Vor 15 Jahren stand die Fußball-Welt in Deutschland still. Am 10. November 2009 nahm sich Robert Enke das Leben. Er litt an schweren Depressionen, öffentlich hat er seine Erkrankung während seiner Karriere aber nie gemacht. Der Tod Robert Enkes hat viele Debatten über den Umgang mit psychischen Problemen im Fußball entfacht.
"Ich glaube schon, dass grundsätzlich das Bewusstsein für psychische Erkrankungen oder auch psychische Schwächen in den letzten 15 Jahren sicherlich größer geworden ist. Dennoch halte ich die Maßnahmen innerhalb der Vereine oder Verbände nach wie vor für deutlich zu wenig", sagte Martin Meichelbeck im Deutschlandfunk.
Meichelbeck war selbst Profi-Fußballer und spielte unter anderem 126 Mal für den VfL Bochum in der Bundesliga und der 2. Bundesliga. Heute arbeitet der 47-Jährige als Leiter Medizin und Prävention, Reha und Sportpsychologie bei Borussia Mönchengladbach.
Beispiel Can: "So funktioniert der Mensch nicht"
Ein aktuelles Beispiel ist der Dortmunder Emre Can, der in der Öffentlich aktuell massiv in der Kritik steht und vor allem in den sozialen Netzwerken regelrecht zerrissen wird. So etwas gehe "natürlich nicht" spurlos an einem Spieler vorbei, sagte Meichelbeck. "Er hat natürlich eine sehr exponierte Stellung beim BVB, ist dort Kapitän. Nur das Problem ist, dass jetzt die Außenwelt erwartet, dass er immer top spielt, immer top funktioniert, ein Verhalten an den Tag legt und letztendlich, wie eine Leistungsmaschine immer 100 Prozent performt. So funktioniert der Mensch aber nicht. Und das ist auch gut so. Nur in unserer heutigen Welt und speziell in der Fußballwelt erhalten Schwächen keinen Raum mehr. Das ist sicherlich ein gesellschaftliches und ein grundsätzliches Fußballproblem. Und es fängt an bei der FIFA, der UEFA und geht über DFL und DFB. Wir setzen Erfolg an die oberste Stelle und sind sehr ergebnisorientiert."
Die Psychologie dagegen sei prozessorientiert, sagte Meichelbeck. Deshalb wünsche er sich, dass auch Zuschauerinnen und Zuschauer mehr Verständnis für schwächere Leistungen aufbringen würden. "Ich glaube schon, dass viele Menschen auch ein Bewusstsein für schwächere Momente von Spielern haben. Aber ich glaube, auf diesem allerhöchsten Level ist die Toleranzgrenze und die Toleranzschwelle leider geringer."
"Psycholgie kann auch optimieren"
Auch in den Vereinen müsse sich etwas ändern, sagte Meichelbeck. Zum Beispiel könnte bei der Verpflichtung eines neuen Spielers neben den körperlichen Untersuchungen auch ein psychologisches Profil erstellt werden. Dazu fehle in vielen Vereinen eine psychologische Ansprechperson. "Psychologie kann nicht nur Stabilität vermitteln, sondern kann ja auch optimieren. Es gibt sehr viele psychologische Techniken und Methoden, um Spieler, Trainer und Mitarbeiter so zu unterstützen, dass sich die komplette Performance verbessert. Wir haben halt nach wir vor immer dieses Bild, Psychologie hat immer irgendetwas mit einer Labilität, mit Pathologie zu tun. Und dann nehme ich mal so ein bisschen Abstand. Aber psychologische oder psychische Schwächen oder Erkrankungen haben genauso einen wichtigen Stellenwert wie körperliche Erkrankungen. Man braucht da sicherlich noch ein verändertes Bewusstsein des Managements, auch der einzelnen Vereine."
Meichelbeck könne sich deshalb auch vorstellen, psychologische Betreuung in den Vereinen verpflichtend zu machen. "Es heißt bei DFB, DFL oder in noch größeren Verbänden, wir machen ja schon einiges. Aber letztlich fehlt die Detailarbeit. Letztendlich fehlen die konkreten Maßnahmen. Letztendlich fehlt auch das Personal und es fehlt nach wie vor auch die Umsetzung. Und da muss sehr viel passieren."
"Unbegreiflich, dass man weichen Faktoren so wenig Bedeutung gibt"
Generell wundere ihn, wie viel Aufklärungsarbeit in Sachen psychologischer Betreuung noch zu leisten sei, sagt Meichelbeck: "Also, ich habe viele Manager und Geschäftsführer erlebt, die psychologisch alles andere als stabil sind und auch die Gefahr entsteht, dass da auch eine Erkrankung entstehen kann. Das Beispiel Max Eberl hat es ja auch noch einmal verdeutlicht, dass auch ein Manager in eine solche Situation rutschen kann. Da gibt es sicherlich noch andere Beispiele und dementsprechend ist es für mich nach wie vor fast unbegreiflich, dass man diesem so wichtigen Stellenwert der weichen Faktoren so wenig Bedeutung gibt."