Der Titel klingt sperrig: „Vereinbarung zur Abarbeitung der bis zum 1.10.2021 beim Ergänzenden Hilfesystem eingegangenen Anträge mit Sportbezug“.
Dieser Vertrag zwischen dem DOSB und der Bundesregierung liegt dem Deutschlandfunk vor. Auf Nachfrage teilt das zuständige Bundesfamilienministerium mit: „Alle Anträge, die zwischen dem 1. September 2016 und dem 1. Oktober 2021 eingegangen sind, können auf dieser Vertragsbasis nun von der Geschäftsstelle 'Fonds Sexueller Missbrauch' bearbeitet werden“. Rund 30 Anträge sollen das sein. Die liegen nun teilweise seit fünf Jahren auf Eis. Mit dieser Vereinbarung können sie jetzt bearbeitet werden.
Teil der Abmachung eingehalten
“Ich bewerte das zum einen positiv, dass sich was bewegt und dass ein Teil der Abmachung eingehalten wird. Zum anderen Teil ist es halt nur ein Teil der Abmachung, der da jetzt eingelöst wird“, urteilt Nadine Dobler. Als Betroffene setzt sie sich seit Jahren mit dem Thema auseinander, vor allem mit seinen vielen politischen Facetten. Inzwischen bringt sie ihre Expertise aktiv ein, etwa beim Verein Athleten Deutschland. Dort arbeitet sie beim Aufbau einer Anlaufstelle für Betroffene mit.
Sexueller Missbrauch - "Du darfst nicht reden, denn sonst passiert was"
Vergewaltigungen, sexuelle Übergriffe, Gewalt: Nadine ist erst zehn Jahre alt, als sie von Betreuern ihrer Fußballmannschaft sexuell missbraucht wird. Nach fast 30 Jahren spricht sie erstmals im Dlf-Sportgespräch öffentlich über das Erlebte.
Vergewaltigungen, sexuelle Übergriffe, Gewalt: Nadine ist erst zehn Jahre alt, als sie von Betreuern ihrer Fußballmannschaft sexuell missbraucht wird. Nach fast 30 Jahren spricht sie erstmals im Dlf-Sportgespräch öffentlich über das Erlebte.
Nadine Dobler war dabei, als die ehemalige Vizepräsidentin des DOSB, Petra Tzschoppe, im Oktober 2020 diese Ankündigung machte: „Wir werden uns an diesem Fonds wieder beteiligen.“
Auch Rörig überrascht
Offensichtlich war diese Ankündigung nicht abgesprochen. Auch nicht mit Johannes-Wilhelm Rörig, dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung. Er war live dabei und überrascht: „Ich habe mich aber auch sehr gefreut, dass die Vizepräsidentin diese Ankündigung formuliert hat. Und mir wäre es natürlich sehr lieb gewesen, wenn es dann auch schnell zu der Umsetzung gekommen wäre.“
Aber es passierte nichts. Ein fataler Fehler im Umgang mit Betroffenen, sagt Rörig im Deutschlandfunk-Sportgespräch: “Also in meinem Themenfeld, im Bereich der Bekämpfung von sexualisierter Gewalt und seiner Folgen ist es ganz, ganz wichtig, dass Verantwortliche dann, wenn sie eine Ankündigung machen, auch die Umsetzung schon mitgedacht haben.“
Sportgespräch mit Johannes-Wilheln Rörig: „Die Vereine alleine sind überfordert“
Doch die wird erst ein Jahr konkreter. Geplant in zwei Stufen, erst: die sogenannten Alt-Anträge, dann soll ein Konzept für die Zukunft folgen. Das war im vergangenen Oktober, ein Vertrag dazu sei in Arbeit hieß es damals beim Bundesfamilienministerium.
Auf Nachfrage dort erfuhr der DLF jetzt: Der DOSB hat den Vertrag für die Alt-Anträge bereits im November unterschrieben. „Da ist leider keine Pressearbeit gemacht worden“, bemerkt Johannes Wilhelm Rörig erstaunt.
Verwunderung auch bei Betroffenen wie Nadine Dobler. Sie arbeitet mittlerweile in vielen Gremien im Sport mit, erfährt aber erst durch uns: Der DOSB hat also einen ersten Teil des Versprechens eingelöst, teilt das aber nicht mit: „Bei mir drängt sich der Gedanke auf, dass man befürchtet, wenn man zu sehr publik damit wird, Zahlungen zu leisten, sei es bei Sachleistungen oder wie auch immer, man Angst davor hat, dass zuviele Anträge gestellt werden."
Mittel von der Stiftung Deutscher Sport
Für den DOSB hat unter anderem die damalige Vorstandsvorsitzende Veronika Rücker den Vertrag unterschrieben. Zu der Zeit steckte der Verband in einer internen Krise. Rücker verkündete noch im November ihren Rückzug. Dennoch schwer nachvollziehbar, dass der viel kritisierte Verband sich die Verkündung einer positiven Nachricht so einfach entgehen lässt.
Das Schweigen soll ein Ende haben
In vielen Sportvereinen ist sexuelle Gewalt an Kindern lange totgeschwiegen worden. Eine Kommission arbeitet die Fälle Betroffener auf. Drei Frauen erzählten am Dienstag in Berlin von ihrem Schicksal.
In vielen Sportvereinen ist sexuelle Gewalt an Kindern lange totgeschwiegen worden. Eine Kommission arbeitet die Fälle Betroffener auf. Drei Frauen erzählten am Dienstag in Berlin von ihrem Schicksal.
Die Mittel, die der DOSB jetzt zur Verfügung stellt, kommen aus der Stiftung Deutscher Sport. Der Verband schreibt: "Orientiert an der Mitteilung des Bundesfamilienministeriums zur Zahl der bis zum 01.10.2021 eingegangenen Anträge kalkulieren wir mit einem Volumen von rund 300.000 Euro."
Keine Debatte über Entschädigung
Dieses Geld zahlt der DOSB nun in einen Topf beim Bundesfamilienministerium. Betroffene können Anträge stellen, um bestimmte Sachleistungen finanziert zu bekommen. Das sei eine Hilfe für den Moment, sagt Nadine Dobler: „Zum Beispiel bei der Suche nach Therapien, wenn Therapien von der Krankenkasse abgelehnt werden bzw. nicht mehr bezahlt werden. Das hat noch nichts mit Aufarbeitung oder Entschädigung zu tun.“
Eine Entschädigung Betroffener, wie sie etwa in der katholischen Kirche seit Jahren verhandelt wird, lehnt der deutsche Sport kategorisch ab. Das hat er auch in seinem gerade gestarteten Aufarbeitungsprojekt noch einmal deutlich gemacht. „Intervention und Wiedergutmachung sind nicht Bestandteil des Projekts“, heißt es da.
Die Debatte darüber hat noch nicht einmal begonnen. Gerade geht es erst einmal darum, nach der jetzt so leise getroffenen Vereinbarung für die Altanträge auch den zweiten Schritt des Versprechens in die Wege zu leiten. Nämlich, dass der DOSB langfristig in den Topf beim Familienministerium einzahlt. Auch darüber wird eine Vereinbarung angestrebt, heißt es. „Das neue DOSB-Präsidium wird sich mit der Thematik im März beschäftigen", schreibt uns der Dachverband und auch das Familienministerium betätigt, dass ein Gespräch dazu für das erste Quartal 2022 angestrebt ist.