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Der Sport auf der Suche nach dem „Wir“ (13)
Kubas Botschafter auf der Flucht

Für das sozialistische Kuba sind Sportler wichtige Repräsentanten. Doch viele Athleten nutzen internationale Wettbewerbe zur Flucht, denn in den USA oder Europa hoffen sie auf lukrative Verträge. Wegen der aktuellen Wirtschaftskrise liberalisiert das Regime einige Strukturen - auch im Sport.

Von Ronny Blaschke |
José Abreu von den Chicago White Sox während eines Baseballspiels
Der ehemalige Kubaner José Abreu von den Chicago White Sox wurde 2020 in den USA zum "wertvollsten Spieler" gekürt (picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Dies ist ein Beitrag aus unserer Denkfabrik-Reihe zur Teilhabe im Sport.
Vor wenigen Wochen fand im Baseball die U-23-WM in Mexiko statt. Die kubanische Mannschaft reiste mit 24 Spielern an, doch die Hälfte kehrte nicht zurück. Zwölf Spieler setzten sich während des Turniers ab. In den vergangenen Jahrzehnten sind in den wichtigsten Sportarten Kubas hunderte Athleten geflohen, im Baseball, Boxen oder Volleyball. Ein solcher Aderlass wie nun in Mexiko sei zwar selten, sagt der Journalist Andreas Knobloch, der für deutschsprachige Medien aus Kuba berichtet. Gerade im Baseball hoffen die Spieler aber in den USA auf eine lukrative Karriere.
"Diese Regel gilt nur für Kubaner: Die können dort nur spielen, wenn man alle Verbindungen nach Kuba abbricht. Das heißt: die Spieler setzen sich ab, müssen eine Residenz in einem Drittland annehmen, in Mexiko oder in der Dominikanischen Republik oder wo auch immer. Erst dann können sie von einem US-Team unter Vertrag genommen werden. Weil jedem US-Unternehmen, auch der Major League Baseball, verboten ist, mit Kuba Geschäfte zu machen.“ 

Obamas Baseballdiplomatie

Seit der Kubanischen Revolution Ende der 1950er-Jahre sind mindestens neunzig Baseballspieler in die USA geflohen. Viele von ihnen haben Karriere gemacht. José Abreu von den Chicago White Sox wurde 2020 in der Liga zum "wertvollsten Spieler“ gekürt. Auch in den unteren US-Ligen sind etliche kubanische Spieler aktiv. "Das ist ein riesen Millionengeschäft“, sagt der Reporter Andreas Knobloch. "Es gibt dann Schleuser, die Spieler auch belagern, und die versuchen, sie zu überreden. Weil sie auch einen Teil der ersten Vertragssumme kassieren. Was immer so genannt wird als Summen, sind so 20 Prozent am ersten Vertrag, was die Leute verdienen. Yasiel Puig hat damals einen Vertrag bei den Los Angeles Dodgers unterschrieben für 42 Millionen Dollar. Da kann man sich ausrechnen, was da an Geld drinnen steckt. Das sind dann acht Millionen, die sich halt Spieleragenten aufgeteilt haben.“ 
Offiziell wurde der Profisport in Kuba Anfang der sechziger Jahre abgeschafft. In den vergangenen Jahren, nach dem Rückzug des Regierungschefs Fidel Castro, liberalisierte das Regime seine Sportstrukturen. Einige verdiente Athleten und Trainer durften fortan im Ausland aktiv sein, sollten aber für Nationalteams und Wettbewerbe weiter auch in Kuba zur Verfügung stehen. Und auch die Annäherung an den Erzrivalen wurde im Sport deutlich. Auf seiner historischen Kuba-Reise 2016 besuchte der damalige US-Präsident Barack Obama ein Baseballspiel, neben ihm saß Kubas Staatschef Raúl Castro. 
Zu jener Zeit verhandelten die USA und Kuba mehrere Abkommen. Im Baseball wollte die US-Liga MLB künftig auch Ausbildungsentschädigungen nach Kuba überweisen, sagt Korrespondent Andreas Knobloch: "Nach dreijährigen Verhandlungen wurde dann im Dezember 2018 eine Vereinbarung unterschrieben zwischen dem kubanischen Baseballverband und der Major League Baseball, nach der kubanische Spieler dann regulär in den USA hätten spielen können. Diese Regelung wurde dann aber vom damaligen US-Präsidenten Donald Trump einige Monate später mehr oder weniger in der Luft zerrissen.“

Der Fußball öffnet sich

Auch unter Trumps Nachfolger Joe Biden stockt die Annäherung zwischen den USA und Kuba. Doch es gibt Zeichen der Liberalisierung in einer anderen Sportart: im Fußball. Der US-amerikanische Journalist Jon Arnold hat dazu vor kurzem einen Artikel in der New York Times veröffentlicht. Er sagt: "Lange wollte die kubanische Regierung nichts mit Spielern zu tun haben, die im Ausland unter Vertrag sind. Dadurch ging dem kubanischem Nationalteam großes Potenzial verloren. Das ändert sich jetzt. In den vergangenen Monaten kamen Spieler für Kuba zum Einsatz, die in Europa aufgewachsen sind. Nach dem Verständnis des Regimes gelten sie nicht als Deserteure. Mit diesen Spielern kann das Nationalteam einen großen Schritt vorwärts machen.“
Der bekannteste Neuling unter den Nationalspielern ist Onel Hernández, der als Kind mit seiner Mutter nach Deutschland gezogen war. Aktuell spielt Hernández für den FC Middlesbrough in der zweiten englischen Liga. Bislang hat sich Kuba erst für eine Fußball-WM qualifiziert, 1938 in Frankreich. Doch nun mit den Verstärkungen hoffen viele Kubaner auf eine Teilnahme an der WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko. Wenn erstmals 48 Teams mitspielen dürfen, und nicht mehr 32. 
Allerdings kann die Entwicklung der Infrastruktur nicht mithalten. Zurzeit gibt es in Kuba kein Stadion, das die Anforderungen der FIFA erfüllt, sagt Jon Arnold: "Im Fußball hat es schon seit langer Zeit keine wichtigen Heimspiele mehr in Kuba gegeben. Häufig treffen sich die Spieler in Guatemala oder in Nicaragua, in Staaten, die gute Beziehungen mit Kuba pflegen. Aber soweit ich weiß, sind auch die neuen Nationalspieler alle schon mal in Kuba gewesen. Einige waren sehr jung und haben daran kaum noch Erinnerungen.“  

22 kubanische Sportler unter neuer Flagge

Der Fußball vermittelt Hoffnung, aber reicht das für einen Wandel im Sport? Bei den Olympischen Spielen in Tokio war Kuba nur mit 69 Athleten vertreten, so wenig wie zuletzt 1968. Auch das Baseballteam verpasste die Qualifikation. Womöglich ein Symbol der Wirtschaftskrise, die sich während der Corona-Pandemie weiter zugespitzt hat. Könnte sich dadurch in Kuba die gesellschaftliche Stellung von Sportlern verändern?
Michael Thoss arbeitet für das Goethe-Institut in Havanna: "Es ist zum Beispiel so, dass Boxweltmeister, die in Kuba bleiben, die bekommen ein Haus und ein Auto gestellt. Also die werden hier sehr hoch gehandelt. Die Neiddebatte ist hier, glaube ich, eher eine andere. Man ist stolz auf die kubanischen Sportler, die im Ausland Erfolg haben. Man ist noch stolzer auf die Sportler, die im Ausland Erfolg haben und in Kuba bleiben. Man ist nicht stolz auf die Exilkubaner, die alles Mögliche tun, um Kuba zu destabilisieren. Und die sitzen ja häufig in Miami und Umgebung.“
Die Wirtschaftskrise führte in Kuba zu einem Mangel an Medizin und Lebensmitteln. Tausende Menschen protestierten im vergangenen Sommer, doch das Regime schlug zurück. Im Juli dann schwärmten einige Sportler bei Olympia von ihrem neuen Leben. 22 Athleten mit kubanischen Wurzeln nahmen in Tokio teil, allerdings inzwischen für eine andere Nation.