Fußball in Israel
Rassistische Angriffe im Stadion nehmen zu

Der Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 und der Krieg in Gaza haben auch den Fußball in Israel grundlegend verändert. So ist der Rassismus gegen arabischstämmige Spieler und Fans massiv angestiegen. Nur wenige Projekte positionieren sich dagegen.

Von Ronny Blaschke |
Fans des isralischen Fußballvereins Maccabi Tel-Aviv zünden Pyrotechnik bei einem Spiel in Amsterdam.
Fans des isralischen Fußballvereins Maccabi Tel-Aviv zünden Pyrotechnik bei einem Spiel in Amsterdam. (picture alliance / NurPhoto / Stefan Koops)
Vor wenigen Wochen: Beitar Jerusalem spielt in Aschdod. Auf der Tribüne der Beitar-Fans ist auch Itamar Ben-Gvir zu Gast, der rechtsextreme Sicherheitsminister Israels. Die Ultras bejubeln Ben-Gvir, umarmen ihn. Und sie stimmen rassistische Gesänge gegen arabische Israelis an.
Es sind Gesänge, die seit dem 7. Oktober 2023 noch häufiger zu hören sind als früher, sagt Matan Segal, Direktor der Organisation "Kick It Out Israel": "Schon vor dem Krieg hat der Rassismus im israelischen Fußball zugenommen, insbesondere nach dem Antritt der Regierung Netanjahu und dem Rechtsruck in der Gesellschaft. Doch seit Kriegsbeginn spitzt sich die Lage weiter zu: Etliche Fans beschimpfen arabische Spieler als Terroristen. Besonders häufig sind Gesänge in den Stadien zu hören wie: 'Die israelische Armee muss siegen'. Und: 'Wir brennen euer Dorf nieder'. Gemeint sind arabische Dörfer."

Angriffe auf Demonstranten

Als eines der größten rechtsextremen Netzwerke in Israel gilt La Familia, eine prägende Fangruppe von Beitar Jerusalem. Wenige Tage nach dem Terrorangriff der Hamas im Oktober 2023 haben Mitglieder von La Familia ein Krankenhaus in der Nähe von Tel Aviv gestürmt und randaliert. In diesem Krankenhaus wurde angeblich ein Hamas-Kämpfer versorgt, doch die Meldung hat sich als falsch herausgestellt.
Einige Mitglieder von La Familia waren auch als Soldaten im Gaza-Krieg im Einsatz, posierten mit Symbolen des Fußballklubs Beitar vor zerstörten Gebäuden. Und auch in der Innenpolitik spielen die Ultras eine Rolle. Bei Kundgebungen gegen die umstrittene Justizreform von Benjamin Netanjahu sollen sie linke Demonstranten attackiert haben.

Ein Anwalt für die Fans

Ein Vorgehen, das auch dem Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir gefallen dürfte, sagt der israelische Aktivist Matan Segal: "Wenn wir zehn, fünfzehn Jahre zurückschauen: Damals hat Ben-Gvir als Rechtsanwalt einige Fans von Beitar vertreten. Aber auch andere rechtsextreme und nationalistische Politiker sind mit Beitar verbunden. Wenn sie ihre Bekanntheit erhöhen wollten, zeigen sie sich im Teddy-Stadion von Jerusalem."
Die Ursprünge von Beitar Jerusalem liegen in den 1930er-Jahren. Der Verein war zunächst ein Treffpunkt der sogenannten "orientalischen Juden", also von jüdischen Einwanderern aus arabischen Staaten, erläutert der Politikwissenschaftler Jan Busse von der Universität der Bundeswehr in München: "Das heißt, das sind vor allem Menschen gewesen, die gesellschaftlich in Israel tendenziell eher benachteiligt waren, weil die Staatsgründer vor allem europäischstämmige Jüdinnen und Juden waren. Und es gibt eben auch, seit es Beitar gibt, eine sehr, sehr starke antiarabische, antimuslimische Haltung, weil man gerade während der Jahre der Staatsgründung auch ganz stark konkurriert hat mit den palästinensischen Staatsbürgern Israels, beispielsweise um Niedriglohnjobs."

Unterstützung für Netanjahu

In den Anfangsjahren des Staates Israel etablierte sich Beitar als Sammelbecken für jüdische Nationalisten. Fans halfen bei der politischen Mobilisierung. Zum Beispiel 1977 für Menachem Begin, den ersten konservativen Ministerpräsidenten Israels. Oder zuletzt für Benjamin Netanjahu.
Doch die Ultras von Beitar gehen noch weiter und arbeiten mit rechtsradikalen Organisationen zusammen. Viele von ihnen lehnen jegliche Beziehungen zwischen Juden und Nicht-Juden ab, sagt Jan Busse: "Ein krasses Beispiel ist in diesem Zusammenhang die Organisation Lehava. Die wurde im April 2024 von der EU wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen sanktioniert. Und da gibt es eben tatsächlich auch sehr enge personelle Überschneidungen. Dass viele La-Familia-Mitglieder eben auch Mitglieder von Lehava sind."

Feindbild Bnei Sachnin

Auch in Fangruppen anderer Klubs, die eher als liberal gelten, werden zunehmend rassistische Anfeindungen gegen arabische Israelis dokumentiert. Eines ihrer Feindbilder ist Bnei Sachnin, der wichtigste arabisch geprägte Verein in der israelischen Profiliga.
Bei einem Spiel im September stürmen Ultras von Hapoel Be‘er Sheva mit Stangen auf den Fanblock von Bnei Sachnin zu. Sie fühlen sich provoziert, weil die Anhänger aus Sachnin zuvor die israelische Hymne gestört haben. Das Spiel wurde abgebrochen.

Projekte gegen Gewalt

Und auch bei anderen Vereinen bemühen sich die Klubs nach dem 7. Oktober 2023 um kreative Lösungen, um Spannungen zu vermeiden, sagt der Autor Jan Busse: "Und es ist so, dass beispielsweise bei Maccabi Haifa und Maccabi Netanya die Vereinsführung befürchtet hat, dass es während Schweigeminuten auch zu antiarabischen Aufrufen hätte kommen können. Also ,Tod den Arabern‘ hört man leider sehr, sehr häufig im Stadion. Und um das zu verhindern, hat man statt einer Schweigeminute eine Minute lang Applaus im Stadion abhalten lassen."
Der Fußball in Israel galt lange als Symbol der Koexistenz. Mitunter standen drei oder vier arabischstämmige Spieler in der Startelf des Nationalteams. Einer der Prominentesten: Dia Saba von Maccabi Haifa. Dessen Ehefrau hat nach dem 7. Oktober 2023 mehr Empathie für Kinder aus Gaza gefordert. Dia Saba hat daraufhin Morddrohungen erhalten und kam im Nationalteam vorübergehend nicht mehr zum Einsatz.

Arabische Israelis unter großem Druck

Es ist ein Beispiel von vielen für die hochsensible Debatte in Israel, sagt der Historiker Amir Theilhaber: "Und dass israelische Palästinenser unter einem enormen Druck stehen, sich nicht zu äußern. Beziehungsweise dass Äußerungen sehr schnell misskonstruiert werden beziehungsweise als Terrorunterstützung aufgefasst werden."
Amir Theilhaber ist auch für den New Israel Fund tätig. Diese NGO fördert zivilgesellschaftliche Projekte in Israel, darunter das Fußballprojekt "Kick it Out". In den vergangenen Monaten haben sich mehrfach auch Fangruppen und Vereine gegen Rassismus positioniert. Doch die Geldstrafen, die der israelische Fußballverband gegen Klubs von rassistischen Fans verhängt, sind häufig gering.

Gesetze werden unterlaufen

Amir Theilhaber plädiert für mehr Prävention und sagt: "Auch mit solchen Methoden, dass man dann sagt, man hält die Spiele nicht mehr so oft abends ab, um so mehr Familien und auch Kinder ins Stadion reinzubekommen, um eine andere Atmosphäre zu schaffen. Also dass das nicht eine Domäne der toxischen Männlichkeit ist."
Vor dem Antritt der aktuellen Regierung haben einige Ministerien Gesetze gegen Rassismus verabschiedet. Doch Amir Theilhaber glaubt, dass sie unter dem rechtsextremen Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir nicht mehr konsequent angewendet werden. Und das strahle eben auch auf den Fußball ab.