Spitzensport in Deutschland
Sportwissenschaftler: "Sportsystem selbst wird nie infrage gestellt"

Immer weniger Medaillen und bald möglicherweise auch weniger Geld: Die Spitzensportförderung in Deutschland steht auf dem Prüfstand. Angesetzt werden müsse bereits in der Jugendförderung, sagte Sportwissenschaftler Arne Güllich im Dlf.

Arne Güllich im Gespräch mit Astrid Rawohl | 03.09.2023
Ein Kind balanciert auf einer Bank, im Hintergrund hangeln andere Kinder während des Kinderturnens an Seilen.
Die Coronakrise wird für Vereine und Verbände zum Balanceakt: Ohne Veranstaltungen und Sponsoren wird das Geld knapp. (imago / Joker / Petra Steuer)
Die olympischen Kernsportarten stecken in Deutschland in der Krise. Bei der Leichtathletik-WM in Budapest ist das deutsche Team ohne Medaille geblieben. Bei der Schwimm-WM reichte es für Deutschland in den Becken-Wettbewerben nur zu einem dritten Platz. Gleichzeitig plant nun die Bundesregierung, die Fördermittel für den Sport zu kürzen.
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und dessen Vorstandsvorsitzender Torsten Burmester wehren sich gegen diese Kürzungen. "Wir haben im Moment im Bereich der Mittelvergabe bis zu sieben Beteiligte. Das ist in der Tat ineffizient, da müssen wir wesentlich schneller werden. Ich glaube, wir sind manchmal ein Tanker in der Spitzensportförderung. Wir sind zu langsam, was den Weltstandard angeht. Wir sind zu wenig innovativ, wir müssen digitaler werden", sagte Burmester im Deutschlandfunk-Sportgespräch.

Sportwissenschaftler Güllich: "Reformen nur Verstetigung des Weges"

"Der deutsche Sport ist ja eigentlich ununterbrochen im sich Reformieren", sagte Arne Güllich, Professor für Sportwissenschaften, nun im Deutschlandfunk. "Der Punkt ist, das sind ja keine wirklichen Reformen. Es wird ja niemals die Anlage des Sportsystems und der Spitzensportförderung selbst infrage gestellt und nach Alternativen geschaut. Sondern die ganzen Reformen sind ja eher eine Verstetigung des eingeschlagenen Weges."
Der DOSB und das Bundesinnenministerium (BMI) wollen nun eine unabhängige Agentur einsetzen, die die Mittel künftig verteilen soll. Güllich begrüßt diesen Schritt: "Das ist eine Selbstverständlichkeit, dass es eine unabhängige Institution geben muss, die die Mittelverteilung bestimmt." Für den DOSB bedeute die Installation einer solchen Agentur aber einen Machtverlust, so Güllich.

Güllich: Schule spielt zentrale Rolle bei Talentförderung

Für den Karlsruher Professor, der in den Bereichen Talententwicklung, Schulsport und Kinder- und Jugendsport forscht, kann die Schule in der Talentsuche und Talentförderung eine zentrale Rolle einnehmen. Ihr Aufgabe sei das aber nicht. Vielmehr müssten sich die Sportvereine durch Probetrainings oder Schnuppertage stärker in den Schulsport einbringen. "Die Talente, die wir heute entdecken und dann in den Sport einbinden, werden dann in zehn Jahren im Spitzensport aktiv sein."
Diskussionen gibt es auch um die Leistungsbereitschaft im deutschen Sport. Güllich nennt diese Diskussion "eine typische Reaktion. Wenn es schlecht läuft, wird die Verantwortung woanders gesucht. Das Sportsystem selbst kann nichts dafür, sondern die Gesellschaft ist schuld."

Immer mehr Erfolge im Jugendbereich

Dazu passe aber nicht, dass Deutschland tatsächlich im Jugendbereich immer mehr Erfolge feiere, sagte Güllich. Grund dafür sei, dass die deutsche Nachwuchsförderung auf raschen Jugenderfolgen ausgerichtet ist. "Das führt zu immer mehr und besseren Jugenderfolgen, aber immer weniger zu langfristigen Erfolgen im Spitzenbereich", sagte Güllich.
Um Athletinnen und Athleten auf Weltklasse-Niveau zu bringen, sei aber genau das Gegenteil gefragt, sagte er. "Weltklasseathleten haben überwiegend erst später mit dem Training und Wettbewerben in ihrer Hauptsportart begonnen, sind erst später in Förderprogrammen ausgewählt worden und haben später leistungsbezogene Meilensteine erreicht."
So hätten sie in ihrer Hauptsportart "einen größeren persönlichen Beitrag geleistet, weil sie erst später in ein Förderprogramm aufgenommen wurden und haben sozusagen eine längere Produkt-Entwicklungsdauer und einen längeren Belohnungsaufschub. Und insgesamt haben sie geringere Kosten und Risiken gehabt. Und unser Fördersystem in Nachwuchssystem fördert exakt das Gegenteil von diesem Muster."