Als Michael Stoffl Nordkorea bereiste, war ihm klar, dass er unbedingt ins Stadion muss. Aber dann war der Groundhopper, der als Fußballfan schon jeden Kontinent bereist hat, enttäuscht:
"Fans in diesem Sinne, wie wir sie in unserer Welt kennen, gibt es dort nicht. Also es gibt auch keine Fanartikel oder Trikots oder so zu kaufen. Es wird auch nicht angefeuert oder gesungen oder geklatscht. Es wird höchstens mal applaudiert, wenn ein Tor fällt."
In Nordkorea kriselt es nicht nur bei den Fußball-Zuschauerzahlen
Ab 2015 war Stoffl mehrmals im abgeschotteten Land und recherchierte über die Fußball- und Sportszene. Im August 2021 erschien sein Buch „In 90 Minuten um die Welt“, in dem er auch über seine Erfahrungen in Nordkorea berichtet. Das Stadion Erster Mai in der Hauptstadt Pjöngjang, das über 100.000 Plätze fast, wurde bei einem Pokalspiel von nur rund 2.000 Zuschauerinnen und Zuschauern besucht. Und es seien eben keine Fans gewesen:
"Da zitiere ich den Guide: Die Leute haben gute Arbeit geleistet, und zur Belohnung bekommen sie jetzt einen Tag frei und gehen ins Stadion. Die Tatsache, dass das als Belohnung gilt. In Nordkorea dürfen die Leute ja nicht frei reisen, sondern du brauchst einen Passierschein. Die Hauptstadt Pjöngjang liegt für die Leute ungefähr so fern wie New York. Da kommst du also nie hin."
In Nordkorea kriselt es nicht nur bei den Fußball-Zuschauerzahlen. Nach Eindruck von Experten steckt der gesamte Sport des diplomatisch isolierten Einparteienstaats in existenziellen Problemen:
"Ja, der nordkoreanische Sport durchlebt gerade eine Krise. Er ist heute weniger wettbewerbsfähig als er es mal war", sagt Vladimir Tikhonov, ein Koreanistikprofessor an der Universität Oslo, der den Sport im Land seit Jahrzehnten beobachtet.
Über lange Zeit eine erfolgreiche Sportnation gewesen
Vermutlich durchlebt die Sportszene Nordkoreas sogar eine der größten Krisen ihrer Geschichte:
"Südkorea – damals noch selbst eine Militärdiktatur – versuchte ab den 1960er Jahren, das nordkoreanische Sportsystem mit seinem staatsplanerischen Ansatz zu imitieren. In den 1960er und 1970er Jahren, und auch danach noch, war Nordkorea oft stärker als Südkorea. Heute sind sie es nicht mehr."
Gemessen an den begrenzten Möglichkeiten des Staates ist Nordkorea über lange Zeit eine erfolgreiche Sportnation gewesen. Bis zu den Olympischen Spielen von Tokio im vergangenen Sommer hat das Land jedenfalls bei Sommerspielen immer zumindest zwei Medaillen geholt. 2016 in Rio waren dies je Gold im Gewichtheben der Frauen und in der Turndisziplin Springen der Männer.
"Was über den nordkoreanischen Sport bekannt ist: Er folgt dem Modell aus der Sowjetunion und China. Frühes Scouting, dann verfolgt man den Sport mit großer Ernsthaftigkeit. Es ist nicht Sport zum Spaß, sondern für Erfolge. Er soll Vorbilder erzeugen. Es ist harte Arbeit, wird aber bei Erfolgen auch üppig belohnt. Wenn man eine Medaille gewinnt, erhält man eine Wohnung in Pjöngjang und ein ausländisches Auto."
Aus diversen internationalen Wettbewerben zurückgezogen
Nur hat es zuletzt keine Medaillenausbeute mehr gegeben. In der Pandemie schickte Nordkorea weder zu den letzten Sommerspielen in Tokio noch zu den Winterspielen in Peking eine Delegation. Aus Vorsicht vor Infektionen zog sich der Staat aus diversen internationalen Wettbewerben zurück.
Schon Anfang 2020 wurden die Grenzen geschlossen. So kam der Handel mit den befreundeten Nachbarstaaten China und Russland zum Erliegen. Laut einem Bericht der Vereinten Nationen sind 42 Prozent der Bevölkerung unterernährt. Und mit der Nichtteilnahme bei Olympia wurde Nordkorea auch vom Internationalen Olympischen Komitee gesperrt – einem armen Staat entgehen damit wichtige Fördermöglichkeiten.
Allerdings: Die Krise des Sports hat nicht erst mit der Pandemie begonnen:
"Es gibt ein paar Sportarten, in denen Nordkorea traditionell stark ist – Judo zum Beispiel. 1996 in Atlanta gewann Kye Sun-hee sensationell Gold gegen die Japanerin Ryoko Tamura. Das ist bis heute eine große Geschichte. Aber in der Zeit gab es natürlich große ökonomische Probleme, sogar eine katastrophale Hungersnot, sodass auch gespart werden musste. Im neuen Jahrtausend wurde dann damit begonnen, Spitzensportler ins Ausland zu schicken, damit diese dort Devisen verdienen. Es gab mehrere Athleten verschiedener Sportarten in Russland, Italien."
Talente gibt es im Land
Nur funktioniert das Modell, die stärksten Talente ins Ausland zu schicken, heute nicht mehr. Nach wiederholten Raketentests verschärften die Vereinten Nationen 2017 ihre Sanktionen gegen Nordkorea. Seitdem hat sich nicht nur die Zahl nordkoreanischer Sportlegionäre reduziert, sondern auch die Möglichkeit, an spezielle Sportausrüstungen zu kommen. So ist Nordkorea auch sportlich zusehends isoliert.
Dabei verfügt das Land durchaus über Talente. Der Fußballfan Michael Stoffl war jedenfalls in seinem Lieblingssport beeindruckt:
"Wir haben zum Beispiel in Pjöngjang die 'Internationale Fußballschule' besucht. Das ist wie so ein Nachwuchsleistungszentrum und da werden die halt richtig ordentlich trainiert. Die haben schon richtig Tikitaka hingelegt. Also es gibt in Pjöngjang ein Stadtviertel, das heißt Sosan. Und da ist eine Straße mit Gebäuden für diverse Disziplinen: Also Fußballstadion, Basketballcourts, Taekwondohalle."
Darauf, dass sich Nordkorea nach 2010 wieder für eine Fußball-Weltmeisterschaft der Männer qualifiziert, scheint derzeit aber wenig hinzudeuten. Bei Qualifikations- und Nachwuchsturnieren schieden die Auswahlteams zuletzt meist früh aus.
Womöglich begründet sich durch die schwierige Lage des Sports auch, warum Nordkorea bisher nicht auf die Einladung des verfeindeten Südkoreas reagiert hat, die nächsten olympischen Jugendwinterspiele 2024 gemeinsam auszurichten: Nordkorea könnte vermutlich kaum mit Topleistungen beeindrucken.
"Die Waffen florieren"
Vladimir Tikhonov, der einen südkoreanischen Pass besitzt, muss bitter lächeln, wenn er an die UN-Sanktionen gegen Nordkorea denkt:
"Wenn Sie sich erinnern: Die Sanktionen sollten das nordkoreanische Waffenprogramm schwächen. Ironischerweise wurden dadurch der Fußball und der Sport geschwächt, aber die Waffen florieren."