Am Ende ist es der erwartbare Kandidat geworden: Nicht Stefan Kuntz, gerade in der Türkei entlassen, nicht Jürgen Klopp, bei Liverpool sehr zufrieden, sondern Julian Nagelsmann wird neuer Bundestrainer.
Die Generation der „Laptop-Trainer“ ist damit im höchsten Trainer-Amt Deutschlands angekommen. So hatte Ex-Nationalspieler Mehmet Scholl 2015 verächtlich junge Trainer bezeichnet, die nur Ahnung von Taktik hätten, aber nie selbst ganz oben gespielt haben und daher nicht wüssten, wie Profis tickten.
Bundestrainer-Amt für Nagelsmann Chance und Risiko
Eine Kritik, die schon damals fehlgeleitet war: Ohne gute Taktik gewinnt kein Team im modernen Fußball Titel. Und 148 Bundesliga-Spiele haben Hansi Flick nicht davon abgehalten, vor dem ersten WM-Spiel in Katar seinem Team einen Film über Graugänse zu zeigen – als Motivation. Der Ausgang ist bekannt.
Für Nagelsmann ist der neue Job Chance und Risiko zugleich. Die Nationalmannschaft befindet sich in einer Krise, viel schlimmer als zuletzt kann es kaum noch kommen.
Gleichzeitig hat Deutschland trotz aller Diskussionen immer noch viele gute Spieler. Es braucht also jemanden, der ihnen eine Taktik gibt, die funktioniert, und der eine Mannschaft formt. Das ist aber keine triviale Aufgabe. Hansi Flick ist daran gescheitert.
Sollte es Nagelsmann gelingen, ein Team aufzustellen, das wieder mit Begeisterung und Erfolg Fußball spielt, dann hätte er in der Zukunft alle beruflichen Optionen – mit 36 Jahren dürfte der DFB nicht seine letzte Trainerstation sein.
Sollte das deutsche Team aber vor dem EM-Viertelfinale ausscheiden, wegen der bekannten Kombination aus Lustlosigkeit und taktischer Inkompetenz, dann wäre Nagelsmann als Trainer von Top-Spielern erstmal verbrannt. Denn er ist ja erst im März beim FC Bayern entlassen worden.
Mangelnde Alternative zeigt Schwächen in der Trainer-Ausbildung
Genau deswegen geht auch der DFB mit der Verpflichtung von Nagelsmann ein Risiko ein. Bei den Bayern ist es Nagelsmann nicht gelungen, unter hohem öffentlichen und internen Druck auf Dauer zufriedenstellenden Fußball zu liefern.
Der Druck als Bundestrainer vor einer Heim-EM wird nicht geringer sein. Und der kurze Vertrag bis zur EM birgt die Gefahr, dass direkt vor oder während des Turniers ständig über die Zukunft des Trainers diskutiert wird.
Auf eine gewisse Art ist der DFB mit seiner Entscheidung also mutig, gleichzeitig ist er aber auch einfallslos. Nagelsmann war die offensichtliche Wahl. Viele echte Alternativen gibt es nicht.
Das spricht nicht für die Trainer-Ausbildung im DFB. Von den Jahrgangsbesten der Fußball-Lehrer-Ausbildung hat sich in den vergangenen Jahren keiner dauerhaft als Trainer in der Bundesliga etablieren können. Und auch für einen Trainer aus dem Ausland fehlt es dem DFB entweder an Mut oder dem Blick über den Tellerrand.