„Der Fußball ist korrupt. Es geht nur noch ums Geschäft, nur noch ums Geld.“
So drückte es im britischen Sender Sky News im August 2019 ein junger Fan des FC Bury aus. Skrupellose Eigentümer hatten den Traditionsklub aus dem Großraum Manchester zugrunde gerichtet. Die Strafe: Der englische Liga-Verband entzog dem FC Bury die Lizenz, schloss ihn vom Spielbetrieb aus. Die Fans hatten keinen Verein mehr.
Mittlerweile ist Bury zurück, in der neunten Liga, doch der zwischenzeitliche Kollaps des Klubs – im Schatten der reichen Premier League – hatte Folgen. Die Politik veranlasste eine kritische Untersuchung des englischen Fußballs und seines Wirtschaftens.
Anders als in Deutschland verstehen sich Vereine traditionell als Wirtschaftsunternehmen. Die meisten Vereine befinden sich in der Hand von Unternehmern und Investoren, oft aus dem Ausland. Die Regeln, wer einen Verein übernehmen und wie viel Geld ein Verein ausgeben darf, sind praktisch von den Klubs selbst gemacht – und entsprechend locker.
Experten fordern Kulturwandel
Das Ergebnis ist, dass die Vereine nicht nachhaltig wirtschaften, erklärt Kieran Maguire. Er ist einer der angesehensten Fachleute für Fußballfinanzen in England:
“Wir müssen die Kultur im englischen Fußball verändern. Es ist eine Kultur des Zockens, weil die Belohnung in der Premier League so groß ist. In der zweiten Liga, der Championship, ist der Fernsehvertrag im Jahr neun Millionen Euro wert. In der Premier League steigen diese neun Millionen Euro auf 110 Millionen Euro. Die Vereine werden dazu verleitet, sich finanziell zu verausgaben, um in die Premier League zu kommen. Wenn sie in der Premier League sind, werden sie dazu verleitet, sich finanziell zu verausgaben, um nicht abzusteigen. Als Ergebnis verlieren 18 der 20 Klubs in der Premier League im Tagesgeschäft Geld. In der Championship verlieren die Vereine rund 600.000 Euro die Woche.“
Um die Zocker-Kultur zu ändern, hat die von der Politik veranlasste Untersuchung empfohlen, dass der englische Fußball künftig von einer unabhängigen Stelle überwacht werden soll. Gerade hat die Regierung von Premierminister Rishi Sunak verkündet: der so genannte „Independent Regulator“ – er kommt.
Vereine sollen nachhaltig wirtschaften und an Traditionen festhalten
In den ersten fünf Ligen des englischen Männerfußballs soll die Behörde durch ein Lizenz-Verfahren garantieren, dass die Vereine nachhaltig wirtschaften. Sie soll außerdem verhindern, dass Klubs ihren Namen oder die Vereinsfarben ändern – oder einer internationalen Superliga beitreten. Mit dem Versuch, eine solche Liga zu gründen, hatten zwölf europäische Vereine im Jahr 2021 allgemeine Empörung ausgelöst. Die Hälfte der Klubs kam aus der Premier League.
Viele Fans feiern die Einführung der Regulierungsstelle als Meilenstein auf dem Weg zu einem gerechteren Fußball:
„Die Regulierungsstelle ist hoffentlich ein Start, um die Zocker-Kultur unter Kontrolle zu bekommen – und wir den Fußball in dem Wissen genießen können, dass unsere Klubs auch noch für unsere Enkel da sind“, sagt Mark Middling von der Fan-Verenigung Fair Game:
“Beim Fußball, gerade in England, steht die Liga-Pyramide im Mittelpunkt. Es geht darum, dass es Vereine von unten nach oben schaffen können. Wir haben einige Vereine in der Premier League, die aus den unteren Ligen kommen. Luton hat noch vor ein paar Jahren in der halbprofessionellen National League gespielt. Brentford und Brighton waren weit unten und sind wieder hochgekommen. Dieses Ökosystem wollen wir schützen. Wenn ein Verein kaputtgeht, schadet das dem ganzen System.
Veränderungen wohl erst langfristig spürbar
Allerdings ist Middling sich im Klaren darüber, dass die Behörde Zeit brauchen dürfte, um Ergebnisse zu bringen. Aktuell ist noch gar nicht klar, wann der Independent Regulator seine Arbeit aufnimmt.
“Die Spieler haben Verträge. Die Regulierungsstelle hat nicht die Macht, Verträge rückgängig zu machen. Aber sie kann in Zukunft festlegen, welche Art von Verträgen geschlossen werden und was Vereine insgesamt für Spieler ausgeben können. Aber es wird Zeit brauchen, bis sich die Vereine zu einer nachhaltigeren Kultur bewegen. Es könnte vier, fünf Jahren dauern, bis man Veränderungen sieht.”
Die Klubs der Premier League stehen der neuen Behörde kritisch gegenüber. Sie klagen über staatliche Regulierung und fürchten, dass durch zu strenge Regeln der Status der Premier League als populärste Fußball-Liga gefährdet sein könnte.
Ausgaben immer höher als die Einnahmen
Finanz-Experte Kieran Maguire sieht den Independent Regulator überwiegend positiv, glaubt aber, dass ein Kulturwandel schwierig wird:
“Die Premier League ist spektakulär erfolgreich. Das Problem ist: Sie ist sehr gut darin, Geld zu verdienen, aber furchtbar darin, Geld auszugeben. Die Einnahmen sind seit der Gründung um 2.600 Prozent gestiegen. Die Gehälter aber um 3.600 Prozent. Das ist das Problem. Aber nennen Sie mir einen Fan, der nicht will, dass immer mehr Geld für Transfers und Gehälter ausgegeben wird. Die Fans wollen es, die Medien wollen es, die Trainer wollen es und die Spieler wollen es. Niemand ist bereit, nein zu sagen.”
Der Independent Regulator soll auch strenger hinschauen bei der Frage, wer einen Verein in England kaufen darf. Moralische Erwägungen sollen dabei aber keine Rolle spielen – aus deutscher Perspektive die wohl offensichtlichste Schwäche der Behörde.
Vor etwas mehr als zwei Jahren übernahm der Staatsfonds Saudi-Arabiens den Traditionsklub Newcastle United. Saudi-Arabien werden schwere Verstöße gegen die Menschenrechte vorgeworfen. Trotzdem hätte die neue Regulierungsstelle das Geschäft nicht verhindert, sagt Experte Maguire:
“Aus Sicht der britischen Regierung ist Saudi-Arabien ein sehr lukrativer Handelspartner. Man will niemanden verärgern, wenn man versucht, ihm Waren und Dienstleistungen zu verkaufen. Das einzige Szenario, das es rechtfertigen würde, keine Fußballvereine an Staatsfonds zu verkaufen, wäre es, als Land keinen Handel mit Staatsfonds zu treiben. Aber wir brauchen ihr Öl dringender als sie unseren Fußball.”
Die neue Regulierungsstelle wird den englischen Fußball nicht auf den Kopf stellen. Die Klubs der Premier League dürften sich weiter mit Ablösesummen und Gehältern überbieten. Besitzer mit zweifelhaften Absichten sind weiter im englischen Fußball willkommen.
Vereine unterhalb der Premier League könnten durch die neue Behörde allerdings tatsächlich besser vor finanziellen Turbulenzen geschützt sein.