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Spitzensportreform als Fernsehthema
Keine klaren Ansagen

Die Spitzensportreform ist ein Thema, an dem niemand vorbei kann. Nicht einmal das "Aktuelle Sportstudio" im ZDF. Am Samstag kam die Sendung ungewohnt sportpolitisch daher: Der Bundesinnenminister, der DOSB-Präsident und Vertreter aus dem Sport diskutierten unter dem Motto: "Mehr Medaillen zu welchem Preis?" Doch klare Ansagen von Hörmann und de Maizière blieben aus.

Von Andrea Schültke | 13.11.2016
    Henning Lambert, Alfons Hörmann, Thomas de Maizière, Jochen Breyer, Christina Schwanitz, Jan Frodeno und Maximilian Hartung im "Aktuellen Sportstudio" des ZDF.
    Debatte um die Spitzensportreform im "Aktuellen Sportstudio" im ZDF. (imago - Hoffmann)
    Die Ausgangslage skizziert Bundesinnenminister Thomas de Maizière:
    "Das wissen ja auch alle, dass wir drohen, ins Mittelmaß abzurutschen und deswegen wollen wir eine Reform machen, die das besser macht."
    Das heißt: Medaillen statt Mittelmaß, und das bitteschön sauber.
    Hörmann: "Es muss in jeder Hinsicht dopingfrei agiert werden. Wir wollen Medaillen, aber nicht um jeden Preis.
    De Maizière: "Das ist exakt das, was ich für richtig halte: erfolgreich fair und sauber."
    Sind sich DOSB Präsident Alfons Hörmann und der Bundesinnenminister einig.
    Das ist ihr Auftrag an die Athleten. Die allerdings haben vor zwei Wochen bei der Athletenvollversammlung in Bonn das erste Mal von Sport und Staat überhaupt Einzelheiten zur Reform erfahren. Nachlesen können sie das Ganze in einem knapp 40-seitigen Eckpunktepapier. Dort geht es unter anderem auch um die Kriterien, nach denen ein Computerprogramm die in Zukunft die förderungswürdigen Disziplinen ausmachen soll. Das wirft Fragen auf, auch bei Triathlon-Olympiasieger Jan Frodeno:
    Grabenkämpfe, weil jeder für seine Sportart das Optimum rausholen will
    "Dass man nicht weiß, was analysiert diese Software? Was macht man mit dieser Software und da die Kultur in Deutschland im Sport momentan meiner Meinung nach schwierig ist, von dem, was ich mitbekomme von Grabenkämpfen innerhalb der Verbände - ist sowas, finde ich, etwas, was vielleicht Misstrauen schafft."
    Von Grabenkämpfen in den Verbänden berichtet Frodeno. Damit spricht der Triathlet an, was öffentlich bisher niemand gesagt hat: Nach außen wird Einigkeit demonstriert und hinter den Kulissen versuchen alle, für ihre Sportart oder Disziplin das Beste herauszuholen. In diesem Umfeld müssen die Athleten derzeit Sport treiben.
    Welche Auswirkungen die Reform konkret für ihren Alltag haben wird, wissen sie noch nicht. Dabei sollen eigentlich die Sportler im Mittelpunkt der Neuordnung stehen, heißt es. Auch darauf bezieht sich Säbelfechter und Athletensprecher Max Hartung, wenn er fragt:
    Verwirrung: Müssen Sportler umziehen? Gar aufhören?
    "Was bedeutet es für den Athleten, wenn Bundesstützpunkte beispielsweise geschlossen werden? Muss der vielleicht umziehen, wie wird das kompensiert?"
    Statt einer direkten Antwort ergänzt Moderator Jochen Breyer:
    "Max, passend dazu haben wir über Facebook die Frage bekommen von Nadine Apez, einer Boxerin. Sie fragt: Wie finde ich heraus, ob mein Bundesstützpunkt geschlossen wird?"
    Präsident Alfons Hörmann darf sich bei seiner Antwort hinter Zahlen verstecken:
    Hörmann: "Die Kürzung von 205 auf 165 Stützpunkte ist offiziell transparent an alle Fachverbände kommuniziert.
    Breyer: "Also sie muss bei ihrem Fachverband nachfragen."
    Hörmann: "Auch am jeweiligen Stützpunkt liegt die Information längst vor."
    Breyer: "Alles klar. Prima."
    Ein "prima" entlässt Hörmann aus der Verantwortung und befreit ihn von der Antwort. Athleten wie Säbelfechter Max Hartung wissen nach wie vor nicht, müssen sie umziehen, können sie ihre Ausbildung an ihrem derzeitigen Wohn- und Trainingsort weiterführen? Müssen sie ihren Sport an den Nagel hängen?
    Welche Auswirkung die Schließung eines Bundesstützpunktes im Schwimmen haben kann, skizziert Schwimm-Bundestrainer Henning Lambertz:
    "Wenn ich 80 Athleten habe und ich die bisher auf acht Stützpunkte konzentriert habe und das jetzt auf vier tue, habe ich 20 Athleten an einem Stützpunkt. Die soll jetzt ein Stützpunkt-Trainer, der sowieso schon überfrachtet ist, der administrative Dinge tun soll, der Planungsdinge tun soll, der innenpolitisch wirken soll, der die Kaderathleten trainieren soll und der noch sichten soll in der Peripherie. Das wird nicht funktionieren."
    De Maizière: Hilfen für restliche Stützpunkte
    Da konnte der für den Sport zuständige Bundesinnenminister nur beipflichten und sicherte umfangreiche Hilfen für die verbleibenden Stützpunkte zu:
    "Wenn Sie an vier Standorten besser sind als an acht Standorten, dann wird man sagen, wenn ihr dafür mehr Trainer braucht, dann wird es dafür mehr Geld geben."
    Mehr Geld für die Potenziale der Zukunft, also für Medaillen. Wie diese Potenziale ermittelt werden, bleibt weiter nebulös. Und was passiert mit denen, die durch das Potenzialraster fallen? Die klare Antwort: "Die kriegen kein Geld mehr" gibt’s nicht. Statt dessen viel Unverständliches vom DOSB-Präsidenten:
    Keine klaren Ansagen von Hörmann
    "Wir reden über potenzialorientierte Fördersystematik von bestimmten Disziplinen, also geht’s auch gar nicht nur um den Einzelsportler, sondern wir reden über die Disziplin in ihrer Gesamtheit."
    Die Ausführungen von Alfons Hörmann gehen noch länger so weiter. "Die Schlechten kriegen kein Geld mehr" – dieser Satz fällt dabei nicht.
    Wäre aber wichtig, meint Christina Schwanitz. Für die Kugelstoß-Weltmeisterin ist die Höhe der Förderung ein wichtiger Punkt bei der Entscheidung der Athleten für eine Disziplin:
    Schlüsselfrage: Wie soll man Sportler noch motivieren?
    "Wie soll man denn dann noch jemanden dazu motivieren und sagen: 'Ey, ich mach aus Lust und Laune, meine Eltern müssen beide 24 Stunden arbeiten, weil es wird nicht mehr gefördert, es ist ne dopingverseuchte Sportart, klar mach ich das.'"
    Auch Chef-Bundestrainer Henning Lambertz befürchtet, dass seinen Schwimmern Kürzungen drohen. Er rechnet vor: Der britische Verband habe für einen Spitzenschwimmer fünf bis sechsmal soviel Geld zur Verfügung wie der deutsche.
    Vielleicht sucht er ja sogar in Großbritannien sein Glück? Wie alle Bundestrainer in Deutschland – außer denen in den Profisportarten - hat Henning Lambertz sechs Wochen vor Jahresende noch keinen Vertrag für 2017.