Geht es nach IOC-Präsident Thomas Bach, dürfen die noch suspendierten Athletinnen und Athleten aus Russland und Belarus bald wieder unter neutraler Flagge an internationalen Sportveranstaltungen teilnehmen. Die aktuellen Sanktionen seien rechtlich nicht haltbar, sagt Bach und verweist dabei auf die Menschenrechtsanforderungen der Vereinten Nationen und auf die Olympische Charta.
Wirtschaftsanwalt und Sanktionsexperte Viktor Winkler gibt Bach im Deutschlandfunk recht: "Zunächst einmal sollte man sich so klar wie möglich bewusst machen, dass es sich überhaupt nicht um Sanktionen handelt. Sanktionen sind ein sehr scharfes rechtliches Instrument. Und nur Staaten haben das Recht, dieses Instrument einzusetzen", sagt er.
Im Bezug auf den Ausschluss russischer und belarussischer Athletinnen und Athleten von internationalen Sport-Events spricht er von Diskriminierung. "Damit sind wir beim Kern des Problems, dass wir um Jahr 2023 erklären müssen, dass Diskriminierungen immer rechtswidrig sind, egal ob wir die Guten oder Bösen diskriminieren. Es handelt sich bei den Ausschlüssen aufgrund der Nationalität um sämtlich und ausschließlich um klare und schwerwiegende Rechtsbrüche."
"Ausschluss verstößt gegen Olympische Charta"
Die Diskriminierung von Athletinnen und Athleten aufgrund ihrer Ethnie oder aufgrund der Nationalität verstoße "natürlich gegen die Olympische Charta, vor allem aber gegen sämtliche Menschrechtskonventionen der UN. Dass Herr Bach, der immerhin mal über das Bundesverfassungsgericht promoviert hat, einen solchen schamlosen Bruch des Rechts überhaupt befördert hat, ist für mich besorgniserregend und sollte zu denken geben."
Als privater Verein unterliege das IOC nicht direkt den Diskriminierungsverboten, Winkler vermisse jedoch ein Eingreifen der Staaten: "Die beteiligten Staaten sind über die Diskriminierungsverbote eigentlich in der Pflicht, aufzuschreien und Maßnahmen zu ergreifen."
Besonders habe Winkler aber ein Aufschrei seiner Kolleginnen und Kollegen gefehlt: "Die Juristinnen und Juristen in diesem Land, aber auch in anderen westlichen Ländern, sind diejenigen, die erklären müssen, warum auch gut gemeinte Diskriminierung immer noch Diskriminierung ist und darum der Grundsatz gilt: 'Heute die, morgen du.' Wenn wir heute die 'Richtigen' diskriminieren und wir das erlauben, werden vielleicht morgen die 'Falschen' diskriminiert, wenn sich die Kräfteverhältnisse ändern."
"Menschenrechtsorganisationen besorgniserregend still"
Die Rechtsgrundlagen, um solche Diskriminierungen zu verhindern, seien laut Winkler "offenbar" nicht ausreichend. "Offenbar müssen wir in den jeweiligen rechtlichen Fundamenten, insbesondere der Charta, Elemente aufnehmen, die Handlungen wie die, die wir jetzt erlebt haben, besser verhindern. Vielleicht brauchen wir auch ein Verbandsklagerecht. Vielleicht brauchen wir auch eine Erweiterung von Klagemöglichkeiten von Betroffenen oder Verbänden, die für diese Betroffenen dann klagen. Wobei ich auch sagen muss, dass Menschenrechtsorganisationen auch in diesem Punkt bisher besorgniserregend still geblieben sind."
Für das IOC sei es nun leicht, eine 180-Grad-Wende zu vollziehen, da der Ausschluss russischer und belarussischer Sportlerinnen und Sportler nur eine Empfehlung des IOC gewesen sei. "Deswegen ist das rechtlich zweigeteilt zu sehen", so Winkler. "Die eine Seite ist, diese Empfehlung zu geben. Und die andere Seite ist natürlich, dieser Empfehlung in der Weise zu folgen, dass man die diskriminierende Handlung vollführt. Im Hinblick darauf, dass das IOC nur das erste, also nur die Empfehlung, gemacht hat, ist es für das IOC natürlich leichter, eine 180-Grad-Wende zu vollziehen, weil man ja jetzt nur die Empfehlung zurücknehmen muss."
Rechtlich reiche die Rücknahme der Empfehlung laut Winkler aber nicht aus: "Die Botschaft vom IOC müsste eigentlich lauten: Ab sofort muss jeder Anschein einer Diskriminierung wegen der Herkunft, der Nationalität, wegen der Ethnie vermieden werden und alle verbliebenen Reste, die zu einer Diskriminierung führen können, müssen aufgehoben und rückgeführt werden."
Winkler sieht Neutralität des Sports kritisch
Dass Sport generell dazu beitragen könne, dass verfeindete Parteien sich annähern, sei für Winkler "als Jurist immer ein bisschen fraglich. Ich persönlich sehe die Idee einer Neutralität des Sports durchaus kritisch. Wenn man die letzten zwei Jahrhunderte nimmt, mit den großen Sportereignissen, merkt man, dass das Gegenteil der Fall ist. Die vermeintliche politische Neutralität des Sports ist eigentlich ein Mythos."
Ein Re-Integration in den Sport werde in Russland zu keinem Umdenken führen, sagt Winkler. "Das muss es auch nicht notwendig. Man kann diese Diskussion auch meiner Sicht nicht abwürgen, indem man sagt: 'Na ja, ihr erreicht ja damit nichts.' Manchmal ist es auch wichtig, politische Signale zu senden." Die Diskussion sollte deshalb weitergeführt werden. "Und sie sollte dort enden, wo es um das Diskriminierungsverbot geht. Aber wenn man sich davor befindet, also noch nicht diskriminiert, halte ich diese Diskussion für legitim und auch offen in ihren Ergebnissen."