Immer wieder brüllten die gut 5.000 Fans aus Saudi-Arabien gegen das katarische Team an. Doch nach der 0:2-Niederlage gegen den Außenseiter herrschte Stille. Auch kein Jubeln für Katar, denn es waren kaum katarische Zuschauer im Stadion von Abu Dhabi. Nur eine der Konsequenzen der Blockade. Die bekam auch der Verband des WM-Gastgebers 2022 zu spüren: Die Nationalmannschaft aus Katar musste auf der Anreise zum Turnier in Kuwait zwischenlanden, da direkte Flugverbindungen ausgesetzt sind. Einer ihrer wichtigsten Funktionäre wurde zunächst an der Einreise gehindert. Die wenigen Reporter, die für katarische Medien berichten, gehören anderen Nationalitäten an. Der Journalist Tariq Panja verfolgt das Turnier für die New York Times.
"Es passieren hier bizarre Dinge. In vielen Hotels direkt neben den Stadien kann man die Spiele gar nicht im Fernsehen verfolgen. Rechteinhaber ist nämlich BeIN-Sports, ein Sender aus Katar, und der ist in den Emiraten geblockt. Katar wiederum beschuldigt einen Piratensender in Saudi-Arabien, die Spiele illegal zu übertragen. Und niemand scheint dagegen etwas tun zu wollen."
Aufbau eines Unterhaltungssektors
Kleinere Golf-Staaten wie Katar, Bahrain oder die Emirate nutzen den Sport seit mehr als zehn Jahren ökonomisch und politisch. Das in der Region übermächtige Saudi-Arabien zieht seit 2016 nach. Zunächst mit der Organisation kleinerer Veranstaltungen: im Wrestling, Schach oder in Rennsportserien wie der Formel E. Im Oktober fand in Riad der Fußball-Gipfel zwischen Brasilien und Argentinien statt. Und vergangene Woche folgte in Jeddah das italienische Supercup-Finale. Der Reporter Wasim Algabril arbeitet für den britischen Fernsehsender SNTV, er hat familiäre Wurzeln in Saudi-Arabien und sieht das Interesse des Landes am Sport als Teil einer neuen Ausrichtung.
"In der Vergangenheit gab es keinen Unterhaltungssektor in Saudi-Arabien. Doch langsam öffnet sich das Land. Ich habe mit meinen Neffen in Jeddah telefoniert. Sie waren ganz begeistert, Cristiano Ronaldo zu sehen. Ich glaube, das ist erst der Anfang. Es setzt sich eine Erkenntnis durch: Das Land kann konservativ sein, aber eben auch weltoffen. Der Sport spielt eine Rolle. Aber es gibt nun auch Kinovorführungen und Konzerte. Wo auch Frauen singen, nicht nur Männer."
Sport und Kultur als neue Wirtschaftszweige
Als Anstoß für die Reformen des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman gelten ökonomische Gründe. Die Ressourcen des Landes sind endlich, mehr als zwei Drittel der wachsenden Bevölkerung sind jünger als dreißig. Saudi-Arabien muss sein Bildungssystem modernisieren. Und braucht neue Wirtschaftszweige. Sport und Kultur bieten sich an. Angeblich sollen laut Königsfamilie mehr als zwei Milliarden Dollar in diese Bereiche investiert worden sein. Der Publizist James M. Dorsey, der den Sport in der Golf-Region seit Jahren beobachtet, ordnet die Entwicklung ein.
"Die Strukturen des Sports unterscheiden sich nicht wesentlich von anderen in der Region. Sie werden politisch streng kontrolliert. Mitglieder der Herrscherfamilie treffen die Entscheidungen, auch in Fußballklubs. Mohammed bin Salman will den Gesundheitssektor ausbauen, der Sport kann ihm dabei helfen. Länder wie Saudi-Arabien, Katar oder die Emirate haben eine der höchsten Erkrankungsraten an Adipositas und Diabetes."
Konservative Kräfte sträuben sich gegen Öffnung
Etwa 40 Prozent der Frauen in Saudi-Arabien haben Übergewicht, so eine Studie des saudischen Gesundheitsministeriums. Die Folge: Enorme Kosten für Gesundheits- und Pflegesystem. Seit kurzem dürfen Frauen Fußballspiele besuchen, doch viele konservative Kräfte protestieren dagegen, der Status Quo ist nicht eindeutig. Frauen können nun zudem in Fitnessstudios aktiv sein. Teamwettkämpfe sind ihnen jedoch untersagt. Hier stockt die Reform. Der Politikwissenschaftler Danyel Reiche von der Amerikanischen Universität Beirut nennt einen weiteren Grund, warum Fortschritte in Saudi-Arabien gebremst werden könnten.
"Für jede internationale Sportgroßveranstaltung muss man den ausrichtenden Verbänden zusagen, ein Visum an jeden, unabhängig von Nationalität, Religion, Geschlecht und sexueller Orientierung, auszustellen. Und damit hat sich Saudi-Arabien bisher sehr schwergetan. Zum Beispiel 2017 bei der Blitzschach-Weltmeisterschaft keine Visa für israelische Schachspieler ausgestellt. Und wenn Saudi-Arabien da nicht flexibler wird, wird es sehr schwierig, im Bereich des Sports zu punkten."
Die Pläne der Fifa erscheinen unrealistisch
So hat das Land Probleme im internationalen Vergleich, auch bei der Anwerbung von internationalen Fußballklubs. Katar besitzt Paris Saint-Germain, die Emirate Manchester City. Turki Al-Sheikh, führender Sportfunktionär Saudi-Arabiens, übernahm den Verein Pyramids FC in Kairo, wurde dafür aber von ägyptischen Fans beschimpft. Und auch die Pläne von Gianni Infantino scheinen nicht voran zu gehen. Der Fifa-Präsident möchte mit saudischer Milliardenhilfe neue Wettbewerbe schaffen. Und die WM 2022 von 32 auf 48 Teilnehmer ausweiten. Das könnte Katar wohl allein nicht leisten. Daher wäre eine Möglichkeit, einige WM-Partien in Saudi-Arabien auszutragen. Dass Katar dem großen Widersacher etwas abgibt , erscheint unwahrscheinlich, sagt Tariq Panja von der New York Times. Aber:
"Wenn es um die FIFA geht, ist der erste Eindruck nicht immer richtig. Vielleicht will sich Infantino mit seinen Aussagen in der Region alles offenhalten. Vielleicht geht es gar nicht in erster Linie um die WM 2022, sondern um Investitionen in einer ferneren Zukunft."
Eines hat Saudi-Arabien mit seiner Sportpolitik in jedem Fall geschafft. Sobald es um emotionale Debatten im Fußball geht, spielt der Mord am Journalisten Jamal Khashoggi und der Krieg in Jemen kaum noch eine Rolle.