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Spitzensport und Familie
Zwischen Kind und Stadion

Kind und Karriere unter einen Hut kriegen: Für Hochleistungssportlerinnen ist dieser Spagat oft extrem schwierig. Wer in der Weltspitze mithalten will, muss alles geben - und jede Menge Hindernisse überwinden.

Von Jessica Sturmberg | 11.07.2015
    Die deutsche Speerwerferin Christina Obergföll mit ihrem Sohn Marlon.
    Die deutsche Speerwerferin Christina Obergföll fühlt sich ein Jahr nach der Geburt ihres Sohnes schon wieder fit für den Wettbewerb. (dpa / picture alliance / Uwe Anspach)
    Kindergeschrei und Stadionatmosphäre: Das sind momentan die zwei Lebenswelten von diversen Athletinnen mit Kind. Im vergangenen Herbst ist beispielsweise Siebenkämpferin Jennifer Oeser Mutter von Jakob geworden. Gerade arbeitet Oeser daran, wieder an die Weltspitze zu kommen. Bis zu den Weltmeisterschaften in Peking hat sie dafür noch sechs Wochen Zeit:
    "Klar ist für dieses Jahr, wenn ich fit bin, nicht das Ziel Kreismeisterin zu werden - ich möchte schon versuchen mitzukämpfen."
    Auch Speerwerferin Christina Obergföll glaubt ein Jahr nach der Geburt von Marlon wieder an ihre Chance:
    "Weil die Damen derzeit auch nicht ganz so weit werfen, ist da echt alles möglich und alles offen, da kann man doch schon glaub ich mit einer 65 vielleicht um eine Medaille mitreden und das Potenzial habe ich eigentlich schon wieder."
    Auch wenn sie sich selbst dieses Jahr noch nicht zu viel vorgenommen hat und den Blick schon mehr auf das Olympiajahr 2016 richtet.
    "Und das ist gut, dass wir dieses Jahr noch haben, wo wir experimentieren können um zu sehen, was ist für uns denn super? Ist es für mich super, wenn Marlon im Training manchmal dabei ist oder sollten wir es besser handhaben, dass er gar nicht mehr mitkommt? Brauche ich mal eine Stunde mehr Schlaf? Das sind lauter so Kleinigkeiten, die man einfach versucht zu optimieren, um eben dann doch noch diese 100 Prozent im Sport noch rauskitzeln zu können und das ist die große Aufgabe im Moment."
    Leistungssportler verlernen Signale des Körpers wahrzunehmen
    Körperlich können Spitzenathletinnen je nach Geburtsverlauf und Konstitution nach 6 bis 9 Monaten wieder mit dem Training so anfangen, dass sie schnell an alte Leistungswerte herankommen, sagt Marion Sulprizio, Leiterin des Forschungsprojekts "Sport und Schwangerschaft" an der Deutschen Sporthochschule Köln.
    "Es gibt Fälle, da ist es sogar so, dass die Frauen, wenn sie dann gerade das Baby haben und wieder anfangen, dass die dann deutlich besser sind als vor der Schwangerschaft, das hat natürlich auch was mit hormonellen Prozessen zu tun, aber auch mit diesem Glücksgefühl, ich kann jetzt endlich wieder das machen, wozu ich Bock habe und ich habe das vielleicht sogar mit ein bisschen weniger Aufwand, weil ich muss natürlich auch auf mein Kind achten, aber dann, wenn ich da bin, trainiere ich auch voll und zeige ich auch im Wettkampf noch mal wieder eine andere Einstellung."
    Während die Athletinnen in der Schwangerschaft oft ganz vorsichtig sind, und sich ein schonendes Sportprogramm auferlegen um das Ungeborene nicht zu gefährden, gehen viele nach der Schwangerschaft mit ihrem Körper nachlässiger um. Obwohl Spätfolgen wie Inkontinenz oder Rektusdiastase - ein schlaffer Bauch - durch eine nicht ordentlich zurückgebildete Bauchmuskulatur drohen.
    "Es ist bei Leistungssportlern hin und wieder auch so, dass die praktisch verlernt haben ihre Signale des Körpers wahrzunehmen. Die gehen über Schmerzen hinweg, die gehen über Beschwerden hinweg - so nach dem Motto 'nur die Harten kommen in den Garten' - und sind gewohnt ihren Körper irgendwo zu quälen und dann ist es gerade in der Situation ganz schwierig denen beizubringen, jetzt hör aber auch mal hin, wie fühlt sich das denn an."
    Manche Trainer wollen keine Athletin mit Kind
    Problem allerdings: Der Wettkampfkalender gibt die gesundheitlich angebrachten Pausen nicht immer her. Wer auf Fördermittel angewiesen ist, kann sich eine zu lange Wettkampfpause nicht leisten. Es gibt zwar bei der Stiftung Deutsche Sporthilfe den so genannten Sonderkader, der für besondere Fälle wie auch Schwangerschaft vorgesehen ist. Doch es ist stets eine Einzelfallentscheidung, ob eine Athletin diesen Status bekommt. Ein zwölfköpfiges Gremium entscheidet darüber auf Basis der Leistungsdaten, Trainerempfehlungen und gegebenenfalls auch einer Anhörung der Athletin. Etwa drei bis vier Fälle sind es laut Sporthilfe pro Jahr.
    Bei dem Thema Spitzensport und Schwangerschaft haben Betroffene in den vergangenen Jahren sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht, wie Sportwissenschaftlerin Almut Krapf von der Universität Leipzig in einer Studie erfasst hat:
    "Es gibt Heimtrainer und Bundestrainer, die das befürworten, dass die Sportlerinnen weitermachen, die unterstützt werden. Aber es gibt eben auch die Fälle, dass der Trainer sagt: Letztes Jahr, da war auch schon eine aus deiner Trainingsgruppe schwanger, die hat es auch nicht geschafft, also schaffst Du es auch nicht und Punkt. Und da wurde auch nicht lange darüber verhandelt oder diskutiert und bei diesen Interviews kam raus, dass meist der Bundestrainer derjenige ist, der sagt nein, das können wir nicht weiter unterstützen. Zum Beispiel habe ich Sachen gehört wie: und dann kam es zu den Vertragsverhandlungen und es wurde gesagt, wenn Du jetzt Mutter bist und ein Kind hast, dann kommt es in den Kindergarten und bringt immer Krankheiten heim und dann bist Du krank, das bringt alles nichts. Das lassen wir lieber. Oder eben auch dass der Sportdirektor gesagt hat, wenn wir zu Lehrgängen gehen, dann möchte er keinen Kindergarten da dabei haben."
    Auch die finanzielle Situation ist oft schwierig
    Für manche Athletin kann die finanziell existenzielle Situation ein Aus sein. Daneben würden Athletinnen auch auf andere Weise dazu gedrängt aufzuhören, erfuhr Almut Krapf:
    "Dass die Trainer die Abläufe einer jungen Mutter nicht beachten. Das war auch in einigen Fällen so, dass Qualifikationswettkämpfe entweder nicht gemeldet wurden an die Frauen oder dass sie so gelegt wurden, dass sie nicht mitmachen konnten."
    Fazit von Almut Krapf: Bei der Förderung junger und motivierter Athletinnen mit Kind lässt die Familienfreundlichkeit im Spitzensport noch sehr zu wünschen übrig:
    "Es gab keine Sportlerin, die ich interviewt habe, die gesagt hat, das ist alles super, das läuft toll, ich wurde prima unterstützt. Unterstützung fanden alle hauptsächlich im nahen sozialen Umfeld und ohne diese Unterstützung wäre so etwas gar nicht möglich gewesen."
    Die Sportlerin des Jahres 2013, Christina Obergföll hat das Glück, ein solch gutes persönliches Umfeld zu haben. Ihr Mann Boris ist Speerwurf-Bundestrainer, sie hat eine Kinderbetreuung, ist inzwischen bei der Barmer Ersatzkasse angestellt. Aber um erfolgreich zurückzukehren - war ihr auch klar - gab es nur ein kurzes Zeitfenster für die Familienplanung:
    "Der erste Gedanke war vielleicht direkt nach London ein Kind zu bekommen, und dann habe ich in London die Silbermedaille bekommen und irgendwie hat mir das noch mal so einen Schub gegeben zu sagen: Jetzt wirfst Du noch mal ein Jahr und es ist ja jetzt auch nicht ganz zu verheimlichen, wenn man dann so einen Erfolg hat, dann kann man im Jahr drauf ein bisschen Geld verdienen und dann haben wir das Jahr noch draufgesetzt und nach 2013 bzw. schon in 2013 ist dann immer mehr dieser Gedanke gereift, dass wir ein Kind möchten oder dass ich auch mal einen Break brauche und dann kam dieser WM-Titel und das war wie ein Geschenk des Himmels und dann habe ich zu meinem Mann gesagt: Jetzt ist der absolut richtige Zeitpunkt. Wir haben dann aber schon gesagt - ok, es sollte natürlich kein Jahr dauern, bis es vielleicht klappt mit einer Schwangerschaft, weil sonst wird es halt zu eng mit Rio."
    Die Olympischen Spiele in Rio nächstes Jahr sind auch für ihre Leichtathletik-Kollegin Jennifer Oeser noch das große Ziel. Bis dahin aber haben sie noch den äußert schwierigen Spagat zwischen Kind und Stadion.