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SPÖ-Politiker Hannes Swoboda
"Deutschland ist wichtiger als die meisten anderen EU-Länder"

Für Reformen brauche Europa eine entscheidungsfähige Regierung in Berlin, sagte der österreichische Sozialdemokrat Hannes Swoboda im Dlf. Angela Merkel sei immer ein Stabilitätsfaktor gewesen. Viele hofften, dass die Kanzlerin auch weiterhin große europapolitische Entscheidungen - auch gemeinsam mit Frankreich - voranbringen könne.

Hannes Swoboda im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Der österreichische Politiker Hannes Swoboda
    Macron braucht eine Partnerin, sagte Swoboda im Dlf. (Imago/ Hendrik Rauch)
    Sandra Schulz: Zwei Monate sind jetzt vergangen nach der Bundestagswahl. Wir wissen nicht, wie die nächste Regierung aussehen wird. Das ist in Deutschland in der jüngeren Vergangenheit Rekord, aber im europäischen Ausland sind längere Phasen ohne Regierung zuletzt Realität gewesen. Mehr als ein halbes Jahr waren die Niederlande ohne Regierung, Spanien fast ein Jahr und in Belgien waren es sogar rund anderthalb Jahre. Seit vorgestern Nacht wissen wir: Deutschland wird sehr wahrscheinlich, über die Maßen wahrscheinlich keine Jamaika-Regierung bekommen.
    Diese Turbulenzen in Berlin, im größten und wirtschaftlich stärksten Land, in Deutschland, was heißen die jetzt eigentlich für Europa? Darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen und am Telefon ist der Europapolitiker, der langjährige Europaparlamentarier, der österreichische Sozialdemokrat Hannes Swoboda. Schönen guten Morgen.
    Hannes Swoboda: Schönen guten Morgen, Frau Schulz.
    Herausragende Rolle Deutschlands in der EU
    Schulz: Jetzt ist Deutschland ja faktisch schon zwei Monate ohne Regierung, oder nur mit einer geschäftsführenden Regierung. War das für Europa bisher überhaupt so schlimm?
    Swoboda: Es war nicht so schlimm, weil man doch erwartet hat, dass es bald zu einer Regierung kommt. Und gewisse Dinge laufen natürlich einfach weiter. Da ist Europa stark genug. Aber für Veränderungen, für Reformen, für Schritte nach vorne braucht man natürlich eine entscheidungsfähige Regierung in Berlin. Das ist ziemlich klar, weil ja Deutschland viel wichtiger ist als die meisten anderen Länder der Europäischen Union, was diese politischen Fragen betrifft.
    Schulz: Das ist jetzt auch wieder Teil der Frage, warum viele nach der Brexit-Entscheidung, nach der Wahl Donald Trumps da jetzt überhaupt wieder so überrascht sind, wenn das Überraschende eintritt.
    Swoboda: Ja, wir müssen uns daran gewöhnen, dass Unsicherheiten und Instabilitäten einfach fast zur Tagesordnung gehören. Das gilt in kleineren Ländern, aber das kann natürlich auch in größeren Ländern sein. Was wäre gewesen, wenn in Frankreich die Wahl überhaupt anders ausgegangen wäre und Le Pen gewählt worden wäre. Das sind schon Dinge, die man berücksichtigen muss und wovon man nicht so überrascht sein kann. Aber mit Deutschland und insbesondere mit Bundeskanzlerin Merkel hatte man doch einen Stabilitätsfaktor, auf den man gesetzt hat und der natürlich für die Entwicklung in Europa ein entscheidender Faktor bleibt.
    Schulz: Aber wir müssen ja auch das ernst nehmen, was FDP-Parteichef Christian Lindner gesagt hat, als er aus den Sondierungsgesprächen rausgekommen ist. Er hat gesagt, wir hätten ein Bündnis gehabt, das bis zuletzt nicht ansatzweise eine Vertrauensbasis gefunden hat. Was wäre das denn überhaupt für eine Partnerschaft mit Berlin gewesen, ein Bündnis, bei dem es schon bei der Bildung an allen Ecken und Enden kracht?
    Swoboda: Das ist richtig. Das ist vielleicht der Trost, den man hat, dass man sagt, wir haben zumindest das vermieden, dass wir eine entscheidungsunfähige Regierung haben, dass immer wieder, wenn in Brüssel Entscheidungen angestanden wären, zuerst Beratungen, langwierige Beratungen erfolgen hätten müssen in Berlin.
    Auf der anderen Seite muss man sagen: Was ist jetzt nach der nächsten Wahl? Was ist, wenn die Wahl nicht dramatisch anders ausgeht? Und es ist eigentlich nicht daran zu denken, dass sie wirklich dramatisch anders ausgeht. Wo bleibt dann die Sicherheit und die Stabilität? Diese Furcht besteht, vor allem, wenn die SPD auch nach der nächsten Wahl sagt, wir haben uns noch nicht regeneriert, wir brauchen noch eine Zeit. Dann besteht mehr oder weniger dieselbe Situation. Manche haben natürlich Angst, dass die AfD davon gewinnt. Es bleibt ja die Unsicherheit und es bleiben die grundlegenden Faktoren der Stärkung der Parteien. Die werden sich nicht so radikal verändern, so dass hier auch nach der nächsten Wahl man wieder sich an einen Tisch setzen muss und verhandeln muss.
    Schulz: Um diese Ängste der deutschen Sozialdemokraten wissen Sie als österreichischer Sozialdemokrat natürlich sehr gut Bescheid. Das ist klar. An der Stelle dieser Hinweis.
    Aber wenn wir jetzt noch mal schauen: Die deutsche Regierung, die gilt jetzt als Stabilitätsanker. Aber über die letzten Jahre war es doch auch so, dass eine deutsche Regierung durchaus auch als Bremse wahrgenommen wurde in Europa. Wir hatten diesen riesen Streit um Auto-Emissionen. Da war es die deutsche Regierung, die immer die deutsche Automobilindustrie und die großen Autos beschützt hat. Und wir haben natürlich auch diese Diskussion um eine gemeinschaftliche Haftung, um eine Reform des Euroraums. Gibt es da jetzt nicht auch eine Chance durch dieses Machtvakuum in Berlin?
    "Brauchen starke europäische Institutionen"
    Swoboda: Es gäbe eine Chance, wenn andere Länder stark genug wären. Nun hat Frankreich ein bisschen gleichgezogen. Es ist stabiler geworden. Es hat einen Präsidenten, der eine klare europapolitische Linie hat. Nur wenn der sich mit Merkel hätte einigen können, oder mit der deutschen Regierung, dann wäre das wirklich ein Zugpferd gewesen. Es fehlt aber gerade Macron der Partner oder die Partnerin in diesem Fall, die gemeinsam dieses Europa ein bisschen nach vorne bringen können. Es bleibt das Dilemma natürlich und das ist gar nicht wegzubringen, dass einerseits innenpolitische Entscheidungen notwendig sind und die Wählerinnen und Wähler natürlich gehört werden müssen, auf der anderen Seite aber große europapolitische Entscheidungen zu treffen sind. Aber mit der Situation Brexit, mit der Situation in Spanien, mit der Unsicherheit in Italien ist natürlich die deutsche Unsicherheit, die hinzukommt, schon etwas störend für die Entwicklung in Europa. Wir werden das bewältigen. Europa kann und soll auch gar nicht Druck auf Deutschland ausüben, wie es jetzt zu handeln hat. Das muss Deutschland selber regeln. Aber es zeigt, wie wichtig starke europäische Institutionen sind, weil wir sonst überhaupt nicht weiterkommen würden, sondern eher einen Verfallsprozess in Europa einleiten würden, wenn wir immer nur abhängig sind von einzelnen Ländern und deren innenpolitischen Entscheidungen.
    Schulz: Jetzt haben Sie das deutsch-französische Tandem angesprochen. Ist es denn so ausgemacht, dass die Kanzlerin als geschäftsführende Bundeskanzlerin, dass sie da wirklich komplett ausfällt als mögliche Tandempartnerin?
    Swoboda: Alle in Europa hoffen – fast alle, nicht vielleicht alle -, dass Frau Merkel nicht ausfällt, dass gewisse Dinge vorbereitet werden können. Und Frau Merkel weiß ja auch, wie die Stimmung im Lande ist und welche Hindernisse natürlich von einzelnen politischen Parteien kommen können. Aber Entscheidungen getroffen können sicherlich nicht werden, die gravierend innenpolitische Effekte hätten. Da muss sie natürlich warten, welche Mehrheit sie bekommt. Ich gehe mal davon aus, Frau Merkel bleibt Bundeskanzlerin. Aber welche Mehrheit sie bekommt, das ist eine offene Frage. Wenn es zu einer stärkeren SPD kommen würde, ist vielleicht wieder eine Chance gegeben, eine Große Koalition zu bilden. Aber jetzt muss man mal damit rechnen, dass natürlich die SPD den Prozess der Regeneration, der Reform einleitet und hoffentlich bis zur Wahl schon einigermaßen abgeschlossen hat.
    Schulz: Der langjährige SPÖ-Europaparlamentarier Hannes Swoboda heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank Ihnen.
    Swoboda: Bitte! – Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.