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Splitter der Unendlichkeit

Unendlichkeit lässt sich nicht denken, Endlichkeit allerdings auch nicht - das Dilemma ist älter als die alten Griechen. Galileo Galilei raubte es noch den Schlaf, doch mittlerweile hat die Mathematik Verfahren ersonnen, das Unendliche halbwegs handhabbar zu machen - mit allerhand kuriosen Konsequenzen: Steckt in der endlosen Ziffernfolge der Kreiszahl Pi womöglich alles, was sich schreiben lässt, diese Sendung eingeschlossen?

Von Mathias Schulenburg |
    Auch die Kosmologie freundet sich mit der Möglichkeit unendlich vieler Welten an, die aus Quantenfluktuationen wie Popcorn entstehen könnten. Durchaus möglich, dass die Welt als ein Multiversum unendlich fein geschichteter Möglichkeiten begann, das sich mit allem, was passieren kann, füllte. In diesem Blätterteig-Multiversum wäre die Zeit bloß eine Illusion.

    Tiefe, tiefe Unendlichkeit! Ruhe, sich aus dem Nervenkrieg des täglichen Lebens weg zu träumen; über eine ruhige See auf dem Vorderdeck eines Schiffes zu einem Horizont fahren, der immer zurückweicht; auf die Wellen starren, die vorüberziehen, und ihrem eintönigen leisen Murmeln zuhören; sich in die Bewusstlosigkeit hinein träumen.

    Also sprach Maurits Cornelis Escher, geboren 1898, gestorben 1972, ein genialer holländischer Zeichner, geliebt von Chemikern, Kristallographen, Mathematikern und Physikern, weil er kaum Darstellbares darstellen konnte, Dinge, die in diesen Fächern Sinn ergeben, wie: sibyllinische Symmetrien, merkwürdige Metamorphosen und - das unfassbar Unendliche.

    " Tiefer, tiefer, irgendwo in der Tiefe gibt es ein Licht! "

    Eschers Schwärmerei zeugt von einem stabilen Charakter, wie er nicht in jedem steckt. Wenn etwa - stellvertretend für viele - der junge Törleß, eine Romanfigur Robert Musils, die Unendlichkeit in einem tiefblauen Loch im herbstlichen Wolkenhimmel zu erkennen glaubt, bekommt er es mit der Angst zu tun:

    Da, in diesem Himmel, stand es nun lebendig über ihm und drohte und höhnte. Endlich schloss er die Augen, weil ihn dieser Anblick so sehr quälte.

    Johann Sebastian Bach dagegen schreckte das Unendliche nicht, er komponierte für Friedrich den Zweiten einen von diesem inspirierten Canon, der sich zum Ruhme des Fürsten, immer die gleiche Tonart streifend, in die Unendlichkeit schrauben könnte, wenn man ihn nur ließe.

    Aber es ist schon wahr: Das Unendliche verfügt über eine zerstörerische Potenz. Galileo Galilei, auch ein bedeutender Mathematiker, hatte ein Gespür dafür. Als er ein Buch über das Unendliche begann, klappte er beim ersten Paradoxon den Deckel zu und - kam davon. Georg Cantor dagegen, der Begründer der Mengenlehre und Meister des Unendlichen, erlitt Schübe des Irreseins, wenn er sich mit dem so genannten Kontinuumsproblem befasste, in dem monströse Unendlichkeiten zuhauf hausen. Ebenso erging es dem berühmten Kurt Gödel. Beide endeten im Sanatorium.

    So etwas darf im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht passieren, weshalb wir eine Reihe von Rezepten gegen Denkkrämpfe, Depressionen und Diskontinuitäten bereit halten, darunter Toast Cannibal, Quark mit Leinöl und Munsterkäse mit Schalotten. Und Popcorn mit Olivenöl und Salz, womit man sich auch Andrei Lindes gegen Ende erscheinendes unendliches Popcorn-Universum verinnerlichen kann:

    Popcorn mit Salz: Pfannenboden mit einer dünnen Schicht Olivenöl bedecken, eine Lage Popcorn darauf, Salz dazu und heiß machen. Beim Aufpoppen ständig rütteln. Hilft gegen milde Verstimmungen.

    Was hatte Galilei so beunruhigt? Der kurze Blick auf eine Logik, die jede Art von Buchführung zunichte macht, und in Gelddingen war der Meister empfindlich. Er hatte gefunden, dass es ebenso viele Quadratzahlen wie natürliche Zahlen gibt, denn jeder natürlichen Zahl lässt sich eine - ihre - Quadratzahl zuordnen, bis in alle Unendlichkeit. Das Paradoxon, nach dessen Entdeckung Galilei Abstand vom Unendlichen nahm, kann noch einfacher zu Tage treten, wenn man etwa die Menge der natürlichen Zahlen - 1,2,3 und so fort - mit den durch Verdopplung aus ihnen folgenden geraden Zahlen - 2, 4, 6, 8 - betrachtet, sagt Knut Radbruch, Mathematiker und Professor emeritus an der Universität Kaiserslautern:

    " Intuitiv würde man ja sagen: Es gibt doppelt so viele natürliche Zahlen, wie es gerade natürliche Zahlen gibt, und im endlichen Bereich ist das ja auch richtig, im Bereich 1 bis 100 gibt es doppelt so viele natürliche Zahlen wie es gerade Zahlen gibt, und im Endlichen kann man gehen so weit wie man will, Millionen und Millionen hoch Millionen, immer gilt: es gibt in diesem endlichen Anfangsabschnitt der natürlichen Zahlen doppelt so viele natürliche Zahlen wie gerade natürliche Zahlen. Das ist ja das Vorstellungsvermögen, das Anschauungsvermögen, das man aus dem Endlichen her nimmt und genau das muss man abstreifen, wenn man ins Unendliche geht. "

    Die Speise zur Reise: Quark mit Leinöl und Pellkartoffeln. Hilft, mittelschwere Verwirrungen aufzulösen. Einfach Zwiebeln klein schneiden, in Quark einrühren, Salzen, frisches Leinöl unterrühren, den Quark gegebenenfalls mit Milch geschmeidig machen. Die Pellkartoffeln zerquetschen, den Quark darüber und alles noch mit ein paar Leinölpfützen dekorieren, deren Farbe auf dem weißen Quark beeindruckend goldgelb ist. Für die richtige Bodenhaftung muss das Leinöl frisch sein.

    Akustisch ist die Reise mittels eines unendlich auf- oder absteigenden Tons möglich:

    Georg Cantor, der Wegbereiter des Unendlichen, seinerzeit Professor in Halle an der Saale, brachte zwischen 1885 und 1887 Ordnung in die Unendlichkeit:

    " Das war wohl Cantors größte Leistung, dass er aus dem Sammelbegriff des Unendlichen einen differenzierten Zoo von Unendlichkeiten herauskristallisierte, d.h., Cantor hat verschiedene präzise gefasste aktual unendliche Objekte zum Gegenstand einer umfassenden mathematischen Theorie gemacht. Und das Verwirrende, teilweise aber auch das Faszinierende dieser, wie man heute sagt "transfiniten Mengenlehre" ist z.T. darin begründet, dass dort anschauliche Vorstellungen, die wir vom Endlichen haben, nicht übertragen werden können. "

    Nur zu wahr. Darum - ganz kurz nur noch, dann wird es leichter - die Kontinuumshypothese, die - so jedenfalls wird es in seriös anmutenden Schriften dargestellt - Cantor und Gödel ins Sanatorium getrieben hatte. Knut Radbruch:

    " Die Kontinuumshypothese ist starker Tobak, weil sie ja zunächst einmal voraussetzt - und schon dieser Schritt ist ja im Grunde mühsam genug - die Gleichmächtigkeit der natürlichen und der rationalen Zahlen, also überhaupt diesen Begriff der Gleichmächtigkeit. ... "

    Natürliche Zahlen: Die positiven ganzen Zahlen, also 1, 2, 3, 4 und so weiter. Rationale Zahlen: Jede Zahl, die das Verhältnis zweier ganzer Zahlen ausdrückt, also etwa sechs Siebtel, zwanzig Einundzwanzigstel - einfach Brüche. Der Alltagsverstand nimmt natürlich an, dass es mehr Brüche als natürliche Zahlen gibt - nicht so im Unendlichen!

    " ... Der nächste Schritt ist, eine Einsicht von Cantor, das ist sein berühmtes Diagonalverfahren, die Gesamtheit der reellen Zahlen hat, wie man sagt, größere Mächtigkeit, ist also nicht abzählbar unendlich. Es gibt keine Eins-zu-eins-Zuordnung zwischen den natürlichen bzw. rationalen Zahlen und den reellen Zahlen. ... "

    Reelle Zahlen: Jede endliche oder unendliche Dezimalzahl, zum Beispiel: 2817,06. Oder: 3,14159 ..., also die Zahl Pi, und so fort

    " ... Und dann muss man in einem dritten Schritt sich noch vorstellen, dass man versucht, eine unendliche Teilmenge von R dazwischen zu schieben. "

    Durch das Schicksal Cantors und Gödels gewarnt, lassen wir die unendliche Teilmenge links liegen und richten statt dessen einen "Toast Cannibal" an, die vielleicht schärfste Waffe gegen Denkkrämpfe, Depressionen und Diskontinuitäten, eine belgische Spezialität:

    Tartar salzen und pfeffern und mit Zwiebeln, Kapern, etwas Ketchup, Mayonnaise, Worcestersoße (am besten: das Original von Lea and Perrins, auch gut die von Appel) und einem Klecks Senf vermengen. Weizentoast rösten, trocknen lassen, noch mal rösten, die kalten Scheiben dünn mit Margarine überstreichen (als Feuchtigkeitssperre), darauf eine ordentliche Schicht Tartar. Weiter mit Zwiebelstücken bestreuen, daneben Grünzeug häufeln - Kresse, Kapern, Salat, geriebene Möhren, Silberzwiebeln, Gürkchen usw. Dann den Tartar mit rotem Tabasco beträufeln, so, dass die Augen beim Essen zwei bis drei Millimeter hervortreten, die genaue Dosis ist Erfahrungssache.

    Damit ist dem Kontinuumsproblem die Virulenz genommen. Selbst das Finanzamt verliert über Stunden seinen Schrecken.

    Es ist eine der großen Eigentümlichkeiten der Lehre vom Unendlichen, dass unsere Brot- und Butterzahlen, die natürlichen Zahlen, im Zahlenkosmos eine so verschwindende Minderheit bilden, dass sie eigentlich Seltenheitswert haben. Und Zahlen wie Pi, die bei der Berechnung von Kreisen, Kugeln und anderen Körpern unentbehrlich sind, die ihrer Wichtigkeit für den Menschen wegen einen eigenen Namen tragen, die auch noch unendlich viele Stellen hinter dem Komma haben, Ziffern ohne Ende - sind im mathematischen Universum - als Zahlentypus - ganz gewöhnliches Zeug. Das sieht auch Jörg Rudolf so, der in St. Blasien im Schwarzwald wohnt, als Lehrer Kurse über die Unendlichkeit abhält und auf seiner dazu gehörenden Webseite bald den halbmillionsten Besucher feiern kann - was für mathematische Webseiten schon sehr ungewöhnlich ist.

    " Ja, das Interessante ist, dass Sie von diesen Zahlen fast keine kennen. Wir sagen jetzt immer Pi, e, Wurzel 2, Wurzel 5 - wir kennen nur ganz, ganz wenige beim Namen. Aber das Interessante ist eben, die sind in einer überwältigenden Mehrheit. Die anderen - das ist so, als wenn wir ein Sandkorn markieren würden und wir würden im Strand danach suchen. "

    Phantastilliarden, Zentrifugillionen - Verhältnisse, großartiger als in Onkel Dagoberts Geldspeicher. Zahlen, die einen unendlich langen Rattenschwanz von Ziffern hinter dem Komma tragen, in dem, wenn man das Unendliche ernst nimmt, womöglich alles schon geschrieben steht, was überhaupt geschrieben werden kann.

    " Also diese Aussage geht auf einen mathematischen Satz zurück, der bisher allerdings noch nicht bewiesen worden ist, das ist die Aussage, dass z.B. die Zahl Pi eine so genannte normale Zahl ist, d.h., dass alle Ziffern wirklich unregelmäßig vorkommen, aber das wissen wir im Prinzip schon länger, dass es keine Periode gibt, sonst wäre es eine rationale Zahl - sondern dass diese Zahl absolut zufällig, gleich verteilt ist, dass da keine dieser Ziffern auch nur ein wenig bevorzugt ist. Wenn es so ist, folgt daraus, dass jede Ziffernkombination - also nicht nur jede Ziffer sondern auch jede Zifferkombination - in dieser Zahl drin vorkommt. Wenn man jetzt jeweils zwei Ziffern zusammen kodiert als Buchstaben, also 01 als A, 02 als B, dann kann ich natürlich auch jeden Buchstaben in dieser Zahl finden, nicht nur jeden Buchstaben sondern auch jede Buchstabenkombination, also jedes Wort, das Wort "Gott" taucht gar nicht so weit hinten auf, man kann jeden Satz, den man spricht, in dieser Zahl Pi finden, allerdings nicht weit vorne, das wird schon ziemlich weit nach hinten gehen, man wird Goethes Faust irgendwann mal finden, man wird die Bibel irgendwann mal finden, man wird dieses Interview irgendwann mal finden - im Prinzip nicht Neues unter der Sonne, wenn man die Zahl Pi vollständig hier liegen hätte. "

    Natürlich steckt in der Zahl Pi auch die Geschichte "Hallo Mister Gott, hier spricht Anna", die sich unter anderem mit unendlich vielen Fragen beschäftigt, und - der Unendlichkeit zwischen zwei Spiegeln:

    " Die zwei Spiegel sind an einer Seite zusammengeklebt, die Anna nennt es ihr "Spiegelbuch". Dieser Spiegel wird auf den Tisch gestellt. Unter diesen Spiegel wird einfach eine schwarze Linie gemalt. Dieser schwarze Strich wird jetzt rechts und links gespiegelt. Und vom einen Spiegel wieder in den anderen Spiegel gespiegelt. Und je nachdem, welchen Winkel man jetzt zwischen diesen beiden Spiegeltüren hat, verändert sich die Figur. Wenn man anfängt z.B. mit einem 90 Grad-Winkel, wird man ein Viereck, ein Quadrat entdecken aus diesem schwarzen Strich, der rechts und links immer wieder gespiegelt wird, zusammen vier Spiegelungen, wird sich ein Quadrat bilden. Wenn man jetzt diesen Winkel verkleinert, auf sechzig Grad zum Beispiel, wird man ein Sechseck erhalten. Wenn man den Winkel immer kleiner macht, wird ein Vieleck entstehen mit immer mehr Ecken, und wenn man jetzt noch eine kleine Konstruktion einbaut, ist aber nicht so ganz einfach weil es wird auch immer dunkler, wenn man den Spiegel zusammen klappt, wird man entdecken, dass dieses Vieleck, erstens, klar, kann man sich überlegen, immer mehr Ecken hat, zweitens, dass dieser Radius immer größer wird. Es wird aus diesem Vieleck sozusagen ein Kreis entstehen. Der Kreis als Unendlicheck. Landläufige Meinung wäre eigentlich auch: Der Kreis hat Null Ecken. Der Kreis hat Null Ecken oder hat unendlich viel Ecken, das ist reine Ansichtssache. "

    Nun wissen wir auch, was der Philosoph Martin Heidegger - einst ebenfalls im Schwarzwald zu Hause - wirklich meinte, als er schrieb:

    Das Spiegel-Spiel der weltenden Welt
    entringt als das Gering des Ringes
    die einigen Vier in das eigene Fügsame,
    das Ringe ihres Wesens.
    Aus dem Spiegel-Spiel des Gerings des Ringen
    ereignet sich das Dingen des Dingens.


    Was Unendlichkeiten angeht, ist Rom eine interessante Adresse, immerhin werden hier zahlreiche Wunder verwaltet. Reisende in Sachen Unendlichkeit schulden als erstes dem Campo di Fiori einen Besuch:

    Auf dem Blumenmarkt werden nicht nur Blumen verkauft, an den Ständen stapeln sich auch Lebensmittel aller Art, und Textilien, und was man sonst so braucht. In der Mitte des Marktes fällt die auf einem hohen Sockel stehende Statue eines Benediktinermönches auf.

    Die Figur - sie stellt Giordano Bruno dar - drückt ein aufgeschlagenes Buch an ihren bronzenen Leib und blickt ernst nach unten. Giordano Bruno war in seiner Zeit zu Ruhm gelangt, weil er sich das Universum, anders als die kirchlichen Autoritäten, unendlich vorgestellt hatte:

    Es ist ein allgemeiner Ort, ein unermesslicher Raum, den wir ruhig als Leere bezeichnen dürfen, in welcher unzählige Weltenkugeln schweben wie diese, auf der wir leben und weben.
    (nach Eli Maor, Dem Unendlichen auf der Spur, Birkhäuser 1989 p.232, ISBN3-7643-1991-7)

    Es war nicht nur, aber auch Brunos Glaube an eine unendliche Zahl von Welten, der ihm die Verfolgung durch die Inquisition eintrug. Denn die Existenz vieler, gleich der Erde bewohnter Welten hätte damals zentrale Bilder des christlichen Glaubens zerfließen lassen.

    Konnte der Mensch noch der ungeteilten Aufmerksamkeit eines persönlichen Gottes sicher sein, wenn der neben der irdischen noch unendlich viele andere Welten zu verwalten hatte? Die Heilige Inquisition Papst Clement des Achten schuf klare Verhältnisse: Am 17. Februar 1600 wurde Giordano Bruno auf dem Campo di Fiori geknebelt und lebendigen Leibes verbrannt.

    Derzeit ist es unbedenklich, Institutionen des Vatikans mit der Idee von unendlich vielen Welten im Kopf zu betreten. Der Vatikan veranstaltet mittlerweile Konferenzen, in denen Glaube und Wissenschaft zusammen finden sollen. Wie, im November 2005, Infinity in Science, Philosophy and Theology an der Lateran-Universität in Rom. Die Unendlichkeitskonferenz hatte auch namhafte Kosmologen aufgeboten, Giordano Bruno wäre entzückt gewesen. Seine Vorstellungen von unendlich vielen Welten waren allerdings völlig unterkühlt, gewissermaßen gut bürgerlich, verglichen mit dem, was Kosmologen heute behaupten.

    " Es wird tatsächlich noch mysteriöser. Die letzten Spekulationen meiner Kollegen in der Theorie höher dimensionaler Universen: Sie reden von ewiger Inflation, die überall und andauernd passiert, kleine Quantenfluktuationen blasen sich spontan zu neuen Universen auf, und da sind wir nun, mit all diesen Universen um uns herum. Was wir wahrnehmen, ist nur ein Fitzelchen, der wahre Raum drumherum muss nicht unendlich sein, ist aber riesengroß. Und unseres ist nur ein Universum unter vielen, für die Galaxis gilt das ohnehin. "

    Joseph Silk, hoch angesehener Professor für Astrophysik an der Oxford University, der selbst eher zurückhaltend ist. Viele Kollegen sind das nicht:

    Der prominenteste Fürsprecher derart groß angelegter Kosmologien ist Andrej Linde. Seinem Modell liegt das Inflationsszenario zugrunde, das - aus guten Gründen - annimmt, am Anfang unserer Welt habe eine Quantenfluktuation gestanden, ein zufallsbestimmtes Aufzucken des leeren Raums, des Vakuums, das sich sodann in Nullkommanichts - geläufige Namen stehen für solche Winzigkeiten nicht mehr zur Verfügung, und Zehn hoch minus fünfunddreißig Sekunden sagen nicht jedem etwas -, in Nullkommanichts also auf eine ebenso unvorstellbare Größe aufblähte, das ist die Inflation, - auf einen Raum mit einem Durchmesser von vielleicht Zehn hoch Zehn hoch Zwölf Zentimeter. Der Zahl entspricht eine 1 mit einer Trilliarde Nullen dahinter.

    Groß ist das, beeindruckend groß, aber nicht unendlich. Die Unendlichkeit kriecht an anderer Stelle ins Weltgefüge: In unserem Universum sind wieder Quantenfluktuationen möglich, aus denen wiederum neue Universen hervor gehen könnten, die sich in Nullkommanichts aufblasen, um durch neue Quantenfluktuationen ein neues Babyuniversum zu erzeugen und so fort, ohne Ende. Andrei Linde, Professor an der Stanford University, USA, hält - wie andere Kollegen - für prinzipiell nicht ausgeschlossen, dass Universen dereinst auch im Labor erzeugt werden. Mittlerweile hat die spekulative Kosmologie so viele Wege zu neuen Universen gefunden, schrumpfen Großgeräte zur Erzeugung riesiger Energiedichten auf Schreibtischformate, dass Universen auf lange Sicht tatsächlich zur bloßen Handelsware verkommen könnten:

    Ladenklingel, Klingeling.

    Käuferin: " Guten Tag. "

    Verkäufer: " Guten Tag. Was kann ich für Sie tun? "

    Käuferin: " Ich hätte gern ein Universum als Weihnachtsgeschenk für meinen Mann. "

    Verkäufer: " Haben Sie eine ungefähre Vorstellung, was Sie für das Universum ausgeben wollen ? "

    Käuferin: " Einen Messingfuß sollte es schon haben. Ja, nach Möglichkeit nicht mehr als hundert Credits. "

    Verkäufer: " Hundert Credits ... Messingfuß ... Hmmmm. In der Preisklasse gibt es nur ältere Modelle, und Messingfuß ... Kommen Sie, ich zeige Ihnen einmal unsere Kollektion. "

    Verkäufer: " Dieses hier, unser einziges Modell mit Messingfuß, ist sehr solide gearbeitet, hat allerdings eine veraltete Elektronik. "

    Käuferin: " Und was heißt das ? Auch, ob Menschen auftreten können ? Einer Freundin von mir hat ein Universum mit Menschen mal Löcher in den Teppich gebrannt. "

    Verkäufer: " Sicher, aber ein Blech müssen Sie in jedem Fall darunterlegen, und ... vielleicht mag Ihr Mann ja Menschen, viele beschweren sich, wenn's keine gibt. Was sieht er denn gerne so an Filmen ? "

    Käuferin: " Nun ja, er ist Chefbuchhalter, eine etwas sterile Tätigkeit, und hat vielleicht von daher eine, ähm, Schwäche für, ja, ziemlich wilde Äkschnfilme und, äh, na, wie soll ich sagen ... "

    Verkäufer: " Erotika? "

    Käuferin: " Ja, ja. "

    Verkäufer: " Nun gut, Menschen sind dann unentbehrlich. Dieses Universum gefällt Ihnen also? "

    Käuferin: " Ja. "

    Verkäufer: " Gut, kommen Sie, ich stelle dann eben die Naturkonstanten ein. "

    Verkäufer: " Planck-Konstante sechskommasechszwosechs hoch minus 27, Lichtgeschwindigkeit im Vakuum machen wir mal dreihunderttausend Kilometer pro Sekunde ... , so, der Rest ist vom Hersteller voreingestellt, das lassen wir mal so. So. ... Sie zünden es am besten auf dem Balkon, wegen der Geruchsentwicklung, die aber sehr schnell nachlässt. "

    Käuferin: " Und wenn das Universum zu hell wird ? "

    Verkäufer: " Ah ja, gut, wenn das Universum zu hell wird, hat bei den Menschen die Sternenkriegsphase begonnen. Sie drehen dann einfach die Lichtgeschwindigkeit zurück, bis sie sich beruhigt haben. Und lesen Sie die Bedienungsanleitung. Ich brauche dann noch Ihre Anschrift, wegen der Garantie. "

    Käuferin: " Ja, also: Monika Gott, Am Erzgängel 66, hier in der Stadt. "

    Es gibt noch eine andere Möglichkeit, zu unendlich vielen Universen zu kommen, darunter ist eine, die jedem, wirklich jedem, zugänglich ist, mit Küchenmitteln sozusagen. Im Hintergrund steht die Vermutung, dass die Quantentheorie, die sich für zahllose Phänomene im Nano- und Mikrokosmos als die richtige Beschreibungsart herausgestellt hat - fast die gesamte Informationstechnologie lebt davon - auch für die Welt im ganz Großen gelten sollte. Dann aber werden Eigentümlichkeiten, die man im gedanklich weit entfernten Mikrokosmos noch schulterzuckend hinnimmt, ins Empörende gesteigert.

    Danach koexistiert die wahrgenommene Wirklichkeit mit einer Unendlichkeit von Paralleluniversen, die so ineinander verschachtelt sind, dass sie einerseits einander subtil stabilisieren können, andererseits so streng getrennt sind, dass eine Passage von einem Universum zum anderen unmöglich ist. Die mathematischen Formalismen dazu sind bewährt, die Umsetzung ins Anschauliche ist es nicht.

    David Deutsch, Professor in Oxford, ist einer aus der wachsenden Schar derer, die das "Multiversum" ernst nehmen und die Idee energisch propagieren. Deutsch hat als Erster den mathematischen Formalismus für einen Quantencomputer gefunden und gewinnt hoch dotierte Preise - der Mann ist ernst zu nehmen. Das Multiversum auch?

    "

    Am Anfang ist nicht nur ein Universum, sondern eine Gruppe von Universen, ein Kontinuum von identischen Universen, die nicht nur identisch sind sondern "fungible", ununterscheidbar. Und wenn ich jetzt eine Münze werfe, ist diese Menge von Universen hinterher nicht mehr ununterscheidbar, sondern dann gibt es zwei Gruppen von Universen. In der einen Hälfte liegt Wappen, in der anderen Zahl oben. Und so gesehen ist es wahr, dass sich ununterbrochen Häuser, Bäume, Planeten, Menschen und menschliche Gedanken in verschiedene Gruppen unterteilen, und diese sich weiter unterteilen und so fort. Und jede besteht aus unendlich vielen ununterscheidbaren Kopien. "

    Und der Fluss der Zeit, sagt David Deutsch, ist eine Illusion:

    " Eine der großen Vereinheitlichungsleistungen der Idee vom Multiversum ist der Befund, dass verschiedene Zeiten nur Spezialfälle verschiedener Multiversen sind. Und die üblichen Fragen wie "Wenn es so viele verschiedene Kopien von mir gibt, wer bin dann ich ?" - alle diese Fragen sind auch schon in der Philosophie der Zeit gestellt worden. Kinder fragen sich das schon. Bin das "Ich" von gestern wirklich ich ? Bin ich das "Ich" von morgen ? Nun, alle diese Fragen gehören zur Philosophie der Zeit und auch des Multiversums, und hier ist die Antwort: Ja, sie alle existieren. Und die Universen, auf die wir Einfluss nehmen, nennen wir Zukunft, die auf uns Einfluss nehmen, Vergangenheit und die, die wir durch Quanteninterferenz wahrnehmen, nennen wir "andere Universen in der gegenwärtigen Zeit". "

    Alles, was jemals war, ist immer noch da. In irgend einem Strang des Multiversums steht das Elternhaus, unversehrt, abbezahlt und frisch gestrichen, freut sich der Hund. Das ist anheimelnd, schön. Dafür sollten wir der Unendlichkeit dankbar sein. Wer das nicht kann oder will - ein letztes Rezept:

    Munsterkäse auf Brot mit Schalotten. Der Käse ist eine Spezialität aus Munster im Elsass und stinkt so zum Gotterbarmen, dass sich eventuell anwesende Parallelen auf der Stelle kreuzen, also nicht erst im Unendlichen schneiden. Der Käse wurde früher zum Reifen in die Kuhstallfenster gehängt, das sagt schon was. Flirrendes Gedankengut setzt sich beim Verzehr dieses Heilmittels - so kann man wohl sagen - folgenlos ab.

    Den Käse mal beiseite, aber nicht zu weit weg, es ist nämlich so - die tiefere Wahrheit über die Welt kann eigentlich nur - flirrend sein.
    Das Popcorn poppen hören
    Das Popcorn poppen hören (Bergerhof-Studio)
    Der Campo di Fiori mit Statue von Giordano Bruno
    Der Campo di Fiori mit Statue von Girodano Bruno (Bergerhof-Studio)