Sportsystem
Wie die Sportförderung neugedacht werden kann

Viele sehen die Ursache für die immer geringere Medaillenausbeute der deutschen Olympioniken im deutschen Sportsystem. Klar ist, mehr Geld führt nicht automatisch zu mehr Medaillen.

Arne Gülich und Alfons Hölzl im Gespräch mit Maximilian Rieger |
Der deutsche Basketball Nick Weiler-Babb zieht sich nach der Niederlage sein Trikot über den Kopf und versteckt so seinen Kopf.
Trotz Millioneninvestitionen bleibt die deutsche Medaillenbilanz bei den Olympischen Sommerspielen in Paris ernüchternd. Sportler wünschen sich eine bessere Förderung. Doch wo soll der Hebel angesetzt werden? (dpa / picture alliance / Sven Simon)
Wieder weniger Medaillen, wieder Diskussionen über den Leistungssport in Deutschland. Das Ende der Sommerspiele in Paris unterscheidet sich kaum von den Ausgaben in Tokio und Rio. Trotzdem zeigt sich der DOSB zuversichtlich und zufrieden: „Wir haben weniger Medaillen insgesamt, aber wir haben auch viele Plätze zwischen vier und acht. Das gibt Hoffnung für die Zukunft", resümiert DOSB-Präsident Thomas Weikert in den ARD Tagesthemen.
Ein Platz unter den Top-Ten im Medaillenspiegel war das Ziel, das hat das deutsche Team erreicht. Langfristig wolle man wieder unter die Top Five: „Wir haben Verbesserungsbedarf, das wissen wir. Aber insgesamt waren es für uns gute Olympische Spiele", fragt man die Athleten und Athletinnen, gibt es sogar großen Verbesserungsbedarf.
Kajak-Olympiasieger Max Rendschmidt gegenüber der ARD: „Da haben wir überall Lücken, sowohl bei der Nachwuchsförderung, aber danach auch bei den Top-Athleten, die dann unterstützt werden müssen, wo Förderungen gekürzt werden, obwohl Leistung da ist und man da danach gucken muss, wie man da weiterkommt. Und da muss halt ordentlich nachgearbeitet werden.“
Neue Sportagentur soll zu Verbesserungen führen
Den Weg soll eine neue Sportagentur bereiten, eine Stiftung, in der Vertreter aus Bundesinnenministerium, DOSB und der Länder sitzen und über die Verteilung der Fördermittel in die Sportarten entscheiden sollen. Aber ist diese Reform der Sportförderung auch der richtige Weg?
„Die Frage, ob das überhaupt der richtige Weg ist, ist ja nie wirklich gestellt worden“, merkt Sportwissenschaftler Arne Güllich im Deutschlandfunk-Sportgespräch an. An der TU Kaiserslautern erforscht er, wie Organisationsstrukturen mit sportlichen Erfolgen zusammenhängen.
„Man muss sich auch fragen: Kann das Sportsystem das überhaupt innerhalb seiner selbst? Ich meine, das sind ja nun dieselben, die das in diese Richtung entwickelt haben. Und die sollen jetzt diejenigen sein, die also ergebnisoffen und dann immer tiefer schürfend gucken, was haben wir falsch gemacht?“
Perspektive außerhalb des Sports fehlt bei Reformansätzen
Es brauche viel mehr die Einbeziehung einer externen Perspektive, so Güllich. „Seit 30 Jahren ist der deutsche Sport eigentlich ununterbrochen in irgendeiner Reform. Und bei alldem ist zu keinem Zeitpunkt mal eine wirkliche, ernste, ergebnisoffene Ursachenanalyse präsentiert worden.“
„Ich kann an der Stelle natürlich nur für mich sprechen, aber bei den Entscheidungen, die wir getroffen haben im deutschen Turnerbund, schadet der Blick von außen nicht", ergänzt Alfons Hölzl, Präsident des deutschen Turnerbund, im Deutschlandfunk-Sportgespräch. Hölzl plädiert auch dafür, dass die Sportverbände mit den Fördergeldern flexibler und mit weniger bürokratischem Aufwand umgehen dürfen.
Mehr Geld führt nicht automatisch zu mehr Medaillen
Klar ist, dass das aktuelle System ineffizient arbeitet. Sabine Poschmann, sportpolitische Sprecherin der SPD, drückt das gegenüber dem Deutschlandfunk in Zahlen aus: „Wir haben in den letzten Jahren, ich sage es mal konkret, 200 Millionen Euro mehr in das System gegeben, aber es hat nicht zu Verbesserungen geführt. Also heißt: Man muss anders ansetzen.“
Zu diesem neuen Ansatz soll die Sportagentur gehören, aber auch die Zusammenlegung von Trainingsstützpunkten. Hölzl würde es differenzierter angehen: „Wir brauchen eine sportartspezifische und disziplinspezifische Auswertung. Wir haben hier ein sehr eingefrorenes System, und deshalb verkleinern wir unser Land - bildlich gesprochen. Bei uns sind die Athletinnen und Athleten im Bundeskader-Alter sehr, sehr jung. Und da brauchen wir starke Stützpunkte und optimale Bedingungen in den Regionen.“
Eine Zentralisierung aller Sportarten hält Hölzl für den falschen Ansatz, manche Sportarten mit sehr jungen Athleten brauchten eher regionale Stützpunkte.
Nachwuchs und Olympia-Kader aus einem Topf fördern
Diese Argumentation zeigt, wie viele verschiedene Interessen beachtet werden müssen – und wie kompliziert das System der Sportförderung in Deutschland geworden ist. Dazu trägt auch die föderale Struktur bei: Der Bund ist im Moment nur für den Spitzensport zuständig, die Länder für den Breiten-, Amateur- und Nachwuchssport. Gerade beim Übergang ins Erwachsenenalter verliert der deutsche Sport aber viele Talente.
Um das System einfacher zu gestalten, schlägt Sportwissenschaftler Arne Güllich einen radikaleren Schritt vor: Eine Stiftung, deren Gelder dem Nachwuchs und den Olympia-Athlet*innen gleichermaßen zukommen: „Ein Modell könnte so etwas sein wie eine Stiftung „Deutscher Spitzensport“, in die zahlt der Bund ein, in die zahlen die Länder ein – so viel wie jeder eben kann und möchte. Aber auch die Wirtschaft hat die Möglichkeit, dort einzuzahlen. Und dann wird nach transparenten Kriterien dieses Geld verteilt, wird alle vier Jahre evaluiert und so weiter.“