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Unterkünfte für Geflüchtete
"Alternativen für Turnhallen finden"

In Bayern dienen sogenannte Sportcamps mit Übernachtungszimmern als Unterbringung für Geflüchtete. Der Leiter der Einrichtung rät dringend dazu, die Menschen nicht in Turnhallen unterzubringen. Die Geflüchteten bräuchten Privatspähre. Aber auch der Sport möchte nicht auf die Hallen verzichten.

Von Michael Watzke |
Eine umfunktionierte Turnhalle, in der in drei Reihen Betten stehen.
Überall in Deutschland werden gerade Turnhallen für Geflüchtete aus der Ukraine umfunktioniert. (dpa/picture-alliance/Uni Siegen)
„Aus meiner persönlichen Sicht sind Turnhallen als Unterkünfte für Flüchtlinge grundsätzlich nicht geeignet“, sagt Kai Melerski, Geschäftsführer des Sportcamps Bischofsgrün in Oberfranken. „Es gibt keine Privatsphäre dort, dabei ist das gerade für Menschen wichtig, die in einer Fluchtsituation sind. Die müssen sich zurückziehen können. Deshalb sollte alles getan werden, um Alternativen für die Unterbringung in Turnhallen zu finden.“
Melerski hat eine gefunden. Seit zwei Wochen beherbergt der 42-Jährige im „Sportcamp Nordbayern“ des Bayerischen Landes-Sportverbandes (BLSV) 17 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine.

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„Es sind Frauen und Kinder aus der Region Saporoshje. Dort gibt es auch ein aktives Atomkraftwerk. Was sicherlich auch einen Beitrag bei der Flucht-Entscheidung der Familien gespielt haben dürfte“, sagt Melerski.
Im Fichtelgebirge, am Fuße des Ochsenkopfes, wohnen die Geflüchteten jetzt in den Sportcamp-Zimmern mit Blick auf Spielplätze, Basketball-Courts und Outdoor-Kletterwand: „Das sind Vierbett-Zimmer mit eigener Dusche und Toilette. Und die Zimmer haben wir so gelegt, dass sie nebeneinander sind, sich besuchen können, austauschen, gegenseitig unterstützen können. Dass die Kinder zusammen spielen können. Aber auch, dass sie sich zurückziehen können. Was sicherlich in der Lage, in der sie sich befinden, notwendig ist.“

Entscheidungen über Hallennutzung bei den Kommunen

Der Bayerische Landes-Sportverband betreibt insgesamt vier Sportcamps und plant, dort noch mehr Flüchtlinge unterzubringen. Eigentlich sind die Camps für Schulklassen oder Trainingslager gedacht. Wegen Corona sind sie aber nicht komplett ausgebucht.
Vor allem aber will der BLSV Alternativen zu Sporthallen aufzeigen. 2015 mussten viele Schüler und Freizeitsportlerinnen ihre Turnhallen räumen, weil die Kommunen schnell Platz für ankommende Asylbewerber suchten, erklärt Lutz Thieme, Professor für Sport-Management an der Hochschule Koblenz:
„Die Kommunen sind ja diejenigen, die die Sportstätten überwiegend betreiben. Und wenn die Kommunen sagen, ich brauche die für einen anderen Zweck, dann sind die Vereine und der Schulsport erstmal außen vor. Es ist eine Entscheidung des Sportstätten-Besitzers – und das sind in der Mehrzahl die Kommunen.“
Geflüchtete aus der Ukraine: DOSB fordert, Sporthallen nicht primär als Unterkünfte zu nutzen
Die Folge für Sportvereine und den Breitensport: entweder nach draußen ausweichen oder – wenn das nicht geht – die sportlichen Aktivitäten einstellen. Denn es gibt beim Hallensport kaum Ausweich-Möglichkeiten:
„Die Sporthallen-Situation ist auch ohne geflüchtete Menschen in Deutschland sehr angespannt. Das merkt man schon daran, dass – wenn in einer mittelgroßen Kommune zwei oder drei Sporthallen vom Netz gehen – das gravierende Auswirkungen hat. Nicht nur für die zwei oder drei Standorte, sondern insgesamt: Vereine müssen in andere Sporthallen, die eigentlich belegt sind. Für den Schulsport ist es ähnlich. Und da merkt man eben, dass die Sportstätten-Situation in Deutschland auf Kante genäht ist.“

"Sensibilität für den Sport ist da."

Dabei wird gerade jetzt, beim Abklingen der Corona-Krise, deutlich, wie wichtig der Breitensport, das Bewegen, die sportliche Aktivität sind. Vor allem für Kinder und Jugendliche. Deshalb versuchen viele Kommunen zu verhindern, Turnhallen erneut zu schließen. Aber das gelingt nicht überall, sagt der Sport-Wissenschaftler Thieme:

Also aus NRW sind mir Beispiele bekannt, wo Kommunen gar nicht anders können als Sporthallen zu belegen. Aber insgesamt ist die Sensibilität für den Sport schon da. Das hat auch damit zu tun, dass man dem Sport zutraut, Integrations-Leistungen zu erbringen für die Menschen, die zu uns gekommen sind.

Solche Integrations-Leistungen können die Vereine jedoch nur erbringen, wenn sie den Platz für den Sport haben. Im Sportcamp Bischofsgrün erlebt Geschäftsführer Melerski die Bindungskraft des gemeinsamen Spielens auch bei den Flüchtlingen aus der Ukraine und den restlichen Gästen:
„Wenn ich sehe, wie die Kinder miteinander spielen, ohne die Sprache des Anderen zu kennen – das hat eine beispiellose Kraft. Da werden Brücken gebaut. Ich bilde mir ein, dass da Leid kurzzeitig ein wenig gelindert wird. Im gesamten bayerischen Sportbereich erlebe ich eine Welle der Solidarität und Willkommens-Kultur.“

"Hallen nach der Corona-Situation besonders wichtig"

Die Frage ist: reicht der Platz, um die Turnhallen und damit die Sportvereine zu schonen? Wenn Russland die Invasion der Ukraine weiter forciert, werden noch viele hunderttausend Flüchtlinge kommen. Private Unterkünfte stehen nicht endlos zur Verfügung. Deshalb begrüßt Lutz Thieme die Idee der Unterbringung in Sportcamps:
„Weil die Sportcamps Möglichkeiten bieten, wo Menschen zusammenkommen und für eine gewisse Zeit wohnen können. Das entlastet natürlich die Kommunen davon, gleich Sporthallen zur Verfügung zu stellen – mit der Folge, dass sie für den Vereins- und Schulsport nicht zur Verfügung stehen. Und das ist gerade nach der Corona-Situation, in der viele Vereine Mitglieder verloren haben, von großer Wichtigkeit.“
Für Kai Melerski vom Sportcamp Bischofsgrün ist Nachbarschafts-Hilfe in der Not eine Selbstverständlichkeit: „Nach manchen Gesprächen mit den Geflüchteten über deren Erlebnisse bin ich als Familienvater wirklich mitgenommen.“