Vorwürfe gegen DTB
Debatte über Missbrauch im Turnen

Immer mehr frühere und aktuelle Turnerinnen erheben schwere Missbrauchsvorwürfe gegen den Deutschen Turnerbund DTB. Worum es geht und was die Folgen sein könnten.

Eine Turnerin am Stufenbarren
Eine Turnerin am Stufenbarren (imago / Pressefoto Baumann / imago sportfotodienst)
Was werfen die Turnerinnen dem DTB vor?
Was hat sich seit dem Fall Chemnitz geändert?
Wie reagiert der DTB auf die neuen Vorwürfe?
Gibt es Druck von externer Stelle?
Gibt es an der Reformierbarkeit von innen Zweifel?

Was werfen die Turnerinnen dem DTB vor?

Angeführt von den früheren Auswahl-Turnerinnen Tabea Alt und Michelle Timm hatten zuletzt mehrere Sportlerinnen Missstände am Stützpunkt in Stuttgart öffentlich gemacht. Angeprangert wurden unter anderem "systematischer körperlicher und mentaler Missbrauch". Die Gesundheit der Turnerinnen sei dort gezielt aufs Spiel gesetzt worden, heißt es: mit Training unter Schmerzen oder trotz Verletzungen, mit Demütigungen und Drohungen.
Zuletzt meldete sich Kim Janas zu Wort. Die heute 25-Jährige galt vor gut zehn Jahren als eines der großen Top-Talente im deutschen Turnen. Ihre Karriere hatte sie aber 2016 nach ihrem dritten Kreuzbandriss vorzeitig beendet. Sie sagt nun: Auch acht Jahre nach ihrem Karriereende sei sie noch nicht ganz geheilt von dem, was sie damals als Leistungssportlerin erlebt hat.
Dabei sei es vor allem um strenge Kontrollen seitens der Verantwortlichen gegangen: Die Turnerinnen seien täglich gewogen und ihre Taschen kontrolliert worden. Ihr seien Lebensmittel wie Brot, Aufstriche und sogar Wasser verboten worden, sagt Janas. Auch Turnerin Kim Bui hat solche Themen immer wieder angesprochen. Sie sprach 2023 offen über ihre Essstörung, die sie auch durch das Turnen in ihrer Jugend entwickelt hat.

Was hat sich seit dem Fall Chemnitz geändert?

Es sind ähnliche Vorwürfe, die auch schon 2020 von Turnerinnen am Olympiastützpunkt in Chemnitz erhoben wurden. Damals ging es um eine bestimmte Trainerin. Die Fälle in Stuttgart deuten darauf hin, dass es sich offensichtlich um ein größeres, systemisches Problem im Turnen handelt.
Der DTB hat nach Chemnitz aber zumindest Änderungen angestoßen. Der Verband kündigte damals an, die eigenen Strukturen zu hinterfragen und zu reformieren. Der DTB war daraufhin einer der ersten Sportverbände in Deutschland, der einen Safe Sport Code verabschiedet hat, offiziell wurde der Schritt im April 2024 durch das Präsidium vollzogen. Dabei geht es um Richtlinien, die Gewalt an Athletinnen und Athleten vermeiden und ahnden sollen.
Tabea Alt schrieb allerdings, dass sie schon 2021 in einem Brief den DTB über die Missstände in Stuttgart informiert hat. Dieser Brief sei aber aus ihrer Sicht "ignoriert oder einfach nicht ernst genommen worden".

Wie reagiert der DTB auf die neuen Vorwürfe?

Der DTB betont, nach besagtem Brief von Tabea Alt vor drei Jahren sehr wohl Änderungen vorgenommen zu haben. Jetzt wolle er gemeinsam mit dem Schwäbischen Turnerbund die neuen Vorwürfe kritisch aufarbeiten.
Die bisher eingeführten Maßnahmen müssten jetzt nochmal grundsätzlich auf den Prüfstand gestellt werden. In Stuttgart gab es auch schon im Oktober 2024 konkrete Beschwerden der Ex-Turnerin Michelle Timm gegen einzelne Trainer.

Gibt es Druck von externer Stelle?

Es stellen sich in der aktuellen Situation Fragen: Müssten der Deutsche Olympische Sportbund DOSB und die Politik einschreiten? Wenn es zum Beispiel ums Geld geht? Der Verein Athleten Deutschland, der in Deutschland die Interessen von Leistungssportlerinnen und Leistungssportlern vertritt, sieht den DTB in der Lage, die Situation aufzuarbeiten.
Maximilian Klein, der stellvertretende Geschäftsführer dieses Vereins, schreibt in einem Kommentar auf der Website des DOSB: Dem DTB sei zuzutrauen, die Vorwürfe angemessen aufzuarbeiten und die geeigneten Konsequenzen zu ziehen. Er bezieht sich dabei auf die Reformen, die nach den Vorwürfen von Chemnitz angestoßen wurden.

Gibt es an der Reformierbarkeit von innen Zweifel?

Spitzenturnerin Pauline Schäfer-Betz kritisierte ein "wiederholtes systematisches Versagen". Es bleibe ein zentrales Problem, "dass die Personen, die für diese Missstände verantwortlich sind, durch das System gedeckt werden", schrieb die ehemalige Schwebebalken-Weltmeisterin bei Instagram. "Solange dies der Fall ist, wird es keine wirklichen Veränderungen geben."
Schäfer-Betz hatte mit einer Gruppe weiterer Sportlerinnen des Bundesstützpunktes Chemnitz Ende 2020 ihrer damaligen Trainerin Gabriele Frehse schwere Vorwürfe gemacht. Sie soll die Turnerinnen im Training schikaniert, Medikamente ohne ärztliche Verordnung verabreicht und keinen Widerspruch zugelassen haben. "Ich weiß, wie es ist, in einem solchen System gefangen zu sein", schrieb Schäfer-Betz nun. "Es erfordert unvorstellbaren Mut, diese Missstände anzusprechen oder öffentlich zu machen."
Ihre eigene Geschichte sei kein Einzelfall gewesen. Es brauche nun tiefgreifende Reformen, forderte Schäfer-Betz, "keine kosmetischen Korrekturen". Die eingeleiteten Maßnahmen, die sie anerkenne, reichten "bei Weitem" nicht aus. Das System sei "weiter dysfunktional".
(nch/rsp)