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Spitzensportreform
Statistische Geisterbahn

Was will die Spitzensportreform von Bundesinnenministerium und dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB): Vielfalt fördern oder nur Medaillen sammeln? Die Ergebnisse der Potenzialanalyse für den Wintersport deuten auf Letzteres hin. Ein Kommentar.

Von Bianka Schreiber-Rietig |
    Arnd Peiffer mit Goldmedaille. Man sieht nur den Brustkorb und die Medaille.
    Medaillen statt Vielfalt: Die im Rahmen der Spitzensportreform veröffentlichten Ergebnisse der Potenzialanalyse für den Wintersport sorgen für Kritik und Unverständnis. (imago sportfotodienst)
    Kritiker sehen sich bestätigt: Die vermeintliche Zauberformel Potenzialanalyse-System, die den deutschen Spitzensport in die Erfolgsspur bringen soll, werten sie als mathematische Luftnummer fernab jeder Realität. Was haben die Macher der Spitzensportreform aus Bundesinnenministerium und Deutschem Olympischen Sportbund (DOSB) nicht alles für Erwartungen geschürt. Alle Disziplinen und Sportarten sollten nach objektiven, transparenten und sportfachlichen Kriterien bewertet werden - immer ausgerichtet an der Frage: Wer hat das beste Medaillenpotenzial?
    Nun geht es aber nicht mehr um die Prognose individueller Leistungsentwicklungen, sondern ganz profan um die Verbesserung von Rahmenbedingungen der Verbände, um die Erfolgswahrscheinlichkeit zu steigern. Was unter anderem heißt: Welche Konzepte gibt es und wie erfolgreich werden die umgesetzt? Die Potenzialanalyse (PotAS), das einstige "Herzstück der Reform", wurde von den Konstrukteuren zu einem Teilaspekt der Neustrukturierung des Spitzensports erklärt. Und seit die PotAS-Ergebnisse für die Wintersport-Verbände öffentlich sind: Unverständnis. Die Rede ist von "unlogischen", ja "blödsinnigen" Bewertungen.
    Frauen-Rennrodeln auf Platz eins
    Da landet also zum Beispiel "Rennrodeln Frauen" im Ranking auf Platz eins. Und nicht nur Experten reiben sich ungläubig die Augen. Selbst wenn man den Anforderungs- und Bewertungsleitfaden auf der Webseite der PotAS-Kommission vorwärts und rückwärts liest, wird man nicht schlauer, wie die Schlittenfahrerinnen da ganz vorne landen konnten. Selbst dann nicht, wenn einem ein Fachmann Koeffizienten und die Berechnung von Erfolgs-, Potenzial- und Gesamtwert erklärt, inklusive der Methodik, wie da was berechnet wurde.
    Frauen-Rodeln also. Es gibt einen olympischen Frauenwettbewerb. Die Anzahl der Teilnehmerinnen und Nationen sind übersichtlich. Wie wird das nun gewichtet in Relation zu Sportarten und Disziplinen, die weitaus mehr Konkurrenz und Wettbewerbe zu bestehen haben? Dicke Fragezeichen, die auch durch ergänzende Erläuterungen nicht aufzulösen sind.
    Im Reformpapier wurde als eine eklatante Schwäche der Verbandsförderung die Konzentration auf vergangene Erfolge ausgemacht. Doch genau auf diesen basieren auch jetzt wieder die Hauptkriterien. Es mag zwar unter mathematischen Aspekten eine ausgezeichnete Analyse sein, aber der Blick auf das Ranking erklärt das Grummeln in den Sportreihen, die nun schon mit Bangen der Bewertung der Sommersportarten entgegen sehen.
    Vergebliche Hoffnung auf Transparenz
    Die Einrichtung der weit über 700.000 Euro teuren Analyse hat ein Gutes gehabt: Die Verbände mussten sich endlich einmal mit sich und ihren Problemen auseinandersetzen. Eine verordnete Therapie, die bei vielen zunächst gut ankam. Doch nach der Veröffentlichung fühlen sich nun manche schon wieder reif für die Couch.
    Keine Panik! Es gibt weitere Gespräche hinter verschlossenen Türen, fernab von jeglicher Transparenz, in denen manches vielleicht noch korrigiert werden kann. Und: Der Vorsitzende der Kommission, Urs Granacher, sagt, man sei erst an der Oberfläche, man müsse nun weiter in die Tiefe gehen. Was heißt das? Kontrolle, ob Konzepte qualitativ verbessert wurden? Reicht das? Kann man Sporterfolge ohne Berücksichtigung gesamtgesellschaftlicher Komponenten heute überhaupt noch planen? Also zum Beispiel: Welche Sportart zieht die Jugend an, welche ist in diesem Land weiter verbreitet als Rennrodeln?
    Hätte deshalb nicht vor Beginn der Reformumsetzung eine ganzheitliche Analyse des deutschen (Spitzen-)Sports ganz oben auf der Agenda stehen müssen? Hätte nicht die erste Zielvorgabe von Sportfunktionären und Sportpolitikern lauten müssen: Wie soll Sport inklusive Spitzensport in dieser Republik aussehen? Und welchen Spitzensport wollen wir uns noch leisten? Will man Vielfalt oder will man nur Medaillen sammeln? Die PotAS-Ergebnisse für den Wintersport deuten - trotz aller anderslautender Bekundungen - auf Letzteres.
    Enttäuscht sind auch die, die auf leicht nachvollziehbare Transparenz und vor allem Gleichbehandlung gehofft haben. Ihr Fazit: Alles wie gehabt. Und dank der Auftraggeber Bundesinnenministerium und DOSB wurde aus der Zauberformel PotAS eine statistische Geisterbahn.