Sportswashing. Dieser Begriff wurde 2018 in das Oxford-Wörterbuch aufgenommen, nachdem er vermehrt in NGO-Kampagnen und Medienberichten aufgetaucht war. Mittlerweile hat sich die Terminologie fest etabliert und wird auch für die Olympischen Spiele in Peking und die Fußball-WM in Katar genutzt. Der Begriff ist relativ neu, die Praktik selbst jedoch nicht.
Peking und Katar - Warum es 2022 nicht nur um Sport gehen wird
"Von Hitlers Olympischen Spielen über die Fußball-WM 1978 in Argentinien, die während der Militärjunta stattfand, bis hin zu den Olympischen Spielen in Peking – jedes Mal haben sich diese Staaten um diese großen Sportevents bemüht und man kann argumentieren, dass es sich immer um eine Form von Sportswashing gehandelt hat", meint Felix Jakens von Amnesty International. Als Ausrichter oder Investoren sind die Autokraten prominente Mitglieder der Sportfamilie und profitieren vom positiven Image. Das ist hinlänglich bekannt.
Ein unerforschter Begriff
Trotzdem gibt es nur wenige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich bisher mit den diversen Dimensionen von Sportswashing beschäftigt haben, meint Ökonomieprofessor Simon Chadwick: "Wenn man 'Sportswashing' bei Google Scholar eingibt, wo akademische Veröffentlichungen und Studien gelistet sind, taucht quasi nichts auf. Es ist also ein Begriff, der recht neu und noch relativ unerforscht ist."
Der Brite Chadwick nennt ein Beispiel, das sein Heimatland betrifft und bislang mit der Historie von Sportswashing nicht wirklich in Verbindung gebracht wurde: "Zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben sich 107.000 Südafrikaner in britischen Konzentrationslagern in Südafrika befunden. 28.000 dieser 107.000 kommen in Konzentrationslagern ums Leben. Und zur gleichen Zeit entsendet die britische Regierung Fußballteams, Rugbyteams, Cricketteams nach Südafrika, um die Einheimischen bei Laune zu halten und ihnen zu zeigen, dass man für sie da wäre. Ich denke, wenn wir über Sportswashing sprechen, dann müssen wir den Begriff öffnen und es nicht nur als ein beispielsweise rein saudi-arabisches oder chinesisches Phänomen betrachten."
Sportswashing auch in Demokratien?
Die Tendenz in der Berichterstattung durch NGOs und Medien geht dahin, Sportswashing ausschließlich bei Akteuren zu verorten, die schwere Menschenrechtsverletzungen begehen und außerhalb eines Rechtsstaats agieren. Auf Länder im sogenannten globalen Westen trifft dies selten zu. Aber die Grenze zwischen klassischer PR und Sportswashing ist schwammig.
Wird durch Anti-Diskriminierungskampagnen der UEFA versucht, die Lage in einigen Mitgliedsländern zu beschönigen? Wird durch die Bewerbung der immer noch kleinen Formel E versucht, die schlechte Umweltbilanz des Motorsports zu verschleiern? Wird durch die Kooperationsaktionen der American-Football-Liga NFL mit dem US-Militär versucht, die Verfehlungen der Streitkräfte vergessen zu machen? Auf derlei Fragen kann man mit Nein antworten.
Aber: Die Sportligen und Großevents werden auch von westlichen Regierungen gezielt genutzt, um Werbung zu betreiben. Die britische Regierung arbeitet zum Beispiel seit dem Sommer mit der Premier League zusammen, für eine Werbekampagne in 145 Ländern, die Großbritannien als dynamisches und zukunftsorientiertes Land präsentieren soll. Die Verantwortlichen verwiesen darauf, dass laut Umfragen die Premier League am ehesten ein positives Gefühl gegenüber Großbritannien bei Menschen hervorruft.
Eine derartige Kampagne kommt dann gelegen, um auch ohne ausgeklügelte Strategie brenzlige Themen ein Stück weit zu entschärfen – zum Beispiel, als im September eine Analyse der "Action on Armed Violence" zeigt, dass die britische Regierung an knapp 300 afghanischen Familien für die illegale Tötung von Angehörigen entschädigt hat – teilweise mit nur wenigen hundert Pfund.
Grenze zwischen Imagekampagne und Sportswashing ist schwammig
Wo ziehen wir aber die Grenze zwischen Sportswashing und Imagekampagne? Peter Heidt, der für die FDP im Bundestag sitzt, hat dazu folgende Meinung: "In dem Augenblick, in dem ich den Rechtsstaat verlasse; in dem Augenblick, wo ich die willkürliche Unterdrückung von Gruppen in meinem Land eben damit versuche zu relativieren – das ist für mich die Grenze. Solange ich nur ein positives Image zeigen will von meinem Land, ist das für mich in Ordnung. Und da muss man die Grenze setzen."
Schlussendlich ist die Debatte um die genaue Definition von Sportswashing vielleicht auch eine rein akademische. Denn in der Öffentlichkeit ist es gerade Menschenrechtsorganisationen wichtig, die schlimmsten Täter mit Nachdruck an den Pranger zu stellen. Eine Aufweichung des Begriffs liegt deshalb Wenzel Michalski, dem Deutschland-Direktor von Human Rights Watch, fern: "Wenn wir mit starken Begriffen überall in einer gleichen Art mit uns herumwerfen, wie zum Beispiel auch Corona-Gegner den Gelben Stern in einer antisemitischen Weise verunglimpfen, dann entwerten wir die Begriffe, aber auch das, was dahintersteckt. Es gibt Unterschiede zwischen Autokratien und Demokratien. Das heißt nicht, dass man den Demokratien oder Rechtsstaaten alles durchgehen lassen darf. Im Gegenteil, man muss auch dort eine Diskussion weiter führen. Aber wie gesagt, der Unterschied muss manifestiert werden."