Verletzungen
Wenn Profisportler plötzlich vor dem Nichts stehen

Nur wenige Sportler sind so erfolgreich, dass sie Profis werden. Wer es geschafft hat, setzt oft alles auf eine Karte. Für Schule, Ausbildung oder Studium bleibt kaum Zeit. Was aber, wenn eine plötzliche Verletzung die Karriere vorzeitig beendet?

Von Lara Zugck |
Richard Freudenberg im Jahr 2020 bei einem Spiel der Skyliners Frankfurt.
Richard Freudenberg im Jahr 2020 bei einem Spiel der Skyliners Frankfurt. (imago images)
Richard Freudenberg war eines der größten Basketball-Talente seiner Generation. In der U12 spielt er beim FC Bayern München, mit 14 in der Nationalmannschaft. 2018 gewinnt er bei der U20 EM Bronze. Und die Schule? Die läuft nebenher, wird aber zunächst gefördert. Hausaufgaben werden auch mal im Büro des Trainers gemacht. „Dann später hatten wir einen Trainerwechsel zu einem Trainer, der aus Serbien kam, wo das Ganze ja ein bisschen anders abläuft. Und der hat mir dann auch erstmal nahegelegt die Schule abzubrechen.“
Aber die Schule abzubrechen, ist keine Option. Freudenbergs Eltern legen großen Wert auf einen Schulabschluss, er macht das Abitur. Danach geht er nach Amerika ans College. Hier kann er studieren und auf hohem Niveau Basketball spielen.

Studium als Rettungsnetz

Nach einem Jahr wechselt er aber zu den Fraport Skyliners nach Frankfurt in die Bundesliga. Hier konzentriert er sich komplett auf den Beruf Profisportler. Aber irgendwann merkt Freudenberg: Er will mehr. Er fängt wieder an zu studieren. Sein großes Glück.
„Als ich im dritten Semester war, musste ich dann die Schuhe an den Nagel hängen, wegen meiner Ferse. Und dann war das für mich so ein sehr flüssiger, nahtloser Übergang eigentlich. So vom Profi wieder zum Student und jetzt wieder arbeiten. Also das Timing der Verletzung war glaube ich perfekt. Das eine Leben hat quasi aufgehört und das andere war schon mittendrin.“
Dass ein Sportler vom perfekten Timing einer Verletzung spricht - ungewohnt. Aber Freudenberg hatte nie nur Basketball im Kopf, obwohl das Studium neben dem Profisport hart ist. „Das gleichzeitig machen ist wirklich tough hier in Deutschland. Weil die Vereine natürlich keine Rücksicht nehmen. Die bezahlen dich, du kriegst halt Geld dafür, dass du Basketball spielst und die sehen das natürlich völlig zurecht nicht ein, dass du mal irgendwie nicht zum Training kommst, weil du eine Klausur schreibst.“
Sich nach zwei Trainingseinheiten am Tag hinzusetzen und zu pauken kostet Überwindung. Freizeit bleibt kaum mehr. Ein Grund, weshalb fast kein Basketballprofi studiert. Aber für Freudenberg ist frühzeitig klar: Ohne Studium sieht seine Zukunft schwierig aus. „Vor allem im Basketball oder in Sportarten außerhalb des Fußballs ist es halt nicht so, dass du irgendwie damit aussorgst. Wahrscheinlich, wenn ich auf dem Niveau Fußball gespielt hätte wo ich Basketball gespielt hätte, dann sähe mein Konto jetzt anders aus.“

Vincent Rabiega: kein Plan B

Für Freudenberg ist es ein glücklicher Zufall und sein eigenes Interesse, das ihn davor bewahrt, vor dem Nichts zu stehen. Aber was, wenn man sich nicht mit seiner Zukunft und der Karriere nach dem Profisport beschäftigt? Dem ehemaligen Fußballprofi Vincent Rabiega ist das so passiert. Rabiega wächst in Berlin auf, spielt für Hertha BSC, die polnische Juniorennationalmannschaft und wechselt später zu RB Leipzig.
In den Hinrunden ist er regelmäßig verletzt, in den Rückrunden zeigt er sein Potenzial. Er darf bei den Profis mittrainieren. Aber dann der erneute Rückschlag: Bandscheibenvorfall. Vier Monate Pause: „Bis dahin ging es nur bergauf und ab da ging es nur noch bergab“, beschreibt Rabiega diesen Punkt in seiner Karriere. Es folgen viele weitere Verletzungen und Vereinswechsel. Bis er sich eingestehen muss: Der Traum vom Fußballprofi – gescheitert.
Vincent Rabiega im Jahr 2017 bei einem Spiel des BFC Dynamo.
Vincent Rabiega im Jahr 2017 bei einem Spiel des BFC Dynamo. (imago / Björn Draws / Björn Draws)
„Ich stand dann davor und hatte nichts. Wirklich. Also ich hätte studieren können, aber mit 25/26 so um den Dreh, denkst du ja auch…  Ich war verheiratet zu dem Zeitpunkt, ich hab jetzt eine Frau, ich muss Geld verdienen auch. Es ist jetzt nicht so, dass du irgendwann dastehst, zu Hause ausgezogen bist oder sonst was und sagen kannst, ja ich leb jetzt von 450 Euro im Monat.“
Rabiega fühlt sich verloren. Er habe keine Ahnung gehabt, wo und wie er sich bei einem Unternehmen bewerben sollte. Aber er hat Glück. Er kommt in einer Firma von Freunden unter, die ihm einen Ausbildungsplatz gibt und Geduld mit ihm hat. Eine glückliche Fügung, wie er sagt. Aber das geht nicht jedem so.

Spielergewerkschaft: Leerstelle im Übergang zum Profibereich

Der Geschäftsführer der Spielergewerkschaft, Ulf Baranowsky, kennt das Problem. „In den Nachwuchsleistungszentren wird in der Regel sehr drauf geachtet, dass die jungen Spieler auch einen guten Schulabschluss machen. Problematisch wird es allerdings im Übergangsbereich zum Profigeschäft, denn ab da steht der Fußball absolut im Fokus.“
Im Nachhinein realisiert Vincent Rabiega, was er als Fußballer verpasst hat: „Man unterschätzt als Fußballer wieviel Potenzial man theoretisch parallel aufbauen könnte. Wenn ein Fußballer drei Stunden am Tag nur was machen würde, parallel neben dem Fußball, was easy möglich wäre, und das über zwölf Jahre neben der Karriere, dann könnte man sich so was Starkes parallel aufbauen.“
Aber diesen Weg allein zu finden, hält er für schwer. Rabiega hätte sich eine Anlaufstelle gewünscht. „Würde es irgendwo einen Ansprechpartner geben, wo man anruft, und sagt es ist so und so. Was hab ich denn überhaupt für Möglichkeiten? Und der zeigt einem die alle auf, das wäre schon mal so eine Hilfe gewesen.“
Aber genau diese Hilfe gibt es. Die Spielergewerkschaft VDV bietet umfassende Schulungs- und Beratungsleistungen an. Es wird ermöglicht im Fernstudium einen Bachelor- und Masterabschluss zu erwerben, erklärt Baranowsky. „Doch beim Thema Bildung stehen nicht nur die Klubs in der Verantwortung. Auch die Spieler sind selbst gefordert, wenn es darum geht parallel berufliche Qualifikationen zu erwerben.“ Aber eine Studie des VDV zeigt, dass jeder zweite Profi weder über eine berufliche Qualifikation verfügt noch dabei ist, eine zu erwerben. Was fatale Folgen haben kann, wie die Beispiele zeigen.