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Sportdiplomatie
Auf dem Weg zu einer EU-Sportstrategie

Während die USA oder China bereits eine Strategie haben, um den Sport für diplomatische Zwecke einzusetzen, ist diese Idee in der EU noch neu. Dabei gehe es darum, Werte wie Geschlechtergleichheit, Nachhaltigkeit und Grundrechte zu vermitteln, sagte der Soziologe Albrecht Sonntag im Dlf.

Albrecht Sonntag im Gespräch mit Maximilian Rieger |
Flaggen der Europäischen Union wehen im Wind vor dem Berlaymont-Gebäude, dem Sitz der Europäischen Kommission.
Noch steht die Idee einer gemeinsamen europäischen Sportdiplomatie am Anfang (dpa)
Während die USA, China und auch Australien bereits eine Strategie haben, um den Sport für diplomatische Zwecke einzusetzen, ist die Idee einer solchen Strategie in der Europäischen Union noch ganz neu. Das liege laut Albrecht Sonntag von der Management School ESSCA in Angers an der Entwicklung der EU an sich: Erst 2009 wurde der EU im Vertrag von Lissabon eine Teilkompetenz in Sportfragen zugesprochen. Seit 2010 existiert ein auswärtiger Dienst. Darauf baut nun auch der Wunsch nach einer europäischen Sportdiplomatie auf, die in der vergangenen Woche (18.05.) unter anderem Thema einer Anhörung im EU-Ministerrat war.
"Traditionell ist Sportdiplomatie eine nationale Angelegenheit", so der Soziologe Albrecht Sonntag, "deswegen ist es auch nicht überraschend, dass Länder wie die USA, China, verstärkt auch Australien und übrigens auch Frankreich eine Sportdiplomatie entwickeln."

Ähnliche Werte in der EU und im Sport

Ziel einer Sportdiplomatie auf EU-Ebene sei aber nicht der Wunsch nach Machtdemonstration oder Einfluss, sondern es gehe darum, Werte wie Geschlechtergleichheit, Nachhaltigkeit und Grundrechte zu projizieren.
"Die Werte, für die die europäische Union gern eintritt, auf denen sie sich begründet, die sind ja sehr deckungsgleich mit den Werten, die der Sport vermittelt. Das sind Werte, die der Sport gut vermitteln kann und deswegen macht es auch Sinn, wenn die europäische Union in ihrer eigenen Außendarstellung, in ihren Kontakten mit der Welt, die sie umgibt - mit ihren Nachbarn auch - den Sport nicht zu instrumentalisieren versucht, aber doch anzuwenden und einzubringen."

Erste Schritte mit dem Programm Erasmus+

Zumal Europa in der Welt als eine "Hochburg des Sports" aufgefasst werde, so Sonntag, im Leistungs- wie im Breitensportbereich. Die Europäische Kommission habe daher auch schon erste Schritte eingeleitet, beispielsweise die Umsetzung des Erasmus+-Programms. Sonntags Vorschlag ist es, das Programm auf Staaten auszuweiten, die sich um eine Mitgliedschaft in der EU bemühen. Er denke dabei vor allem an die Balkanstaaten:
"Wir haben dann vorgeschlagen, diese Staaten in die Erasmus+-Programme aufzunehmen, dass sie daran teilnehmen können, dass sie von den bescheidenen, aber doch interessanten Finanzierungen profitieren können, dass ein Austausch entsteht, dass da auch Werte vermittelt werden."
Diese Programme finden hinter den Kulissen statt, fern von großen Veranstaltungen und der medialen Präsenz. Das sei auch wichtig, so Sonntag, der schon lange zu Sportdiplomatie forscht und lehrt: "Gerade in Regionen, in denen es um postkonfliktuelle Bewältigung von kriegerischen Traumata geht, da sind solche kleinen Aktionen viel wirksamer als das große Standardarsenal der Sportdiplomatie."

Zweigleisige Sportstrategie für die EU optimal

Die Erasmus+-Programme werden von Organisationen und der Zivilgesellschaft durchgeführt. Die europäische Politik selbst habe wenig konkreten Einfluss. Von ihr könne man eher eine Positionierung hinsichtlich sportlicher Großveranstaltungen erwarten. In Sonntags Vorstellung wäre eine zweigleisige Sportstrategie optimal:
"Weiterhin die Aktionen der Zivilgesellschaft auf dem Terrain vor Ort sozusagen zu unterstützen, gerne auch mit dem Gießkannenprinzip, also kleine Förderungen, kleine Projekte. Das macht die Zivilgesellschaft selber. Und das zweite Gleis, das wäre vielleicht eine dezidiertere Haltung gegenüber dem Mindestrespekt gewisser Werte und Normen, die die EU auch vertreten möchte in Bezug auf die Großveranstaltungen."
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Die EU habe ausreichend Einfluss, um an mancher Stelle verbal Einfluss nehmen zu können. Vor allem bei Sportveranstaltungen in direkter Nachbarschaft, sollten die Mitgliederstaaten für die europäischen Werte eintreten:
"Wir möchten unsere Mitgliederstaaten aufrufen, genau zu überprüfen, ob die Mindeststandards eingehalten werden. Die Einflussnahme ist nicht unmöglich, aber sie fordert natürlich auch eine gewisse Einstimmigkeit und damit sich die EU traditionell ein bisschen schwer."

Großevents ohne Zusammenarbeit von Regierung und Sportverbänden unmöglich

Die Autonomie des Sports sieht Sonntag dabei nicht gefährdet: "Die Autonomie des Sports ist ein hohes Gut, wenn es darum geht, dass der Sport vor der Willkür bestimmter Regierungen geschützt wird. Da sehe ich jetzt keine Gefahr in der EU."
Im Gegenteil: In der EU würden die großen Sportverbände viel mit den Regierungen zusammenarbeiten. Denn kein Sportverband könne ein Großsportevent ohne staatliche Hilfe auf die Beine stellen: "Da herrscht schon immer eine gewisse Interaktion vor und wenn die in relativ transparenter Weise stattfindet, dann ist da auch nichts dagegen auszusetzen."