fasziniert, dass etwas auf so einer komischen … also in einem Bahnhof, dass man da einen Stern haben kann. Das ist ja außergewöhnlich. Aber darin lag die Faszination für mich in einem gewissen Sinne. Und dann waren sie in der Stadt mir gegenüber gar nicht so aufgeschlossen, wie ich das dachte, weil in Frisange machst du niemandem einen Schatten, wenn du da ein gastronomisches Lokal hast, aber in der Stadt, da gibt es dann die Konkurrenz, da wurde es dann businessmäßig gehandelt. Ja, aber im Endeffekt lag mir mehr an Frisange. Und zu der Zeit war ich dann so enttäuscht, aber im Nachhinein hatte ich erkannt, nur durch die Eröffnung dieses Lokals kam ich in die Presse, Alfred Biolek hatte ich eingeladen, um das Lokal zu eröffnen, der ist gekommen und ich bin ihm noch heute unendlich dankbar dafür. Die deutsche Presse war dann gleich hinten dran. Und so wurde ich dann in Deutschland bekannt, über diesen Bahnhof. Also was das Schlimmste war, war auch das Beste im Endeffekt, und das war mir eine sehr gute Lektion.
Linster: Europa ist für mich wie eine wunderbare, schöne und ganz leckere Hochzeitstorte, so eine mehrstöckige, aber immer steht irgendwo einer, der sagt, zu viel Butter, zu viel Zucker. Ja, also immer wird alles so bemängelt, anstatt dass wir einfach uns an dem freuen, was wir gerne haben.
Kochen für die Politik
Michaelsen: Wurde in Ihrem Restaurant auch mal Politik gemacht?
Linster: Viel. Die besten Entscheidungen wurden immer getroffen beim guten Essen früher. Man kann spüren, dass sie nicht mehr so gut essen wie früher, gell? Ja. Aber ich hatte ja auch ein paar Politiker oder so Staatsmänner, berühmte Leute, die gekommen sind. Ich kann mich immer erinnern, damals gab es ja auch noch bei uns, ich glaube, es gibt die noch, aber die war viel besser dran, wir hatten hier einen unwahrscheinlichen Mann, der hieß René Urbany, und der war der Chef von der kommunistischen Partei. Kein Mensch konnte so schön sprechen und reden und auch so gescheit wie er. Ich habe das an ihm geliebt. Und der hat mir einmal Boris Jelzin gebracht. War toll, 1986, das war sogar vor meinen großen Dingen. War schön!
Michaelsen: Wissen Sie noch, was Sie ihm aufgetischt haben?
Linster: Ja, ich habe denen natürlich Menu Degustation verkauft, also ein richtig schönes Menü, weil der ging danach wieder zurück nach Russland, und da waren alle froh. Und ich habe danach gesagt: Ach, es hat mich sehr gefreut. Es ist was am Kommunismus dran: Die Bodyguards und die Chauffeure haben alle das große Menü essen dürfen und nicht Sandwiches vor der Tür. Ja, das war toll.
Michaelsen: Gibt es noch jemanden, der bei Ihnen zu Gast war?
Linster: An wen denken Sie?
Michaelsen: Ja, ich frage.
Linster: Ja, Monsieur Genscher war da. Alle, die gerne essen, die Genießer sind und diese ambience zu schätzen wissen, die liebe ich sehr, und ich lasse mich auch gerne von denen anmachen, auch große Chefs, bien sur, sind auch gekommen, das ist ja klar.
Michaelsen: Anmachen im Sinne von …
Linster: Ja, dass ich zur Höchstform auflaufe, das meine ich mit anmachen, also jemand, der mir noch meine Leidenschaft pushen kann, das mag ich sehr. Einmal, als ich Fernsehen machte beim SR gesagt, ich habe gehört, du hast gerne, wenn man dir den roten Teppich legt. Dann habe ich gedacht, was ist das denn? Sage ich, ah ja, hast du aber gut bemerkt. Ja, klar. Aber wissen Sie, was ich noch lieber habe? Ja, was denn? Wenn ich einem den roten Teppich hinlegen will, weil dann laufe ich zur Höchstform auf, wie wenn der Großherzog kommt oder so und die Großherzogin, das liebe ich. Der letzte, der jetzt da war, war unser Erbprinz, der Guillaume, mit dem König von Schweden. Das habe ich sehr geliebt. Aber da war der Louis schon da, da habe ich … Louis, das ist super, da können wir uns so schön drangeben, die Leute wissen, wo die Latte liegt, weil die kriegen in jedem Land das Beste serviert.
Michaelsen: Sind Luxemburgerinnen und Luxemburger prädestinierter für Fragen der europäischen, großen Küche als andere Nationen?
Linster: Wie meinen Sie das?
"Wir sind hier überzeugte Europäer"
Michaelsen: Geht es in Luxemburg kulinarisch angenehmer, besser, leckerer zu als in anderen europäischen Ländern?
Linster: Ah. nein, das hat sich alles jetzt ausgeglichen. Es gibt jetzt überall diese jungen Köche und Köchinnen, die gerne gut kochen, und die Standards sind besser geworden. Früher sind wir ja nicht so gerne nach Skandinavien gegangen, weil die haben uns ja immer gesagt, da gibt es Marmelade zum Steak, dann habe ich gesagt, oh, oh, das ist aber gefährlich, ja, oder so Sachen. Man muss natürlich überall, in allen Ländern muss man heutzutage wissen, wo man ist. Nichts mehr ist so selbstverständlich wie früher, wenn wir nach Frankreich gegangen sind, und wenn es gar nichts gab, gab es ein Baguette und einen guten Camembert. Das war auch so gut, dass dir nichts fehlte dabei, gell? Und in Frankreich ist es nicht mehr selbstverständlich, dass das Essen wirklich gut ist, das hat sich geändert. Und wenn man weiß, wohin man geht, kann man in allen Ländern wunderbar essen. Ich habe sogar sehr, sehr gut gegessen als junges Mädchen in London, in England. Mein Vater hatte mich mitgenommen, der hat mir beigebracht: Kindchen, in London muss man wissen, wo man essen geht, dann isst man fantastisch und in der besten Gesellschaft. So war es auch. Und als ich das erste Mal nach dem Osten gegangen bin, war ich 13, dann hat der gesagt, ich muss mit dir reden. Ich sage, ja, was? Wenn ihr jetzt essen geht, iss immer nur Klöße und diese Braten, die die machen mit der Soße, das können die so gut wie nirgendwo anders auf der ganzen Welt. Bleib weg von all dem anderen.
Michaelsen: Sie haben erzählt, es hat Ihnen in London gut geschmeckt. Bedauern Sie, dass die Briten die Europäische Union verlassen wollen?
Linster: Ja, ich mag das gar nicht, dieses Gestreite geht mir auf die Nerven. Ich finde, jeder findet, sie streiten alle und alles wird bemängelt und die Europäische Union ist nicht gut hier und nicht gut da. Wir waren ja letztlich mit Martin Schulz in Berlin, da habe ich gesagt, Europa ist für mich wie eine wunderbare, schöne und ganz leckere Hochzeitstorte, so eine mehrstöckige, aber immer steht irgendwo einer, der sagt, zu viel Butter, zu viel Zucker. Ja, also immer wird alles so bemängelt, anstatt dass wir einfach uns an dem freuen, was wir gerne haben. Ich glaube, wir haben noch niemals so viel haben können, wie wir wollen, und ich finde Europa wunderbar. Wir sind hier überzeugte Europäer. Und dass man sich diese Frage stellt, habe ich früher immer komisch gefunden, weil wir sind so erzogen worden von dem Vater, er hat gesagt, ihr seid eh Europäer, und wir lernten auch, mit allen Nationen wunderbar zurechtzukommen. Und er hat uns auch beigebracht: Alle haben sie etwas, was wir nicht haben und was wunderbar ist, wenn wir das auch haben können von denen. Lasst ihnen das, die teilen das gerne mit dir. Auch, dass wir hier in Luxemburg viersprachig sind, ist doch ein Segen. Und alles hat seinen Preis ja ein bisschen, wir regen uns auch manchmal darüber auf, dass von Europa aus sich die um alles so kümmern, alles ist so geregelt, das mag ich eigentlich nicht, das geht ein bisschen gegen meine Natur. Aber auf der anderen Seite muss man ja erkennen können: Ein Preis ist immer zu bezahlen. Wichtig ist, dass man selber weiß, was man will. Dann kann man sich das ja aussuchen. Alfred Biolek hat mir was sehr Gescheites beigebracht. Er hat mir gesagt, du kannst alles im Leben haben, was du willst, du musst nur lernen, Prioritäten zu setzen. Wenn du das kannst, kriegst du vielleicht nicht alles zusammen, aber hintereinander schon. Und vielleicht sind ja ein paar Sachen, die du dann nicht mehr willst, wenn du die Prioritäten setzt.
"Verantwortung haben kann ja auch was sehr Schönes sein"
Michaelsen: Prioritäten ist ein gutes Stichwort. Sie haben Prioritäten gesetzt, Sie haben nämlich Ihr Restaurant an Ihren Sohn Louis übergeben. Die Branche ist eine harte Branche geworden. Sie haben auch in der Spitzengastronomie erlebt, wie es Ihnen zugegangen ist. Übergeben Sie in dieser Zeit Ihr Restaurant mit einem hoffnungsvollen Herzen oder mit welchen Gefühlen haben Sie das Restaurant an Ihren Sohn übergeben?
Linster: Sie erwischen mich jetzt gerade bei etwas Außergewöhnlichem. Mein Sohn hat gerade seinen Stern für sich bekommen, und das ist mir die größte Freude, und ich habe die ganze Zeit dafür gebetet, weil ich weiß, wie wichtig das ist. Das ist der beste Ansporn und das nimmt ihn in die richtige Verantwortung. Verantwortung haben kann ja auch was sehr Schönes sein. Dann ist man ja auch nachher der Autor von der Sache. Das sehe ich gerne von der Seite. Also jetzt, als Louis mich 2016 fragte, und ich glaube, er hat schon 2013 angefangen, da hat er mir gesagt, Mutti, ich möchte das Geschäft übernehmen. Ah ja, das ist ja interessant, das habe ich noch nie gedacht – er wurde ja daraufhin erzogen, ein bisschen aber so undercover, niemals offen für ihn, er sollte seine freie Wahl haben. Ich habe damals gesagt, sollte das auch Louis‘ Traum sein, ein Restaurant zu haben, dann werde ich – ich habe einmal auf der Frankfurter Buchmesse 2002 gesagt –, dann werde ich in drei Jahren alles falsch machen, damit alle sagen können, ein Glück, dass der die gerettet hat. Und es ist zwar nicht so hart gekommen, aber ein Teil davon wurde wahr. Und Louis ist jetzt wirklich, dass er mich ablöst, also er übernimmt das Geschäft und gibt mir meine Freiheit wieder. Und ich bin so was von glücklich, dass er ein begnadeter Chef ist und all diese Talente, die ich auch hatte und auch von meinem Vater bekommen hatte, diese guten Gene hat er alle.
Michaelsen: Von außen betrachtet haben Sie auch damals vieles anders gemacht als Ihr Vater. Darf Louis das auch, darf er vieles anders machen als Sie?
Linster: Ja, unbedingt, ja, ja, ja! Also das ist sehr schön, diese Frage liebe ich jetzt. Das ist das, was mich am meisten … wo ich froh darüber bin. Also wenn ich vorhin gesagt habe, Louis hatte eine Nounou und so und ich hatte nicht immer so viel Zeit, dann hatte ich trotzdem immer qualitativ gesehen sehr viel Zeit für ihn. Ich habe ihn richtig gut erziehen können, trotz allem. Das macht mich heute so froh, wenn ich dieses Resultat sehe, wie er stabil ist, er ist ja gerade mal 29 geworden, und wie er das machen kann. Und da hat er ja mal gesagt, Mutti, wenn ich mal groß bin, dann mache ich das doch alles und dann kümmere ich mich ums Personal und dann brauchst du nur noch den Haushalt zu machen, das war zwar eine schreckliche Drohung, aber ich musste dann so lachen – und dass er das wahr gemacht hat. Dann kann man sehen, diese Kinderwünsche, die sollte man nicht unterschätzen, weil die gehen oft in Erfüllung.
Michaelsen: Und Ihr preisgekröntes Gericht?
Linster: Der Lammrücken?
Sohn Louis führt das "Restaurant Léa Linster"
Michaelsen: Der Lammrücken mit der Kartoffelkruste? Steht der noch auf der Speisekarte?
Linster: Ja, denn der ist ja nicht wegzudenken. Er auch, er hatte mir letztens Mal … Es ging so um Muttertag rum, da hatte Louis gesagt, … Ich habe gedacht, willst du das Restaurant umtaufen? Da sagte er, nein, wir lassen das, den Namen "Restaurant Léa Linster" lassen wir so. Und dann habe ich gedacht, oh, das freut mich aber sehr, das ist das allerschönste Muttertagsgeschenk, was ich jemals bekommen kann. Und das heißt "Restaurant Léa Linster", aber er ist der Chef, und deswegen, so lange mein Name da steht – der Lammrücken ist natürlich auch da. Also der Lammrücken hat das alles nach Frisange gebracht, der hat das gemacht und der ist auch nicht wegzudenken, ja. Also ich muss noch etwas mal sagen: Ich habe während 30 Jahren dieses Bocuse-Menü gemacht, und ich hatte die Speisekarte nebenan, also Speisekarte, das Menü, hatte natürlich noch viele andere Sachen, nicht so viel, ich glaube, wir haben alles in allem 18 Gerichte gehabt, 16, mit den Desserts, das geht. So, und dann habe ich aber das Menu Bocuse d’Or so schön und so raffiniert gemacht, dass auch noch von Anfang an bis zum Schluss über 30 Jahre das mindestens 75 Prozent der Belegschaft gegessen hat. Und es waren Japaner drunter, ich glaube, ein Japaner, der hat das 20 Mal gegessen, nicht jeden Tag, aber über ein paar Jahre hinaus. Dann habe ich gedacht, die essen das immer sicher wegen ihren Gästen – ich ändere gerne was. Sagen sie: Nur nicht, ich komme extra dafür, ich liebe das so sehr! Und darauf bin ich sehr stolz, dass ich das so machen konnte. Und Louis hat jetzt seine Art, er macht ein Menü und darin kann man wählen, etwa vier Gang oder fünf, ich glaube, bis sechs oder sieben geht das, und da macht der nur Sachen rein, die er kreiert hat und bien sur auch meinen Lammrücken. Und darüber freue ich mich sehr, und wenn die Leute sagen, ist immer noch so gut, das Beste noch immer – also es war ein gutes Rezept, das nicht demodiert, also man würde nicht sagen, das ist jetzt nicht mehr modern so, könnte man nicht sagen. Also ich freue mich so sehr im Nachhinein, dass alles, was ich falsch gemacht hatte, irgendwo richtig war.
Michaelsen: Das sind schöne letzte Worte. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Linster!
Linster: Ich bitte Sie, das war mir eine große Freude. Danke schön!
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