Die Bahn wolle keine unterschiedlichen Verträge für gleiche Berufsgruppen, bekräftigte Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber im Deutschlandfunk nach einem in der Nacht gescheiterten Spitzentreffen zwischen der Bahn und den konkurrierenden Gewerkschaften EVG und GDL. Laut Weber ist es nicht gelungen, sich auf ein Verfahren zu verständigen, bei dem die Interessen aller Beschäftigten von den Gewerkschaften vertreten werden. Die Bahn verhandele am Freitag nun wieder getrennt mit EVG und GDL. "Es geht darum, mit beiden Partnern zu Abschlüssen zu kommen", sagte Weber.
Dabei sei ein einheitlicher Tarifvertrag in den jeweiligen Berufsgruppen das erklärte Ziel des Unternehmens. Alles andere bringe Unfrieden. Weber appellierte noch einmal an die Gewerkschaften, Rücksicht auf die Belegschaft und das Unternehmen zu nehmen. Die Bahn könne sich den Tarifkonflikt keinen Tag länger leisten. Um aus ihn herauszukommen, sieht Weber nur einen Weg: "Verhandeln, verhandeln, verhandeln."
Das Interview in voller Länge:
Tobias Armbrüster: Sie waren mit großen Erwartungen verknüpft, die Verhandlungen gestern Abend im Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn. An einem unbekannten Ort haben sich Vertreter der Bahn und der beiden Konkurrenzgewerkschaften EVG und GDL getroffen, um die aktuellen Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Aber die Runde ist ohne konkretes Ergebnis wieder auseinandergegangen. Es gab keine Annäherung. Von Bahnseite war Personalvorstand Ulrich Weber dabei. Mit ihm habe ich heute Morgen zu Beginn dieser Sendung gesprochen und ich habe ihn gefragt, welche Atmosphäre denn eigentlich geherrscht hat bei diesem Treffen.
Ulrich Weber: Wir haben sehr sachlich gesprochen, inhaltlich auch kontrovers, und mussten dann feststellen, dass organisationspolitisch, tarifpolitisch die beiden Gewerkschaften EVG und GDL doch deutlich auseinander sind.
Armbrüster: Wer ist denn schuld daran, dass es jetzt keine Einigung gibt?
Weber: Ich würde jetzt davon absehen, Schuldzuweisungen vorzunehmen. Im Übrigen: Es gibt ja ein Ergebnis. Das Ergebnis ist, dass wir am Freitag sowohl mit der EVG als auch mit der GDL verhandeln werden, und das ist ein vernünftiges Ergebnis, weil wir wieder am Tisch sitzen, und nur am Tisch können wir zu Ergebnissen kommen.
"Erst mal getrennt verhandeln"
Armbrüster: Aber Sie wollen nicht gemeinsam mit den beiden verhandeln, sondern diese Verhandlungen sollen getrennt stattfinden.
Weber: Ja wir wollten schon gemeinsam verhandeln, aber dieses Ziel war gestern jedenfalls oder heute Nacht nicht zu erreichen. Deshalb bin ich froh, dass wir wenigstens diesen Schritt jetzt tun und wieder in die Verhandlungssituation kommen, und dann müssen wir an diesen beiden Tischen, an denen wir dann reden, versuchen, zu vernünftigen Lösungen zu kommen.
Armbrüster: Ich versuche, mir das jetzt nur gerade vorzustellen. Sie wollen dann am Freitag sowohl mit EVG als auch mit GDL verhandeln, und zwar nacheinander, wenn ich das richtig verstanden habe.
Weber: Das ist richtig!
Armbrüster: Und Sie hoffen dann dabei, dass es anschließend mit beiden Gewerkschaften identische Tarifverträge geben wird. Wie soll so was funktionieren?
Weber: Ja, in der Tat. Wir sitzen am Freitag um elf Uhr mit der EVG zusammen und dann wahrscheinlich ab 16 Uhr mit der GDL. Wir werden am Freitag beiden Gewerkschaften Angebote vorlegen, über die wir dann beraten und verhandeln werden. Und beide Gewerkschaften haben akzeptiert, dass es unser Ziel als Arbeitgeber sein wird, konkurrierende Regelungen für identische Arbeitnehmergruppen zu vermeiden. Das ist etwas, was vernünftig ist, was auch unsere Verantwortung ist, und dahin werden wir verhandeln.
Armbrüster: Aber wenn wir erlebt haben, wie sehr sich die beiden Gewerkschaften in den vergangenen Wochen in diesem Tarifkonflikt bekämpft haben, dann ist doch die Hoffnung relativ gering, dass so etwas tatsächlich passieren kann, dass sich beide auf so einen Tarifvertrag einigen werden.
Weber: Gut. Es werden ja am Ende zwei Tarifverträge stehen. Die EVG verhandelt für 140.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die GDL für deutlich weniger. Die konkurrierenden Gruppen sind ja insbesondere die Zugbegleiter und die Lokomotivführer, und da gilt es, widerstrebende oder sich widersprechende Regeln in diesen Verhandlungen zu vermeiden. Und ich gehe davon aus, dass beide Gewerkschaften an diesem Ziel auf der Zeitschiene mitwirken. Jedenfalls ist das der Eindruck, den ich von gestern mitgenommen habe.
Armbrüster: Würden Sie denn notfalls auch einen Tarifvertrag mit nur einer Gewerkschaft abschließen?
Weber: Das ist jetzt nicht das Ziel. Das ist auch nicht das Ergebnis, was ich erhoffe, weil es geht darum, mit beiden Tarifpartnern zu vernünftigen Ergebnissen zu kommen. Das ist unsere Absicht, das haben wir beiden erklärt, und da gehe ich davon aus, dass uns das auch gelingt.
Armbrüster: Ich glaube, das nehmen Ihnen viele Leute ab, dass das Ihre Absicht ist und sicher auch Ihre Hoffnung. Aber es könnte ja tatsächlich sein, wenn man sich gerade ansieht, wie dieser Tarifkonflikt gelaufen ist, wie heftig der vor allen Dingen zwischen diesen beiden Gewerkschaften ausgetragen wurde, dass am Ende tatsächlich nur ein Tarifvertrag, nur eine Einigung mit einer der beiden Seiten möglich ist. Deshalb noch mal die Frage: Würden Sie notfalls auch einen Tarifvertrag mit nur einer Seite abschließen und den anderen Tarifkonflikt weiter offen lassen?
Weber: Das mag ich nicht prognostizieren. Das Ziel ist ein anderes. Das Ziel ist, für unsere Mitarbeiter, für diese 160.000, um die es geht, vernünftige Regelungen zu finden. Und ich gehe davon aus, dass diese Verantwortung wir teilen mit diesen beiden Gewerkschaften. Es muss dann Organisationspolitik, Machtinteresse, Forderungspolitik, die in andere Richtungen geht, auf der Zeitschiene zurückstehen im Sinne vernünftiger Ergebnisse. Das ist das Ziel, das ist der Anspruch und das ist unsere Verantwortung.
Armbrüster: Das heißt, Sie appellieren hier heute Morgen an die beiden Seiten, an die GDL und die EVG, Rücksicht zu nehmen?
"Unordnung und Störung des Betriebsfriedens"
Weber: Nein, nicht aufeinander Rücksicht zu nehmen, sondern Rücksicht auf die Belegschaft der Deutschen Bahn, Rücksicht auf die Kunden, Rücksicht auf das Unternehmen. Das ist etwas, was man auch als Arbeitgeber, denke ich, von Tarifpartnern in einer Sozialpartnerschaft erwarten kann.
Armbrüster: Warum, Herr Weber, scheuen Sie sich eigentlich so sehr vor zwei unterschiedlichen Tarifverträgen für die gleichen Arbeitnehmergruppen?
Weber: Wir reden über 160.000 Mitarbeiter, die verdammt gute Arbeit machen, und die brauchen klare und einheitliche Regeln. Es darf nicht für einen Mitarbeiter unterschiedliche Schicht- oder Pausenzeiten geben. In diese Situation dürfen wir keinen Lokführer, keinen Zugbegleiter und keinen sonstigen Mitarbeiter bringen. Das bringt Unfrieden, Unordnung, stört den Betriebsfrieden, bringt keine Planungssicherheit und ist im Ergebnis unvernünftig und wir müssen Vernünftiges tun und wir müssen etwas tun, von dem unsere Mitarbeiter sagen, da haben die was gekonnt und mit diesen Regeln können wir vernünftig und sauber arbeiten.
Armbrüster: Solche unterschiedlichen Regelungen sind aber in vielen deutschen Unternehmen längst gängige Praxis.
Weber: Ich kenne kein Unternehmen, was für ein und dieselbe Mitarbeitergruppe unterschiedliche Regelungen nur deshalb hat, weil dort zwei Gewerkschaften Tarifverträge verhandeln. Kenne ich nicht! Im Gegenteil: Wir haben gestern Abend die Beispiele diskutiert, insbesondere im öffentlichen Dienst oder in verwandten Bereichen, Bundesagentur für Arbeit, AOK. Dort sind auch mehrere, zwei oder mehr Gewerkschaften mit einem Arbeitgeber unterwegs, kommen auch mit unterschiedlichen Vorstellungen und Forderungen. Im Ergebnis verständigt man sich auf das gleiche, und das muss auch hier das Ziel sein.
Armbrüster: Wie lange können Sie sich denn diese Haltung bei der Deutschen Bahn noch leisten, diese Haltung beziehungsweise diesen Konflikt?
Weber: Wenn Sie so fragen, können wir uns das keinen Tag mehr leisten, weil wir jetzt seit Wochen und Monaten unterwegs sind. Deshalb noch mal bin ich froh, dass wir am Freitag wieder sitzen. Es gilt nur ein Prinzip: Verhandeln, Verhandeln, Verhandeln und Eigeninteressen zurückstellen.
Armbrüster: Soweit der Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber zu den gestern abgebrochenen Gesprächen zwischen der Bahn und den beiden Gewerkschaften GDL und EVG.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.