Fußball in Argentinien
Präsident Milei drängt auf Gesetz für Privatisierung der Vereine

Argentiniens rechtspopulistischer Präsident Milei spart bei Bildungs-, Gesundheits- und Sozialausgaben, privatisiert staatliche Unternehmen. Außerdem hat er ein Gesetz zur Umwandlung von Fußballvereinen zu Kapitalgesellschaften durchgedrückt.

Von Viktor Coco | 25.05.2024
Argentiniens Präsident Javier Milei winkt
Argentiniens Präsident Javier Milei hatte sich schon im Präsidentschafts-Wahlkampf für Kapitalgesellschaften im Sport ausgesprochen. (picture alliance / Pacific Press / Lev Radin)
Im Dezember bekam Argentiniens Präsident Javier Milei nur eine Woche nach Amtsantritt erstmals Gegenwind: Als er wie 40.000 andere Boca-Juniors-Mitglieder bei den Wahlen für den Klubvorstand sein Kreuzchen machte, schallte es ihm wütend entgegen: "Der Verein gehört den Mitgliedern!"
Milei hatte sich schon im Präsidentschafts-Wahlkampf für Kapitalgesellschaften im Sport ausgesprochen. Auch sein Koalitionspartner und Vorvorgänger als Präsident Mauricio Macri ist vehementer Fürsprecher. Macri war einst Boca-Präsident und stand jetzt bei der Klubwahl wieder auf einer Anwärterliste. Aber gewählt wurde Klubidol Juan Román Riquelme. Und der warnt vor Macris und Mileis Plänen: "Diese Leute wollen den Klub erobern und privatisieren. Und dann wird hier nie, nie, nie wieder gewählt!"

Argentiniens Verband protestiert

Was Riquelme für Boca fürchtet, will Milei landesweit per Dekret durchzusetzen, die Umwandlung der Vereine zu Kapitalgesellschaften. Argentiniens Fußballverband AFA und die meisten Vereine protestierten energisch. Die Klubs sind juristisch "asociaciones civiles" – gemeinnützige Vereine, trotz Profit bei Spielerverkäufen oder Werbegeldern. Sie tragen auch zum gesellschaftlichen Leben bei, betont Tony Santos, Anwalt und Fan-Aktivist beim Traditionsklub Independiente.
"Independiente hat bis zu 70 Sport- und Kulturaktivitäten angeboten. Auch Folkloremusik, Tanz oder Theater. Es gibt einen Kindergarten, Grund- und weiterführende Schule. Aber natürlich ist der Fußball fundamental, weil er anderes mitfinanziert", sagt Santos. GmbHs oder Aktiengesellschaften für Lizenzspielerabteilungen sind für Santos damit überhaupt nicht kompatibel: "Wenn der Klub an Aktionäre übergeht, ist er nicht mehr in den Händen der Mitglieder, sondern in denen von Investoren. Und die interessieren sich nur für den Fußball. Andere Sparten würden sie nicht behalten."
Die Fans setzen vor allem auf ihr Mitspracherecht bei Vorstandswahlen. Um das nicht zu verlieren, sind sie absolut gegen die Umwandlung in Kapitalgesellschaften. Aber wie in so vielen Bereichen in Argentinien fehlt auch im Sport das Geld. Das ist das einfache Argument der Befürworter von Privatinvestoren bei Fußballklubs. Ricardo Schlieper ist Spielerberater und ehemaliger Sekretär für Sport in Mileis Regierung. "Die Klubs haben große Probleme mit der Infrastruktur und den Stadien. Und ständig müssen Spieler verkauft werden, um Löcher zu stopfen. Das schadet natürlich dem Niveau der Liga" , sagt Schlieper. Die Besten, die guten und sogar die durchschnittlichen Talente verlassen immer jünger das Land. International hat auf Vereinsebene Brasilien deutlich die Nase vorn. Im argentinischen Fußball muss sich etwas ändern, finden viele.

Agüero spricht sich zustimmend aus

Ex-Stürmerstar "Kun" Agüero – heute ein bei der Jugend beliebter Streamer – bringt für seinen Jugendverein Independiente seinen Ex- Klub Manchester City und dessen arabischen Investor der City-Footballgroup ins Gespräch: "Ich glaube, es könnte die argentinischen Klubs potenzieren, privatisiert zu werden. Aber es sollte eine Option sein, über die die Vereinsmitglieder abstimmen können."
Agüero wurde so ungewollt zum prominentesten Fürsprecher von Mileis Dekret. Der Präsident schwärmte von Agüeros "außergewöhnlicher Intelligenz". Von der anderen Seite hagelte es Kritik, wie von Ex-Vereinspräsident Andrés Ducatenzeiler: "Independiente hat dir die Bücher bezahlt, damit du überhaupt zur Schule gehen konntest, Kun Agüero! Und du willst den Klub privatisieren!"
Die Anspannung ist groß im fußballverrückten Argentinien. Neben Agüero umschmeichelte Milei zuletzt auch FIFA-Präsident Infantino. Dagegen brachte Ex-Profi Juan Sebastián Verón, ebenfalls Klubpräsident, als Mittelweg das deutsche "50+1 Modell" ein. Das heißt, Kapitalgeber dürfen einsteigen, die Mehrheit der Anteile muss aber bei den Vereinsmitgliedern bleiben. Auch das überzeugt keine der beiden Fronten. Die Fans, wie Aktivist Tony Santos, nicht: "Auch das ist negativ, weil man einen großen Teil des Klubs abgeben – also verkaufen – würde."

Gericht stoppte das Dekret

Und auch nicht Ex-Sportsekretär Schlieper. "Das würde hier nicht funktionieren. Anderswo respektiert man Kleinaktionäre, in Argentinien nicht. Es wäre schwierig, dass eine Firma 49 Prozent kauft, wenn 51 Prozent in den Händen des Vereins bleiben, denn der würde weiter alles kontrollieren." Kontrollieren kann man die aktuelle Diskussion auch nur schwer, deshalb hält Schlieper eine Parlamentsdebatte zu diesem Thema für unangebracht: "Beim Thema Fußball gäbe es so viele dumme Gegenstimmen, dass es zu schwierig wäre, das im Kongress zu debattieren. Deshalb geht das besser mit einem Notstandsdekret."
Derzeit ist die Lage undurchsichtig. Die Legalisierung privater Sportklubs ist Teil eines Dekrete-Pakets, was zwar schon in Kraft ist, aber von einer der beiden Kongresskammern vorerst zurückgewiesen wurde. Und auch ein Gericht hat das Dekret zur Neuordnung des Fußballs gestoppt. Ein Amateurverein, der sich per Mitgliederabstimmung für private Investoren ausgesprochen hatte, wurde umgehend vom Fußballverband suspendiert. Es rumort kräftig im Land des Fußball-Weltmeisters.